Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
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„Unter dem Hakenkreuz“ ist eine auf zehn Bände angelegte Comicreihe, von denen bisher drei erschienen sind. Der erste Band „Der letzte Frühling“ führt die Hauptperson Martin Mahner ein und spielt in einer deutschen Kleinstadt des Jahres 1932. Martin steht kurz vor dem Abitur und interessiert sich weniger für die Zukunftsvorstellungen, die sein Vater für ihn hat, sondern für Literatur und Theater. Der Vater ist als deutschnational charakterisiert und bringt alle Werte mit, die ihn später zu einem angepassten Mitläufer der Nationalsozialisten machen.
Martin ist ein schüchterner junger Mann. Für seine erste Liebe, Katharina, schwärmt er verschämt, weshalb sie sich auch eher in Martins draufgängerischen Freund Gunther verliebt. Erst im weiteren Verlauf der Handlung wird deutlich, dass Katharina Jüdin ist. Gunther geht, es ist das Jahr 1933, zunehmend auf Distanz zu Katharina und trennt sich schließlich von ihr, während Martin die Freundin vor pöbelnden SA-Männern in Schutz nimmt. Der erste Band endet in der Atmosphäre des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland. Martin, der junge Protagonist ist sichtlich bewegt von der Kälte mit der seine Landsleute auf die Ausgrenzung der Juden reagieren und ist zwischen Anpassung, Furcht und Abscheu hin und her gerissen.
„Ein Sommer in Paris“ beginnt am 1. September 1938. Martin hat Deutschland verlassen. Er plant in Paris seine Doktorarbeit zu schreiben, wo sich in dieser Zeit eine bunte Mischung aus deutschen Intellektuellen und Künstlern niedergelassen hat. Diese Exilantinnen und Exilanten – in der Mehrzahl vor dem Terror in Deutschland Geflohene – fristen ihr Leben häufig in Armut. Sie führen die politischen Streitigkeiten aus der Heimat vehement weiter, manche sympathisieren auch mit dem NS-Regime oder werden unter dem Druck der französischen Behörden zu Spitzeln. Martin trifft auch Katharina wieder, die jetzt unter dem Namen Cathérine lebt. Im Zuge des Deutschen Überfalls auf Polen werden etliche Deutsche im ehemaligen Olympiastadion von Colombes interniert, darunter auch Martin. Er entscheidet sich, anders als aus politischen Gründen Internierte, zu einer Rückkehr nach Deutschland, wo ihn bereits sein Einberufungsbefehl erwartet. Der Band endet mit einer Szene in der Katharina dem bereits abgereisten Martin ein Päckchen in Colombes zukommen lassen will und dabei von zwei französischen Arbeitern als Flittchen beschimpft wird.
In „Maria“ ist Martin nach Frankreich zurückgekehrt, dieses Mal als Wehrmachtssoldat im Südosten Frankreichs. Es ist das Jahr 1943. Martin und Katharina führen ihre Beziehung an der französischen Riviera weiter. Sie leben in Furcht, Maria könnte als Jüdin entdeckt werden. Martin erwägt zu desertieren, sollte er an die brüchige Ostfront versetzt werden. Währenddessen entschließt sich Maria, eine Freundin aus Martins Pariser Zeit, zur Unterstützung von widerständischen Aktivitäten in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt, wo sie mit ihrer Tochter Alicia lebt. Maria gerät in ein Gewirr von Bespitzelung durch die Gestapo, die nach den Verfassern von oppositionellen Flugblättern fahndet, und dem Opportunismus der Mehrzahl der Deutschen. Aber sie lernt auch Otto kennen, den Verfasser der Flugschriften. Am Ende des Bandes werden beide hingerichtet.
„Der letzte Frühling“ wurde nach seinem Erscheinen in Frankreich bei mehreren Comicfestivals in Montréal, Genève und Angoulême ausgezeichnet. In Französisch ist die Reihe unter dem Titel „Amours fragiles“ erschienen. Der Zeichner Jean-Miche Beuriot und der Texter Philippe Richelle fangen sehr gut die Atmosphäre der 1930er Jahre ein. Sie zeigen die vielen Dilemmata und Entscheidungen, vor denen die Hauptpersonen im Angesicht der sich ausbreitenden Aggression und des Krieges der Nationalsozialisten stehen. Fragen nach Anpassung, Widerstand oder nach gleichgültigem Weitermachen haben sich, wenn mit einem unterschiedlichen Hintergrund im besetzten Land, sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland den Zeitgenossen gestellt.
Die vielfältigen Perspektiven, die die Personen in der Comicreihe einnehmen und repräsentieren machen aus den Bänden einen Fundus für die historisch-politische Bildung. Die Hauptpersonen eignen sich gut zur Identifikation und es sind sowohl französische, als auch deutsche Charaktere in Ambivalenzen verstrickt. Auch Nebenpersonen sind gut charakterisiert und erhalten eigene Handlungsstränge. Die vorliegende Reihe ist sicherlich vor allem für Jugendliche ab 15 Jahre von Interesse. Gleichzeitig ist das Werk – wie viele Graphic Novels - sehr anspruchsvoll, er arbeitet mit unterschiedlichen zeitlichen Rückblenden und erfordert beim Lesen eine gewisse Konzentration. Das Medium Comic oder Graphic Novel eignet sich ohnehin nicht zwangsläufig für eine Geschichtsvermittlung in bildungsbenachteiligten Lerngruppen. In einem solchen Zusammenhang lohnt sich aber die Mühe, sich einzelne Handlungsstränge herauszusuchen und im Unterricht oder in einem Projekt zu erarbeiten.
Eine Leseprobe finden Sie online.