Zeitgeschichtliche Historienfilme wie der "Der Untergang", "Das Leben der Anderen" oder "Der Baader-Meinhof-Komplex" streben nach authentischer Darstellung ihres Gegenstandes.
Sie versuchen das meist mit den Mitteln des Illusionskinos, also der möglichst vollständigen Identifikation der Zuschauer mit den filmischen Protagonisten und der Darstellung der Spielhandlung als (außerfilmische) Realität. Der kategorische Bruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird dabei durch die dichte filmische Erzählung überspielt.
Gelegentliche filmische Hilfsmittel zur Verdeutlichung der geschichtlichen Distanz wie Rückblende (zumeist am Anfang oder Ende des Films), unterschiedliche Kolorierung oder einfach ein textlicher Verweis auf die historischen Quellen der Thematik reichen kaum aus, um die bildgewaltige Gegenwart der filmischen Inszenierung zurechtzurücken.
Dennoch wäre die Geschichtsdidaktik schlecht beraten, wenn sie den erzähltechnisch ausgefeilten, affektiven und emotionalen Zugang des Films zur Historie einfach durch eine analytische Betrachtung korrigieren wollte. Die Stärke des filmischen Mediums liegt gerade darin, dem Dargestellten eine Lebendigkeit einzuhauchen, die anderen Medien so nicht zur Verfügung steht.
Diese Vorgehensweise mag mitunter schwer fallen, da viele Filme der historischen Thematik, zumal dem Nationalsozialismus und dem Massenmord an den europäischen Juden, nicht gerecht zu werden vermögen bzw. ihr notwendiges Scheitern angesichts der unmäßigen Gewalt kaum reflektieren.
Eine gehaltvolle Kritik an weniger gelungenen Darstellungen, wie sie beispielsweise einem aufwendig inszenierten Film wie "Der Untergang" nachgesagt werden kann, stellt sich kaum durch die Zerlegung des Films in seine inszenatorischen Bestandteile wie Schnitt, Montage, Ton, Beleuchtung, Narration etc. ein. Vielmehr kommt es darauf an, die Rezipient/innen als Teil des Films in die Besprechung einzubeziehen. Da sich der Film im Grunde erst im Betrachten realisiert, ist das Reden über Wahrnehmungen nicht als Nebensache der Filmanalyse, dem die "eigentliche" Wirkung des Films gegenüber steht, zu verstehen. Weshalb der Kinobesuch wie er durch die diversen länderspezifischen Schulfilmprogramme "Kino macht Schule" gefördert wird, zu einem elementaren Bestandteil des Mediums gerechnet werden muss. (Zum aktuellen Programm von [node:7600].)
Mann kann sich das beispielsweise an Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds" verdeutlichen. Der Film beginnt mit einer emotional sehr intensiven Szene, in der Col. Hans Landa (Christopher Waltz) in einer kaum zu überbietenden Perfidie, das Versteck einer jüdischen Familie ausfindig macht und seine Einheit die unwissenden Personen erschießt. Nur eine junge Frau (Mélanie Laurent) kann entkommen, man sieht sie lange durch eine offene Tür in die Weite der Landschaft rennen. Landa, der sie im Visier seiner Pistole hat, "verschont" sie, weil er sich seines Erfolges, auch dieses Opfer zur Strecke zu bringen, sicher ist.
In Abgrenzung zu dieser sadistischen Aktion wird damit das Motiv des Films, die Rachelust mit der eine Truppe jüdischer Amerikaner Nazis hinter der Front hinmeuchelt, in Szene gesetzt. Es ist diese emotionale Filmerfahrung, die auch in einer Analyse des Films als Erfahrung der Rezipient/innen zu thematisieren ist und nicht einfach als ein Effekt der Apparatur.
Filmerfahrungen sind selbstverständlich von den Einzelnen abhängig und sicher auch für diese Sequenz nicht eindeutig. Hinzu kommt, dass das Medium Film, und Tarantinos "Inglorious Basterds" insbesondere, mehr zu bieten haben. Das wird an der Doppelbödigkeit der geschilderten Sequenz deutlich. Tarantino hält sowohl durch die verwendete Musik (Enrico Morricone), den eingeblendeten Titel (Once upon a time in Nazi-occupied France) sowie durch die Landschaft (Milchbauernhof) Anspielungen auf das Western-Genre bereit, die das historische Thema konterkarieren bzw. einen genrespezifischen Zugang zur Thematik eröffnen.
Durch diesen genrespezifischen Verfremdungseffekt unterscheidet sich seine Geschichtsinszenierung von der des Eingangs benannten Illusionskinos. Schon in der Eröffnungssequenz vermischt sich die Wucht einer emotionalen Filmerfahrung mit der Vermittlung des historischen Schreckens durch die mediale Vermittlung der Geschichte selbst. Man kann in der Interpretation darüber spekulieren, ob die Verwendung des Westerngenres ein selbstreflexiver Zugang von Tarantino zur NS-Zeit ist oder der Regisseur die Thematik nur benutzt um sein bekanntes Rachemotiv (wie in Kill Bill Vol. I&II) zu variieren.
In jedem Fall enthält der Film schon eine reflexive Ebene, die nicht erst von außen durch die Pädagogik an die Spielhandlung herangetragen werden muss. Zu dieser reflexiven Ebene zählt allgemein ebenfalls das Setting des Kinos, als geschützter öffentlicher Raum, in dem Bildungserfahrungen möglich sind, die ohne dieses Setting gar nicht vorstellbar wären. Pädagogik kann darauf zurückgreifen, ohne sich große Wunder davon zu erwarten, da der soziale Rahmen der Rezipient/innen die Filmwahrnehmung doch entscheidend beeinflusst. Für die didaktische und eben auch geschichtsdidaktischen Arbeit bedeutet es aber, dem Medium mehr zuzutrauen als die bloße Bebilderung von Geschichte.