„Eine E-Mail-Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza“ lautet der Untertitel der deutschen Ausgabe, wohl um den sperrigen Titeln, mit denen man dieses Jugendbuch versehen hat, einen weiteren umständlichen hinzuzufügen. Immerhin haben alle drei etwas mit dem Inhalt zu tun.
Dieser verspricht Originalität und Spannung. Die siebzehnjährige Tal aus Jerusalem, aufgewachsen bei Eltern, die der israelischen Friedensbewegung nahe stehen, wird durch ein Selbstmordattentat in ihrem Lieblingscafé erschüttert und wachgerüttelt. Etwas muss geschehen. Liberal geprägt, wie sie ist, fasst sie den Entschluss, mit dem ‚Feind’ Kontakt aufzunehmen. Das ist alles andere als einfach, aber in ihrem Drang, handeln und sich zu Wort melden zu müssen, entwickelt sie einen verrückten Plan. Sie wird alles, was sie zu diesem Thema bewegt, aufschreiben, das Ganze zusammengerollt in eine Flasche stecken, diese verkorken und bei Gaza ins Meer werfen, in der Hoffnung, dass ein palästinensisches Mädchen die Flaschenpost finden und dann mit ihr per E-Mail Kontakt aufnehmen wird.
Günstig für diese fantastische Idee ist es, dass Tals Bruder Eytan zurzeit Militärdienst im Gaza-Streifen leistet. Um das Ganze sozusagen mit dem Segen des Himmels zu versehen, nimmt Tal nicht irgendeine Flasche, sondern die Champagnerflasche, mit dessen Inhalt ihre Eltern fast auf den Tag genau zehn Jahre vor dem Attentat den öffentlichen Händedruck zwischen Arafat und Rabin begossen haben. Das Glück von damals soll die Mauer der Feindseligkeit brechen helfen. Es verhilft ihr zunächst einmal dazu, den höchst widerstrebenden Eytan zum Mitmachen zu bewegen. Für Tal beginnt das Warten.
Eines Tages landet wirklich eine Mail in ihrem Postfach. Allerdings wurde sie nicht von einem Mädchen geschrieben, sondern von einem Mann, der sich einfach ‚Gazaman’ nennt. Besonders freundlich ist er auch nicht, im Gegenteil. Er äußert sich mit bösem Spott zu Tals friedensstiftender Privatinitiative. Aber Tal bleibt geduldig und im Lauf der Wochen kommen die beiden tatsächlich ins Gespräch.
In einer Abfolge von E-Mails und Reflexionen darüber bzw. Situationsbeschreibungen von Gazaman und Tal schildert die Autorin den bedrückenden Alltag im abgeriegelten Gaza-Streifen wie in Jerusalem. Das Gefühl der Bedrohung, das Eingesperrt - und Abhängigsein von der Besatzungsmacht werden in deutlichen Worten beschrieben, mit nicht wenig Zorn auf der einen und Ratlosigkeit und Mitgefühl auf der anderen Seite.
Die Stimmung der beiden jungen Leute ist so gut eingefangen, dass man sich als Leserin über weite Strecken mit beiden identifizieren kann.
Sehr klar gemacht wird auch, dass die beiden Individuen sind, dass sie nicht stellvertretend für alle Fehler der jeweils anderen Seite stehen, dass sie vor allem Menschen sind. Wie wichtig Kommunikation ist, wie wichtig Kontakt und Austausch sind, auch über Schmerzliches. Zugleich wird deutlich, wie fern und fremd die beiden Gesellschaften einander sind.
Die Sprache ist frisch, aber wohlformuliert, Gazaman schreibt direkt und frech, ‚Schnepfe’ ist eines seiner frühen Koseworte für Tal. Seine Kritik an ihren liberalen Überzeugungen, die trotz der Attentatserfahrung noch wenig Alltags-gestestet sind, trifft immer wieder ins Schwarze. Daneben gibt es lebendige und farbige Beschreibungen Jerusalems, aber auch des Gazastreifens. ‚Bei uns haben die Straßen auch Namen’, erklärt Gazaman energisch.
Spätestens im letzten Drittel des Buchs, als es zu einem weiteren Attentat, diesesmal in einem vollbesetzten Bus in Jerusalem kommt, verschiebt sich jedoch das Gleichgewicht endgültig. Von da an steht Tal im Mittelpunkt. Ab hier wird auch deutlicher, dass es bei allem Bemühen um Verständigung selbst auf dieser privaten Ebene doch um Vorleistungen der palästinensischen Seite geht. Selbstverständlich kann Gazaman hebräisch, Tal kommt nicht im Entferntesten auf den Gedanken, arabisch zu lernen. Gazaman muss im öffentlichen Internet-Café fanatische Moslems fürchten, Tal hält die Korrespondenz aus privaten und zum Teil selbstsüchtigen Gründen geheim, sie will die Einmischung ihrer Eltern und die mögliche Eifersucht ihres Freundes nicht riskieren.
Diskutiert, und das zu Recht, wird die Traumatisierung beider Gesellschaften, der palästinensischen wie der israelischen, durch den dauernden Kriegszustand. Der palästinensische scheint jedoch auf vage Weise stärker pathologisch zu sein als der andere. Es sind leichte, in manchen Fällen nicht recht fassbare Verschiebungen, aber sie ballen sich und verändern damit die Gewichtung.
Das Ende ist in mehrerer Hinsicht unbefriedigend. Zum einen überzeugt die Lösung des großen Rätsels, wieso ausgerechnet Gazaman die Flaschenpost gefunden hat, nicht. Eigenartig rosa gefärbt wird seine Geschichte erzählt. Seine Zeit, die er, siebzehnjährig, selig als Hilfsarbeiter auf israelischen Baustellen verbracht hat, hat zudem einen starken Touch von ‚glücklicher Sklave im Dienst glücklicher Herren’. Dass er in einer israelischen Familie mit offenen Armen aufgenommen wurde, sei mal dahin gestellt, dass er sich dort (unglücklich) in die Tochter des Hauses verliebte, ließ bei mir die Frage aufkommen, ob sich die Autorin nicht kurzzeitig im Genre geirrt hat und mitten im Schreiben bei den Romanzen fremdgegangen ist. Der Schluss, als sich Gazaman entscheidet, zum Psychologiestudium ins Ausland zu gehen, um später ‚seinem Volk’ zu helfen, ist schön gedacht, heißt realiter aber nur, dass es einen Palästinenser weniger geben wird im Gaza-Streifen. Ob er je wieder wird einreisen dürfen, liegt ohnehin nicht in seiner Hand.
Im Gegenzug wird nicht ehrlich diskutiert, was die friedensbewegte Tal tun wird, die ja nur noch ein Jahr von ihrem Militärdienst trennt. Das läßt die Autorin ihre Protagonistin der Zukunft überlassen. Ernsten Fragen weicht sie also aus.
Bei aller Friedensbereitschaft ist der Roman doch subtil parteiisch.
Eine durchaus bewegende Geschichte, die einer trotz des verrückt-fantastischen Plots die Augen über vieles im Alltag in Palästina öffnen kann, darunter die freundliche israelische Friedensbewegung, mit einem leider äußerst unbefriedigenden Ende.
Die Übersetzung liest sich sehr flüssig, leider wurde nicht auf die Form der Namen geachtet, sie wurden direkt aus dem Französischen übernommen. Man muss also mit ‚Levine’ statt ‚Levin’ leben, mit ‚Yacine’ statt ‚Yasin’, mit ‚Eytan’ statt ‚Etan’ und, da musste ich wirklich lachen, mit ‚Ouri’ statt ‚Uri’.
Diese Rezension von Magali Heißler erschien erstmals auf dem Portal Büchereule: http://www.buechereule.de/wbb2/thread.php?threadid=40305
Begleitend zum Buch hat der Verlag (dtv) umfangreiches Unterrichtsmaterial für die Klassenstufen 9-12 erarbeiten lassen. Neben detaillierten Inhaltsangaben werden sowohl methodische Anregungen als auch historische Hintergrundinformationen zum Nahostkonflikt bereitgestellt.