Nach dem Zerfall der Sowjetunion befanden sich die Beziehungen zwischen Polen und Russland im Spannungsfeld von Versöhnung und Verschlechterung. Ein erster Schritt zur Annäherung war die gemeinsame Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn. Die Regierungschefs Donald Tusk und Wladimir Putin erinnerten an die Opfer und betonten die Wichtigkeit des Gedenkens. Der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im Anflug auf Smolensk überschattete diesen historischen Moment. Wir möchten Sie auf zwei Artikel hinweisen, die vor dem Flugzeugunglück über die polnisch-russischen Beziehungen entstanden sind. Sie können dabei helfen, die Bedeutung der aktuellen Ereignisse vor dem Hintergrund der spannungsreichen Geschichte zu verstehen.
Jacek Cichocki, Staatssekretär in der Kanzlei des Ministerpräsidenten und Wojciech Kononczuk, Mitarbeiter am Zentrum für Oststudien in Warschau, geben in ihrem Artikel einen Überblick über die Geschichte des polnisch-russisches Verhältnisses seit 1990. Sie stellen dar, welch herausragende Rolle beide Länder der Geschichte zuwiesen. Die Beschäftigung mit Katyn ist jedoch von einer Asymmetrie gekennzeichnet. Im Jahre 2000 wurde in Katyn ein Militärfriedhof errichtet, womit die Angelegenheit für Russland geklärt zu sein schien. Polen bestand jedoch weiter auf einer vollständigen Aufklärung des Verbrechens. Auch die teils verschiedenen Deutungen des sowjetischen Einmarsches in Polen am 17. September 1939 und der polnische Umgang mit alten sowjetischen Ehrenmalen belasteten die gegenseitigen Beziehungen.
Seit Beginn der 1990er Jahre setzte sich jede polnische Regierung die Verbesserung der Beziehungen zum östlichen Nachbarn zum Ziel. Die Beitritte Polens zur EU und zur NATO waren jedoch diesem Anliegen nicht förderlich. Auch der Bau einer Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland wirkte sich negativ auf eine mögliche Versöhnung aus. Im Zuge des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn schien eine Wende möglich. Die gemeinsame Gedenkfeier von Tusk und Putin wurde in Polen anerkennend aufgenommen. Nach dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine über Smolensk sprach der russische Präsident Medwedjew den Polen sein Beileid aus. Eine Geste, die auf dem Weg zur Versöhnung, von hoher Bedeutung ist.
Der polnische Publizist und Historiker Adam Krzeminski fragt in seinem Artikel nach den Ursachen der Versöhnungsgesten vom April 2010. Für ihn stellt die Beteiligung des russischen Ministerpräsidenten Putin einen Meilenstein auf dem Weg der Versöhnung dar. Vorherige Bemühungen wie die offizielle Bitte um Vergebung von Boris Jelzin oder das Schuldbekenntnis von Michail Gorbatschow seien, so Krzeminski, aus strategischen Erwägungen heraus entstanden.
Die Wahl Donald Tusks zum polnischen Ministerpräsidenten im November 2007 markierte eine Wende im bilateralen Verhältnis. Die polnisch-russische „Kommission für schwierige Fragen“ wurde wieder eingesetzt und Tusk lud seinen Kollegen Putin sogar zu den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestage des Kriegsbeginns nach Danzig ein. Diese Geste war keine Selbstverständlichkeit, denn in beiden Ländern dominieren völlig unterschiedliche Geschichtsbilder über den Zweiten Weltkrieg. Demnach sieht sich Russland als Befreier Polens von der deutschen Besatzung, während Polen die Russen als zweiten Besatzer betrachtet. Der Hitler-Stalin-Pakt hatte das Land zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion aufgeteilt und die Grundlage für das spätere Massaker von Katyn gelegt. Putins Vorstoß in Richtung einer Versöhnung ist für Krzeminski ein Zeichen dafür, dass Russland sich in einer neuen Phase der Entstalinisierung befindet.
Auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung finden Sie den Artikel von Jacek Cichocki und Wojciech Kononczuk über die polnischen Beziehungen zu Russland.
Hier können Sie den Zeit-Artikel von Adam Krzeminski über die Frage der Versöhnung zwischen den beiden Ländern lesen.