Das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung stellte im September 2011 die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Bild des Islam in Unterrichtspublikationen vor. Die vorliegende Kurzversion der Studie fasst wesentliche Untersuchungsresultate zusammen und gibt Empfehlungen für künftige Schulbücher.
Das Fazit ist eindeutig: „Heutige Schulbücher europäischer Länder halten an vereinfachenden Darstellungen des Islam fest und verstetigen damit die Wahrnehmung von Musliminnen und Muslimen als (vorwiegend) religiös markiertem Kollektiv außereuropäischer 'Anderer'“ (S. 3). Zu diesem Schluss kommen die Autor/innen Susanne Kröhnert-Othman, Melanie Kamp und Constantin Wagner nach der Analyse von Schulbüchern aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und England. In allen Ländern überwiege ein Bild, welches Europa und den Islam in zwei voneinander verschiedene Einheiten trenne und somit wenig Raum für deren komplexe Beziehungsgeschichte lasse. Ursache für diese vereinfachende Sicht sei eine mangelhafte Unterscheidung zwischen dem „Islam als religiösem Modell und muslimisch geprägten kulturellen und politischen Praxen“ (S. 3). Generalisierend wird der Islam dabei als antiquiertes Regelsystem dargestellt, welches so gut wie unveränderlich sei. Auf diese Weise können Schülerinnen und Schüler allerdings den Eindruck erhalten, muslimische Bürger Europas seien qua ihrer Religion anders, vormodern und folglich nicht zugehörig zu einem vermeintlichen einheitlichen Wertesystem.
Die Studie wurde angeregt durch die andauernden Debatten um die Integration von Musliminnen und Muslimen in Deutschland und anderen Ländern Europas. Die Autor/innen gehen davon aus, dass die Schule und der schulische Unterricht eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung gesellschaftlich anerkannten Wissens spielen. Folglich bilden staatlich genehmigte Schulbücher wie kaum ein anderes Medium diesen Konsens ab. Kröhnert-Othman, Kamp und Wagner untersuchten gemeinsam 24 Schulbücher für den Geschichts- und Politikunterricht der Sekundarstufen I und II aus dem Erscheinungszeitraum 2005 bis 2010. Dabei fokussierten sie vor allem auf die Frage, inwiefern die Schulbücher in der Lage seien, bei Schülerinnen und Schülern ein „differenziertes Verständnis von Religion und Kultur in Geschichte und Gesellschaft auszuprägen, das nicht zum Ausschluss oder Selbstausschluss von Musliminnen und Muslimen als religiös markierter Gruppe führt“ (S. 4).
Die Untersuchung zeigt, dass die Geschichte und die Gegenwart des Islam insgesamt wenig kontinuierlich im Unterricht behandelt werden. Europäische Schulbücher thematisieren Musliminnen und Muslime lediglich punktuell, wobei Darstellungen zur islamischen Kultur und Geschichte im Mittelalter dominieren. Angesichts der Fülle der untersuchten Schulbücher sind zusammenfassende Schlüsse notwendigerweise verallgemeinernd: So finden sich in jedem Land positive Beispiele für eine differenzierende Islamdarstellung, wobei die pauschalisierenden Erzählungen eindeutig dominieren, so die Autor/innen. Drei Charakteristika ragen hierbei heraus: Entzeitlichung, Homogenisierung und Essentialisierung. Unter dem ersten Begriff fassen die Autor/innen zusammen, dass der Islam als Religion dargestellt werde, die sich seit Jahrhunderten kaum verändert hätte. Muslime und Musliminnen würden sich ausschließlich an den eindeutigen Regeln des Koran orientieren und in vormodernen Lebensformen verharren. Mit Homogenisierung meinen die Autor/innen die Konstruktion der muslimischen Anderen, die einem durchaus vielfältigen Christentum gegenüber stehen. In dieser Lesart wird vor allem eine konfrontative Geschichte zweier gegensätzlicher Kulturen erzählt, bei der Kontakte und gegenseitiger Austausch überwiegend ausgeblendet bleiben. Unter dem dritten Stichwort Essentialisierung subsumieren die Autor/innen die fast durchgängige Assoziierung des Islam in der Gegenwart mit dem Thema Konflikt. Dabei fällt auf, dass die Konstruktion der Konfliktlinien oftmals zwischen der islamischen Welt und dem Westen verlaufen, also erneut eine zweigeteilte Weltsicht den Inhalt der Schulbücher bestimme. Wie bereits angedeutet, finden sich auch Schulbuchtexte, in denen der Versuch unternommen wird, zu differenzieren und eindeutige Antworten zu umgehen. Zu denken gibt hierbei jedoch der Kommentar der Autor/innen, dass es offenbar eine Notwendigkeit für solche positiven Beispiele gebe. Anscheinend müsse im Zusammenhang mit dem Islam etwas erklärt werden, was beim Christentum nicht hinterfragt werde.
Auf die Beschreibung des Status Quo folgen eine Reihe von Empfehlungen der Autor/innen für zukünftige Schulbücher. An erster Stelle steht dabei die Forderung, dass eine Veränderung nur erreicht werden könne durch eine „Darstellung der muslimischen Dimension Europas, eine differenzierte Betrachtung der muslimischen Vielfalt und durch die Thematisierung von Säkularisierung in islamischen Gesellschaften“ (S. 22). So könne etwa verstärkt die Präsenz des Islam in Europa, beispielsweise in Südosteuropa behandelt werden oder der Beitrag muslimischer Zivilisationen zur europäischen Entwicklung. Anhand prominenter Persönlichkeiten könnten Varianten kultureller Hybridität im heutigen Europa oder den USA erläutert werden, die sicher auch der Realität des interkulturellen Klassenzimmers stärker gerecht würden. Es bleibt abzuwarten, ob diese und andere Forderungen Einzug in zukünftige Schulbücher halten werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es den Autor/innen der Studie gelungen ist, durch den innereuropäischen Vergleich gemeinsame Darstellungsformen zu identifizieren und Schwachstellen bei existierenden Schulbüchern aufzuzeigen. Einzig irritierend ist allerdings, warum die Auswahl der untersuchten Publikationen auf westeuropäische Schulbücher beschränkt wurde. Ein Bild des Islam im europäischen Rahmen erfüllt auf diese Weise den selbstgestellten Anspruch auf Vollständigkeit nicht. Was ist mit den Ländern Südosteuropas oder mit Russland oder der Ukraine, also Staaten mit bedeutender muslimischer Bevölkerung? Es wäre sicher eine Bereicherung für die Studie gewesen, auch Schulbücher aus den hier ausgeblendeten Ländern zu konsultieren und die Analyse somit tatsächlich auf eine europäische Ebene zu hieven.
Eine sinnvolle Ergänzung zur aktuellen Untersuchung stellt die Ausgabe 3/2004 der Zeitschrift für internationale Schulbuchforschung des Georg-Eckert-Instituts dar. Unter dem Titel „Der Islam in deutschen Schulbüchern (1995-2002)“ wurden detailliert Schulbücher der Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde/Politik und Religionsunterricht analysiert. Der Aufsatz von Neşe Ihtiyar, Safiye Jalil und Pia Zumbrink lässt sich als ergänzende Vertiefung zur oben vorgestellten Studie lesen. Die Zeitschrift kann nur noch als Restexemplar für € 8 direkt über die Bibliothek des Georg-Eckert-Instituts (bibauskunft [at] gei [dot] de) bezogen werden.