Die Umweltprobleme der DDR waren mannigfaltig: Der saure Regen, der ehemals bewaldete Gipfel in den Wäldern kahl werden ließ, was den Begriff „Waldsterben“ unmittelbar erlebbar machte. Verantwortlich dafür, dass seine Auswirkungen in unserem Land ungleich stärker zu spüren waren, waren fehlende Filteranlagen in den Kohlekraftwerken und das Fehlen von Katalysatoren in den in der DDR und im Ostblock produzierten Kraftfahrzeugen. Während man im Westen auf ähnliche Probleme mit Smog-Alarm und einem Zurückfahren der Produktion reagierte, wurde in der DDR munter weitergemacht. Eine bis zu fünffach stärkere Belastung der Luft und daraus resultierende Haut- und Atemwegskrankheiten waren die Folge.
Hinzu kamen verseuchte Flüsse, verursacht durch das Einleiten unbehandelter Abwässer der chemischen Industrie. Industrieabfälle lagerten in unzulänglich abgesicherten Mülldeponien. Dieses Thema bekam für uns eine besondere Bedeutung, als die Bundesrepublik die chronisch an Geldmangel leidende DDR als geeignete Abnehmerin für Sondermüll entdeckte und diesen gegen Devisen (D-Mark) günstig auf Ost-Deponien zu entsorgen begann. Mit dieser Praxis erlebten wir am eigenen Leib, was für die sogenannte „Dritte Welt“ längst Alltag war und bis heute Praxis in einer globalisierten Welt ist.
Ich bin nicht nur DDR-Jugendlicher, sondern ebenso Teil einer Generation, die in Ost wie West unter dem Eindruck verschiedenster massiver menschengemachter Bedrohungen aufwuchs: Da war das Ozonloch, welches sich unaufhaltsam über dem Südpol auszudehnen drohte, und damit die UVB-Strahlungen ungefiltert auf Lebewesen treffen ließ, mit den bekannten krebsfördernden Folgen. Es gab Dünnsäure-Verklappung in den Weltmeeren, mit katastrophalen Konsequenzen für Fische und andere Lebewesen. Weit entfernt waren zwar die oberirdischen Tests von Atombomben auf Pazifikinseln, aber sie hielten uns anschaulich das Vernichtungspotenzial solcher Waffen vor Augen: Die allgegenwärtige Bedrohung eines möglichen Atomkrieges traumatisierte letztlich eine ganze Generation.
Da wir in der DDR größtenteils auch Westfernsehen empfangen oder Radio aus der freien Welt hören konnten, wussten diejenigen, die es wissen wollten, dass unsere Welt mehrfach nur knapp der atomaren Vernichtung entging. Entsprechend war unsere Zukunftsangst nicht vorrangig mit den Folgen einer sich immer mehr erwärmenden Atmosphäre verbunden, sondern wir sahen uns der deutlich akuteren Bedrohung eines atomaren Winters ausgesetzt. Ausgelöst von atomaren Explosionen, welche durch ihre Wucht Tonnen von Staub in die Atmosphäre gewirbelt und gemeinsam mit dem Rauch flächendeckender Waldbrände die Welt für längere Zeit verdunkelt hätten. Vor diesem Hintergrund geisterten dystopische bis romantische Fantasien durch unsere Köpfe, wie wir in der zerstörten, verstrahlten Welt um unser Überleben würden kämpfen müssen. Der dann tatsächlich eintretende Super-GAU im Atomkraftwerk in Tschernobyl 1986 bestätigte unsere Befürchtungen hinsichtlich der atomaren Bedrohung auf andere Weise. Während im Westen faktenbasiert berichtet wurde, wiegelte die Staatsführung der DDR über ihre gelenkten Medien ab und verharmloste das Problem. Diese Informationspolitik, welche die Gesundheit der eigenen Bevölkerung so fahrlässig aufs Spiel setzte, empörte viele. Denn dass eine atomare Wolke in unsere Richtung zu ziehen drohte, entging trotz der Informationsbeschränkung den Wenigsten und monatelang beschäftigte uns, was noch unbedenklich gegessen werden konnte und wovon wir besser die Finger lassen sollten. Die Gefährdungslage schuf in vielen Köpfen auch in der DDR eine Hoffnungslosigkeit, welche uns als No-Future-Generation in die Geschichte eingehen ließ.
In einem Land, in dem eine Partei (in der DDR die SED – Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) den alleinigen Führungsanspruch hat und für sich beansprucht, immer Recht zu haben, gestaltet sich Widerstand gegen Probleme wie Umweltzerstörung naturgemäß schwierig. So waren Engagement und Aktionen immer ein Balanceakt zwischen dem Versuch, eine breitere Öffentlichkeit über die tatsächliche Umweltsituation zu informieren – mit dem Ziel, Druck auf die Staatsführung auszuüben –, und dem Bestreben, nicht für längere Zeit im Gefängnis zu landen. Deshalb wurden Formate geschaffen wie etwa die Baumpflanzaktion von 50 Schüler*innen im Schweriner Plattenbaugebiet Großer Dreesch, in deren Verlauf über 5000 Bäume gepflanzt wurden. Hier hatte der Staat keine Handhabe einzuschreiten und vordergründig ließ sich aus der Aktion auch nichts Staatskritisches ableiten. Allerdings begannen die Jugendlichen nun, sich regelmäßig zu treffen und dabei heiklere Themen zu besprechen, wie den Uranabbau der Wismut oder das Waldsterben im Erzgebirge. Ihrem Vorbild folgten junge Menschen republikweit; sie hielten Umweltseminare ab und gründeten daraus nicht selten Umweltgruppen. Diese Aktionen lassen sich als Vorläufer der in den 1980er Jahren immer vielfältiger werdenden Umweltbewegung der DDR bezeichnen.
Wie man an Radsternfahrten und Fahrraddemos anlässlich selbst ausgerufener „autofreier Tage“ sieht, waren die Protestformen und -aktionen, trotz Verboten und Behinderungen durch Volkspolizei und Stasi (Staatssicherheit), gewaltfrei. Ziviler Widerstand fand nur in sehr engen Grenzen statt – wobei in einer Diktatur die Teilnahme an einer in der Regel nicht genehmigten Demonstration oder Mahnwache bereits als ziviler Widerstand zu bezeichnen ist.
Gruppen, welche sich für Umweltbelange engagierten, taten dies oftmals im Schutz von Gemeinden der evangelischen Kirche. Hier hatte der Staat nur begrenzten Zugriff, da es seit den 1970er Jahren eine informelle Vereinbarung gab, die darauf hinauslief, dass sich der Staat nicht in Kirchenbelange einmischte und die Kirche als solche unpolitisch blieb.
Deswegen nutzte auch die Gruppe der Umweltbibliothek Berlin (UB) die privaten Kellerräume des mutigen Pfarrers der Gemeinde der Zionskirche, Hans Simon, um eine Bibliothek aufzubauen. Diese bot die Möglichkeit, sich jenseits der kontrollierten Staatsmedien, vor allem mit Hilfe der aus der Bundesrepublik ins Land geschmuggelten Literatur, zu Umwelt- und Politikthemen zu informieren. Zudem veröffentlichten die Mitarbeiter*innen der UB eine eigene, regelmäßig erscheinende Zeitschrift namens Umweltblätter. Das wurde möglich, weil die Gruppe geschickt eine Lücke in der Gesetzgebung nutzte: Sie vermerkte auf jeder Ausgabe „Nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“ – was die Umweltblätter quasi zu einer Gemeindezeitschrift machte. Die Publikation konnte in einem Kellerraum über ein Verteilerregal, in dem viele Oppositionsgruppen ihr eigenes Fach hatten, direkt abgeholt und der kontrollierte Postweg so umgangen werden. Die UB veranstaltete zudem Umweltseminare und diente als Treffpunkt für ver schiedenste Oppositionsgruppen. Später entstand hier das ökologische Netzwerk Arche, welches sich später von der UB emanzipierte und im Gegensatz zu deren breiterer politischer Arbeit ökologische Themen in den Vordergrund stellte. Rückblickend lässt sich die UB in ihrem Anliegen der Aufklärung und Vernetzung, in ihrem Bedürfnis, Raum für Kultur zu schaffen und in der Gewährung der Möglichkeit, sich frei zu informieren, als so etwas wie ein analoges Internet ihrer Zeit beschreiben.
Anfang 1987, im Alter von 14 Jahren, hörte ich zum ersten Mal von der Umweltbibliothek auf einer Veranstaltung der Kirche von Unten, einer Vereinigung von Christen, die ihr Christsein im Gegensatz zur Amtskirche sehr politisch definierten. Als ich dann die Kellerräume der UB zum ersten Mal betrat, begegnete mir eine bunte Mischung von jungen Erwachsenen und Jugendlichen, die sich als chaotisch und links bis anarchistisch beschreiben lassen. Was uns in all unserer Unterschiedlichkeit verband, waren das Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit sowie die Bereitschaft, gegen erhebliche Widerstände und sich ausbreitende Hoffnungslosigkeit, uns für den Wandel hin zu einem besseren Land und letztlich auch hin zu einer gerechteren Welt einzusetzen, angelehnt an die Ideen eines demokratischen Sozialismus. Aus dem ersten Misstrauen dem Neuling gegenüber wurde bald freundliches Interesse und die Bereitschaft, mich an den täglichen Arbeiten zu beteiligen. So übernahm ich Ausleihdienste oder half beim Druck der Umweltblätter. Meine gesamte Freizeit verbrachte ich bald ausschließlich in der UB.
Im November 1987 versuchte der Staat, uns mithilfe sogenannter Inoffizieller Mitarbeiter*innen der Stasi, welche auch die UB unterwandert hatten, eine Falle zu stellen. Während einer Razzia sollten wir dabei erwischt werden, wie wir die – im Gegensatz zu den quasi legalen Umweltblättern – verbotene Zeitschrift grenzfall der Gruppe „Frieden und Menschenrechte“ drucken.
Ohne auf die Details der „Aktion Falle“ in der Nacht vom 24. zum 25. November eingehen zu wollen, lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Razzia für die Stasi ein Schlag ins Wasser war. Statt der Ost-Berliner Oppositionsszene einen Enthauptungsschlag zuzufügen, wurde es eine der größten Niederlagen der Staatssicherheit und ein Triumph der Opposition. Die UB erlangte durch die Berichterstattung der Westmedien schlagartig DDR-weite Bekanntheit und es misslang dem Staat, der sich rechtsstaatlich hatte geben wollte, die Bibliothek zu schließen. Sie hatte Bestand bis über das Ende der DDR hinaus und die Aktion wurde zu einem Fanal der Ermutigung für die in Folge erstarkenden oppositionellen Kräfte im Land.
Die in Folge der Wende am 18. März 1990 stattfindenden ersten und letzten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR begruben dann einerseits viele unserer idealistischen Vorstellungen vom Wandel, waren aber andererseits der Weg zu Demokratie und Freiheit in einem wiedervereinigten Land. Das Bündnis 90, Träger der DDR-Opposition, erreichte bei diesen Wahlen bei 2,9%; die Allianz für Deutschland, ein Bündnis aus CDU-Ost, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU), erhielt hingegen – mit dem Versprechen eines schnellen Angleichens an die Lebensverhältnisse im Westen – 48% der Stimmen. Wir mussten einsehen, dass wir mit unseren Vorstellungen keine Mehrheiten in der Bevölkerung erreichen konnten. Die Prioritäten für die meisten Menschen waren schlicht andere zu dieser Zeit. Im Nachhinein betrachtet wäre vieles von dem, was wir anstrebten, in diesem heruntergewirtschafteten Land auch nicht umsetzbar gewesen.
In der Gegenwart, im Austausch mit jungen Aktivist*innen von Fridays for Future oder Ende Gelände, stelle ich definitiv Gemeinsamkeiten zwischen meinen Motiven damals und ihren heute fest: Zunächst in der Gewaltfreiheit der Aktionen und grundlegender im Bewusstsein, in einer Zeit zu leben, die uns zum Handeln auffordert und dazu, Verantwortung zu übernehmen. Die Klimakrise als Bedrohung besitzt eine Dimension, welche viele Menschen überfordert und die Notwendigkeit, einen Teil unseres Wohlstandes für eine bessere Zukunft für alle aufzugeben, war schon zu unseren Zeiten nicht unbedingt populär.
Doch sehe ich auch Unterschiede: Während wir gegen den Widerstand einer Diktatur für unsere Ziele gekämpft haben, kämpft die heutige Generation vor allem auch um Akzeptanz und darum, ernst genommen zu werden von Regierungen und Konzernen, und nicht zuletzt auch von einer Gesellschaft, die zunehmend aggressiv und mit Ablehnung auf die Überbringer*innen der schlechten Botschaft reagiert.
Die heutige Zeit hat leider vieles, was mich an die Situation in den 1980er Jahren erinnert. Sei es, dass Hungersnöte, die Verschmutzung der Weltmeere und Kriege, die nicht enden wollen, wieder zunehmen, dass flüchtende Menschen keine Heimat finden oder die Klimakrise unsere Welt als Ganzes bedroht. Nicht zuletzt durch einen rasanten technischen Fortschritt, mit dem die gesellschaftliche Entwicklung nicht immer Schritt halten kann, ist vieles seitdem deutlich komplexer und herausfordernder geworden. Gleichwohl gibt es – obwohl die Kulturpessimist*innen unter uns dazu neigen, sie zu übersehen – heute wie damals, mutige Menschen mit Leidenschaft, Kreativität, Erfindungsreichtum, Durchhaltevermögen und einer guten Portion Resilienz, die alte Wege verlassen und neue finden.
Versammlung in der Umwelt-Bibliothek in der Zionskirche, Zentrum der Bürgerrechtsbewegung, Berlin, DDR, 1988. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, 8910000hh3
Wenn ich beginne, daran zu zweifeln, schaue ich mir ein Foto an: Prenzlauer Berg, ranziger Keller, versammelt sind eine Handvoll Menschen, die Teil einer sehr kleinen DDR-weiten Bewegung sind, denen es letztlich aber gelingen wird, im richtigen Moment einen mächtigen Apparat unter Druck zu setzen. Sie bringen dabei Dinge mit in Bewegung, von denen die Wenigsten zu diesem Zeitpunkt glaubten, dass sie sich bewegen ließen. Ein Teil oder Zeuge dieses überwältigenden Gefühls von Selbstwirksamkeit gewesen zu sein, ist eine mächtige Erfahrung, welche einige von uns bis heute trägt. Der Versuch, diese Erfahrung heute mit jungen Menschen zu teilen, ist für mich persönlich eine Form von Dankbarkeit.