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Ort/Bundesland: Sachsen-Anhalt |
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Dr. Ute Hoffmann c/o Fachklinikum für Psychiatrie Olga-Benario-Str. 16/18 D-06406 Bernburg Tel.: +49 (0) 34 71 31 98 16 Fax: +49 (0)3471 64 09 691 Mail: info-bernburg [at] stgs [dot] sachsen-anhalt [dot] de |
In der griechischen Antike wurde unter dem Begriff Euthanasie die Erleichterung des Sterbeprozesses durch Schmerzlinderung und Zuspruch verstanden. Seit der Zeit des Nationalsozialismus ist er gleichbedeutend mit dem Massenmord an kran-ken, behinderten, alten oder sozial auffälligen Menschen durch Gas, Medikamente oder Nahrungsentzug. Diese Menschen galten nach der NS-Ideologie auf Grund ihrer mangelnden Leistungsfähigkeit als „Ballastexistenzen“, deren Leben als sinn- und nutzlos für die Gemeinschaft beendet werden sollte.
Unter dem Schlagwort „Rassenhygiene“ wurde die Ausgrenzung bestimmter so-zialer Gruppen bereits vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der Medizin und angrenzenden Wissenschaften diskutiert. In der wirtschaftlichen Krisenzeit nach dem Ersten Weltkrieg propagierten der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche ab 1920 die Tötung behinderter Menschen unter der programmatischen Zielsetzung der „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Ihre Argumentation diente bis in die 1960er Jahre den Tätern aus den „Euthanasie“-Anstalten meist erfolgreich als Rechtfertigung.
In der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion über den Nationalsozialismus sind die „Euthanasie“-Verbrechen eher ein marginales Thema. Das liegt vor allem daran, dass die Mehrzahl der Opfer bis heute als soziale Randgruppe gesehen wird, während auf der anderen Seite die Täter Berufsgruppen und gesellschaftlichen Schichten mit hohem Sozialprestige angehörten. Die Ermordung geistig und körper-lich Behinderter durch Ärzte und Krankenpfleger, abgesichert durch Justiz und Ver-waltung, erhielt auf diese Weise eine scheinbare Legitimation.
Dieses Thema in der Schule zu behandeln, setzt Sensibilisierung für geistige und körperliche Behinderungen sowie die Klärung von Begriffen wie „Krankheit“, „Gesundheit“ und „Lebensqualität“ vor einem Besuch des historischen Ortes voraus. Die Konfrontation mit der Gaskammer in Bernburg ermöglicht ein Verständnis für die Situation der Opfer in den letzten Lebensminuten und die Auseinandersetzung mit der Motivation der Täter.
Wenige Wochen vor Kriegsbeginn verlagerte das NS-Regime den Schwerpunkt der sozialen Selektionsprozesse von der zwangsweisen Sterilisation zur physischen Vernichtung Kranker und Behinderter (Euthanasie) über. Im August 1939 organisierte der Reichsausschuss zur Erfassung erb- und anlagebedingter Leiden die Einweisung behinderter Kleinkinder aus häuslicher Betreuung in so genannte Kinderfachabteilungen einzuweisen und ihre Ermordung durch Nahrungsentzug oder Gift. Ab Januar 1940 folgte der Massenmord an Insassen von Heil- und Pflege-anstalten durch Gas (Aktion T 4), in dessen Durchführung regional und zeitlich ge-staffelt sechs psychiatrische Anstalten einbezogen waren. Im psychiatrischen Krankenhaus in Bernburg installierten Handwerker im Oktober 1940 eine als Duschraum getarnte Gaskammer, einen Sektionsraum, einen Leichenraum und ein Krematorium. Aus mindestens 33 Heil- und Pflegeanstalten der näheren und weiteren Umgebung trafen Patienten in Sammeltransporten per Bus ein, erstmals am 21. November 1940. Nach ihrer Ankunft wurden sie entkleidet, registriert, foto-grafiert und einem Arzt vorgeführt, der aus einer Liste von Diagnosen eine nach Alter und Gesundheitszustand passende Todesursache für die jeweilige Person auswählte. Pflegepersonal begleitete die Gruppen von jeweils 60 bis 75 Menschen in die Gaskammer, in der sie an Kohlenmonoxyd-Gas erstickten. Bis zu 1.400 Menschen im Monat starben so in Bernburg.
Die Angehörigen erhielten „Trostbriefe“ mit standardisierten Texten sowie Sterbe-urkunden, in denen ein Todesdatum zwei bis drei Wochen nach dem tatsächlichen Tod angegeben war. Für diesen Zeitraum mussten die zuständigen Krankenkassen noch die täglichen Pflegekosten zahlen, obwohl die betreffende Person schon tot war. Trotz dieser Täuschungsversuche blieb die Mordaktion nicht geheim. Die daraus entstehende Unruhe in der Nähe der zentralen „Euthanasie“-Anstalten und die öffentliche Predigt des katholischen Bischofs Clemens August Graf von Galen veranlassten das NS-Regime am 24. August1941 zur Einstellung der „Euthanasie“ durch Gas. Bis zu diesem Zeitpunkt verzeichnete allein Bernburg 9.384 Tote. In allen sechs „Euthanasie“-Anstalten zusammen starben insgesamt mehr als 70.000 Menschen. In einer zweiten Phase wurde die Mordaktion bis 1945 dezentral in ca. 100 psychiatrischen Anstalten durch Nahrungsentzug und Gift fortgesetzt.
Der überwiegende Teil des männlichen Personals der zentralen „Euthanasie“-Anstalten erhielt zu dieser Zeit eine Versetzung in das Generalgouvernement Polen. Ihr Ziel waren die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka, zu deren Aufbau und Funktion sie einen entscheidenden Beitrag leisteten.
Drei der sechs Gasmordanstalten, darunter auch Bernburg, blieben nach dem 24. August 1941 weiter Stätten des Mordes. Unter dem Decknamen „Sonderbehandlung 14 f 13“ starben nun arbeitsunfähige, rassisch oder religiös verfolgte KZ-Häftlinge in den Gaskammern der „Euthanasie“-Anstalten. Die Auswahl trafen Ärzte der „Aktion T 4“, die nach den Insassen von Heil- und Pflegeanstalten nun auch Häftlinge in den Konzentrationslagern selektierten. Allein in Bernburg handelte es sich um ca. 5.000 Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Groß-Rosen, Flossenbürg, Neuengamme, Ra-vensbrück und Sachsenhausen, darunter jüdische Männer und Frauen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Asoziale und Zeugen Jehovas. Im Frühjahr 1943 wurde die Tötungsanstalt Bernburg endgültig geschlossen. Die erhalten gebliebene technische Anlage steht heute im Mittelpunkt einer Gedenkstätte.
In der ersten Unterrichtsstunde (siehe pdf-Dokumente) erörtern die Schüler, die überwiegend kaum persönlichen Kontakt zu behinderten Menschen haben dürften, zunächst "ideale" Körpernormen, wie sie durch Bildmaterial in Zeitungen, Zeitschriften und Werbeprospekten heute propagiert werden. Damit machen sie sich bewusst,
Durch die Gegenüberstellung aktuellen Bildmaterials mit Werbung und Propagandabildern aus der NS-Zeit analysieren sie im nächsten Schritt, gegebenenfalls in Gruppenarbeit, wie Normen und Leistungsanforderungen des NS-Regimes transportiert und Feindbilder erzeugt wurden. Dazu gehören Abbildungen des "erbgesunden" Menschen einerseits und der möglichst abstoßend und fremd dargestellten geistig oder körperlich Behinderten andererseits. Die Schüler erkennen an dem historischen Beispiel die Manipulation der Wahrnehmung und der Urteilsbildung der Mehrheitsbevölkerung über soziale Randgruppen.
In diesem Block steht die möglichst selbständige Arbeit der Schüler/innen mit Quellen und Dokumenten im Vordergrund (siehe pdf-Dokumente). Die historische Information zur Geschichte der sogenannten Rassenhygiene bis 1933 sowie der Zwangssterilisation und "Euthanasie" unter dem NS-Regime kann von der Klasse arbeitsteilig vorbereitet werden. Dabei sollen die Schüler/innen erkennen, dass
Für diesen Unterrichtsabschnitt (siehe pdf-Dokumente) ist der Besuch der Gedenkstätte Bernburg oder einer anderen Gedenkstätte für Opfer der "Euthanasie" vorgesehen. Wo dies nicht möglich ist, kann auf der Basis von Dokumenten und Sekundärliteratur die Arbeitsweise der Zentrale der "Aktion T 4" rekonstruiert werden. Ausschnitte aus dem Filmen wie "Healing by killing" (Israel, 1996), "Selling Murder" (Großbritannien, 1991) oder "Der schöne, leichte Tod" (Deutschland, 1994) veranschaulichen dann die Einweisungsprozedur und den Tötungsprozess am Originalschauplatz in Bernburg.
Folgende Unterrichtsziele bieten sich an: