Liebe Leser*innen,
herzlich willkommen zum LaG-Magazin im November. Diese Ausgabe entstand als Kooperationsprojekt mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA). Thema ist das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus bzw. zwischen Antisemitismus- und Rassismusforschung. Wir haben uns um Beiträge bemüht, die Bezüge und Verbindungen zwischen den jeweiligen Phänomenen und Disziplinen herstellen. Dabei ging es uns auch darum, Tendenzen der Entsolidarisierung entgegenzuwirken, die sich seit einigen Jahren verstärkt bemerkbar machen, und die sich u.a. darin äußern, Aufmerksamkeit mehr oder weniger ausschließlich nur auf ein Phänomen zu richten, das heißt entweder auf Antisemitismus oder auf Rassismus.
Den Anfang macht ein Beitrag von Floris Biskamp, der die komplexe Konfliktdynamik hinsichtlich des Verhältnisses von Antisemitismus- und Rassismuskritik systematisch zu erfassen und gleichzeitig Strategien des solidarischen Umgangs zu entwerfen versucht. Dabei kommen aktuelle politische Konfliktlinien (Islam und Israel), jeweils spezifische theoretische Konzeptualisierungen (Kritische Theorie vs. Postkolonialismus, Weltbild vs. soziales Dominanzverhältnis) und das Problem moralisierender Debattenstile zur Sprache.
Der Beitrag von Jonas Herms knüpft hier in gewisser Weise an. Seine Beobachtung, dass das bisweilen schwierige Verhältnis zwischen Antisemitismus- und Rassismusforschung nicht zuletzt auf die Spannungen zwischen Kritischer Theorie und Postkolonialismus bzw. zwischen – wenn man so will – Ideologiekritik und Diskursanalyse zurückzuführen sei, wird ergänzt durch den Vorschlag, die jeweiligen theoretischen Ansätze auf produktive Weise aufeinander zu beziehen.
Auch Markus End befasst sich mit theoretisch-methodischen Ansätzen. Im Mittelpunkt steht die Kritische Theorie, und zwar das Kapitel „Elemente des Antisemitismus“ aus der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno. Hier – so die Pointe von Ends Beitrag – finde sich nicht nur eine Analyse des Antisemitismus, sondern auch produktive Hinweise bzgl. der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Antisemitismus und anderen Formen des Ressentiments (Rassismus, Antiziganismus, Sexismus).
Rosa Fava schließlich plädiert in ihrem Beitrag für eine nicht-isolierende und gleichermaßen differenzierte Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus im Rahmen der Bildungsarbeit. Dabei bezieht sie sich u.a. auf die Tagebuchaufzeichnungen von Victor Klemperer, die 1947 unter dem Titel „Lingua Tertii Imperii“ (Die Sprache des Dritten Reiches) publiziert wurden, und in denen u.a. auf die koloniale Herkunft des Begriffs Konzentrationslager verwiesen wird.
Während der Arbeit an dieser Ausgabe von "Lernen aus der Geschichte" beschäftigte uns die Frage, wann und warum sich Antisemitismus- und Rassismusforschung als jeweils eigenständige Disziplinen mit entsprechenden Definitionen, Konzepten und Theorien ausdifferenziert haben. Um dieser Frage nachzugehen, haben wir mit Bryan Cheyette und Michael Rothberg gesprochen, und zwar in Form eines E-Mail-Gesprächs. Beide Diskutanten haben sich in ihren Forschungen ausführlich mit der Geschichte wechselseitiger Bezugnahmen bzw. inter- oder transdisziplinären Denkens hinsichtlich der Analyse von Antisemitismus und Rassismus befasst. Ihre Arbeiten stehen für verflechtungsgeschichtliche Ansätze, die die disziplinären Grenzen zwischen Rassismus- und Antisemitismusforschung, Holocaust Studies und Postcolonial Studies, Jewish History und Black History in Frage stellen (Michael Rothbergs Buch „Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization“ wird vermutlich im kommenden Jahr in deutscher Sprache erscheinen). Wir danken Bryan und Michael für Ihre Bereitschaft, Ihre Überlegungen und Gedanken mit uns zu teilen. Das E-Mail-Gespräch führte Felix Axster.
In einem weiteren E-Mail-Gespräch haben wir acht Expert*innen gebeten, gemeinsam über das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus bzw. vor allem über die Debatte um dieses Verhältnis nachzudenken, die gegenwärtig oftmals sehr polemisch geführt wird und nicht zuletzt von wechselseitigen Antisemitismus- und Rassismusvorwürfen gekennzeichnet ist – sei es in wissenschaftlichen oder aktivistischen Kontexten, in der Parteipolitik oder im Feuilleton. Die Diskussion dauerte mehrere Wochen an. Wir hatten uns vorher drei Themenblöcke mit entsprechenden Fragen überlegt, wollten aber auch Platz für gedankliche Ausflüge und spontane Reaktionen lassen. Entstanden ist – so hat es ein Teilnehmer in einer Anrede formuliert – ein „Denkraum“, an dem wir gerne weiter bauen würden.
Uns war bewusst, dass dieses Gespräch auch eine Zumutung sein würde, insbesondere aufgrund der gestreckten Zeit (wie bereits gesagt dauerte das Gespräch mehrere Wochen). Es war vermutlich für die Beteiligten nicht leicht, sich gedanklich zu fokussieren, das Gespräch zu verfolgen, sozusagen auf dem Stand zu bleiben. Umso mehr freuen wir uns über das Zustandekommen und danken allen Teilnehmenden für die Bereitschaft, sich auf das Format einzulassen. Der Umstand, dass Anzahl und Länge der Beiträge durchaus variieren, hat u.a. damit zu tun, dass nicht alle Teilnehmer*innen von Anfang an dabei waren. Das Gespräch führten Felix Axster und Ingolf Seidel.
Wir bedanken uns bei allen Autor*innen und Diskutant*innen für ihre Mitarbeit.
Das nächste LaG-Magazin zu „Polizei in der DDR“ erscheint am 18. Dezember 2019.
Wir wünschen Ihnen eine ertragreiche Lektüre,
Ihre LaG-Redaktion