Die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße ist ein modernes Geschichtsmuseum in Erfurt und der zentrale Erinnerungsort zur SED-Diktatur in Thüringen. Ein Großteil unserer Räumlichkeiten befindet sich im ehemaligen Erfurter Gefängnis. Das rote Backsteingebäude war besonders zu DDR-Zeiten ein gefürchteter Ort. Hier inhaftierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf zwei Etagen mehr als 5.500 Menschen aus politischen Gründen. Die Anschuldigungen lauteten etwa: Spionage, Sabotage, Untergrundtätigkeit oder antidemokratische Hetze. Nach dem Mauerbau 1961 kamen vor allem jene Menschen in Stasi-Untersuchungshaft, die versucht hatten, die DDR Richtung Westen zu verlassen. Sie wurden von der Außenwelt abgeschottet und von einem regulären Strafverfahren ausgeschlossen. Ihren Haftalltag bestimmten Verhöre, Isolation und Desorientierung. Weitere Insassen befanden sich im Erd- und Untergeschoss in Gewahrsam der Volkspolizei – unter ihnen waren gleichfalls politische Häftlinge, etwa Männer, die den Militärdienst verweigert hatten.
Die Andreasstraße war aber nicht nur ein Ort der Unterdrückung, sondern auch Schauplatz der Befreiungsbewegung: Hier gelang es Menschen am 4. Dezember 1989 erstmals, eine Zentrale der gefürchteten DDR-Geheimpolizei und die dazugehörige Haftanstalt zu besetzen. Sie retteten Stasi-Akten vor der Vernichtung und schufen so eine wesentliche Voraussetzung für die Aufarbeitung der Diktatur. Menschen in anderen ostdeutschen Städten folgten ihrem Beispiel.
Das alte Gefängnisgebäude war von 1878 bis 2002 in Benutzung, danach drohte es zu verfallen. Doch ehemalige Beteiligte der Friedlichen Revolution und ehemalige politische Häftlinge setzten sich für seinen Erhalt ein. Sie organisierten erste Führungen und veranstalteten Gottesdienste, Konzerte und Kunstausstellungen. Nach Debatten um die inhaltliche Ausrichtung des Erinnerungsortes übernahm 2012 die Stiftung Ettersberg die Trägerschaft und begann, einen professionellen Erinnerungs- und Lernort zu entwickeln. So entstand, als bewusster Gegenentwurf zu den „Mahnstätten“ alter Schule, ein Ort, an dem Diktaturgeschichte auf leichte und nachvollziehbare Art verhandelt wird – vor allem aus Sicht derer, die angeeckt sind. Das Außergewöhnliche der Geschichte des Ortes spiegelt sich in unserer Gedenkstättenarbeit. Das Konzept baut auf Neugier und die Lust an popkulturell inspirierten Wegen der Vermittlung. Wir wollen informieren und irritieren, nachdenklich machen und ermutigen.
Der Titel unserer Dauerausstellung „HAFT | DIKTATUR | REVOLUTION – Thüringen 1949–1989“ bezeichnet zugleich die drei Stockwerke der Gedenkstätte: Der Rundgang durch die Ausstellung führt gleichsam von der Repression zur Revolution. In den Ausstellungsräumen fungieren Medienstationen als Scharniere zum historischen Ort. Hier sprechen Zeitzeug*innen, insbesondere ehemalige politische Häftlinge und Besetzer*innen der Stasi-Zentrale.
Als publikumsorientierte Gedenkstätte ist zielgruppengenaues Arbeiten Teil unseres Konzepts. Als Bildungseinrichtung und außerschulischer Lernort richten wir uns vor allem an die jüngeren Generationen. Wir haben populäre Formate wie Musik-, Film- oder Comic-Workshops entwickelt und ermuntern jugendliche Teilnehmer*innen, individuelle Erfahrungen aus ihrer Lebenswelt in Beziehung zu den Themen unseres Hauses zu setzen: „Wie klingt Meinungsfreiheit?“ hieß etwa das Thema eines Musik-Workshops, den wir zusammen mit lokalen Künstler*innen durchgeführt haben. Wir arbeiten multiperspektivisch und stellen historisch-politische Erzählungen zur Diskussion. Dies wird nicht nur von Jugendlichen geschätzt. Erwachsene sind gleichfalls dankbar, wenn sie nicht mit verordneter Betroffenheit konfrontiert werden, sondern sich selbst ein Bild machen können. Wir möchten unsere Besucher*innen stets mit neuen vielfältigen Formaten ansprechen: Seit kurzem etwa mit einer digitalen Ausstellungserweiterung, die für Lehrkräfte und Schulklassen bei der Vorbereitung eines Gedenkstättenbesuchs inspirierend sein kann.
In den kommenden Jahren wollen wir uns für weitere Zielgruppen öffnen, noch mehrsprachiger werden und bessere Zugänge für Menschen mit Beeinträchtigung ermöglichen. Im Bereich der Inklusion veranstalten wir mit kult-werk inklusiv – Inklusive Werkstatt für Kultur und Geschichte e. V. Führungen im Tandemverfahren, d.h. mit jeweils einem Guide mit und ohne Lernschwierigkeiten. Zudem arbeiten wir an Tastführungen für blinde und sehbehinderte Menschen und an einem Comic über eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte.
Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße
Andreasstraße 37a
99084 Erfurt
Tel.: 0361 219 212-14
E-Mail: andreasstrasse [at] stiftung-ettersberg [dot] de
Homepage: www.andreasstraße.de