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Auf dem Hauptfriedhof von Weimar in Thüringen befinden sich eine Reihe von Kriegsgräberstätten. Diese Gräber werden dauerhaft erhalten. Die Grundlage für dieses ewige Ruherecht, aber auch die Definition, wer als Kriegstote*r zählt, liefert das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (GräbG). Im Paragraf 1 wird festgelegt, dass u.a. Militärangehörige beider Weltkriege, zivile Kriegstote, wie Bombentote, aber auch Zwangsarbeiter*innen in einem Kriegsgrab auf Dauer ihre letzte Ruhe erhalten. Diese Aufzählung macht bereits deutlich, dass die Definition der Opfer von Krieg- und Gewaltherrschaft sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann.
Mit Blick auf den Weimarer Hauptfriedhof gibt es einige besondere Kriegsgräber- und Gedenkstätten, welche der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. bei außerschulischen Projekten immer wieder thematisiert. Diese sollen zunächst kurz vorgestellt werden. Erst kürzlich wurde die Grabanlage für verstorbene deutsche und russische Soldaten des Ersten Weltkrieges auf dem Weimarer Hauptfriedhof aufwendig restauriert. Mit Blick auf die Chronologie der Gewaltgeschichte während des 20. Jahrhunderts führt uns der Weg auf dem Weimarer Hauptfriedhof weiter zu den sogenannten Märzgefallenen aus dem Jahr 1920. Dabei kamen Arbeiter*innen, die sich am Generalstreik beteiligten, durch Angehörige der putschenden Reichswehrsoldaten in Weimar ums Leben. Diese Grabfläche wird auf Initiative der Stadt Weimar erhalten und gepflegt, da die Gräber der Märzgefallenen 1920 nicht unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen. Ihnen schuf Walter Gropius das Blitz-Denkmal, welches am 1. Mai 1922 eingeweiht wurde. Nur wenige Jahre später, genauer gesagt 1936, zerstörten die Nationalsozialisten diesen Erinnerungsort, da sie Gropius und seine Kunst nicht billigten. Wenige Meter weiter vom 1946 wiederaufgebauten Blitz-Denkmal befindet sich eine zweigeteilte Grabanlage. Zunächst wurden hier die sterblichen Überreste der sogenannten Webicht-Toten in einem Sammelgrab beerdigt. 149 Menschen, darunter Zwangsarbeiter*innen aus verschiedenen europäischen Ländern sowie ein desertierter deutscher Fahnenjunker-Unteroffizier und ein katholischer Pfarrer, waren im Hausgefängnis der Gestapo Weimar, im sogenannten Marstall und im Landgerichtsgefängnis Weimar inhaftiert (Gräfe et al., 2009: S. 477-483). Am 5. April 1945, noch kurz vor Kriegsende, wurden sie in einem Waldstück bei Weimar, dem Webicht, von der Gestapo ermordet. In den Folgejahren und -jahrzehnten wurde die Gedenk- und Grabanlage sukzessiv erweitert und trug fortan den Namen Ehrenhain für die Verfolgten des Naziregimes.
Am Südende des Friedhofes entstand ab 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges eine dreigeteilte Grabanlage. In der Mitte des Grabfeldes wurden Einzelgrabbestattungen durchgeführt - zunächst für verstorbene Wehrmachtssoldaten. In den weiteren Kriegsjahren ab 1941 kamen verstorbene Soldaten der Waffen-SS wie auch SS-Wachmänner aus dem KZ Buchenwald hinzu. Oberhalb dieser Kriegsgräberstätte entstand eine Sammelgrabfläche für Bombentote, die beim Luftangriff der Alliierten auf das Gustloff Werk II in der Nähe des KZ Buchenwald am 24. August 1944 ums Leben kamen. Auf zwei Granitblöcken befinden sich größtenteils die Namen der bei dem Bombenangriff umgekommenen Angehörigen der Wachmannschaften aus dem KZ Buchenwald. Wenige Tage später fand eine große öffentliche und stark militärisch geprägte Trauerfeier auf dem Weimarer Hauptfriedhof statt. Das Bemerkenswerte bei den Granitblöcken ist, dass die ersten 155 Namen der Kriegstoten auch auf den Einzelgräbern wiederzufinden sind. Am unteren Bereich des großen Grabfeldes befindet sich die Sammelgrabanlage für die Bombentoten des 9. Februar 1945. Es war der schwerste Luftangriff der Alliierten auf die Stadt Weimar. Auf vier großen Granitstelen sind die verstorbenen Zivilist*innen, Militärangehörige wie auch Zwangsarbeiter*innen namentlich erwähnt.
Bis zur Wiedervereinigung wurde das Grabfeld für vornehmlich deutsche Soldaten von staatlicher Seite in der DDR nicht besonders gepflegt, eher geduldet und von Angehörigen, so diese denn in der Region lebten, gepflegt. Fotos aus dem Jahr 1991 zeigen, dass einzelne Holzgrabkreuze existierten und mit Grabschmuck versehen waren. Die Restaurierung erfolgte dann auf Initiative des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und in Abstimmung mit der Stadt Weimar im Jahr 1992. Im Rahmen von Modellprojekten in den damals neuen Bundesländern setzte der Volksbund diese Restaurierung der Grabanlagen um. Der Grund dafür war, dass das Gräbergesetz, nach dem die Bundesländer die Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erhalten, im Bundesland Thüringen erst am 01.01.1993 in Kraft trat. Nach Fertigstellung des Grabfeldes reichte die Reaktion vieler Weimarer Bürger*innen von Verwunderung bis Entsetzen.
Bei der Restaurierung waren die Gräber mit der Angabe des jeweiligen Dienstgrades versehen worden. Dadurch konnten nun alle Besucher*innen des Friedhofs erkennen, welche der dort Bestatteten zur SS gehört hatten. Die Folge waren viele Beschwerden beim Volksbund und der Stadt Weimar. Deren damaliger Bürgermeister Klaus Büttner befürchtete, dass die SS-Gräber ein Aufmarschort für nazistische Gruppierungen werden oder auch zur Zerstörung der Grabsteine führen könnten (Markmeyer, 1993: S. 5). Ein auf dem Weimarer Hauptfriedhof bestatteter SS-Mann ist der Obersturmführer Bruno Dembeck. Aus Recherchen des Sendeformates Kontraste aus dem Jahr 1993 geht hervor, dass im Bundesarchiv lagernde Akten sowjetischer Ermittlungsbehörden beweisen, dass Dembeck Führer eines SS-Totenkopfkommandos war. Er war in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald eingesetzt (Markmeyer, 1993: S. 5). Noch bevor er an einer Venenentzündung am 31.12.1944 im Teillazarett in Greiz (heutiges Ostthüringen) verstarb, war er erster Lagerkommandant des KZ-Außenlagers Schwalbe V in Berga/Elster (Heimat- und Geschichtsverein Berga/Elster, 2013).
Im Fall von Dembeck können wir von einem Täter sprechen, dessen Grab trotzdem nach dem GräbG ein dauerndes Ruherecht mit Grabpflege innehat. Was also tun? Diese Frage stellten sich damals alle Beteiligten. Eine Auswahl an Leserbriefen an die Thüringische Landeszeitung verdeutlicht die damaligen Meinungen: Sie reichen von Ablehnung der dort durchgeführten Restaurierung:
„Wo sind wir hingeraten? Welch eine Kulturschande! Da werden Gedenksteine für Nazischergen errichtet – auch noch mit Angabe ihres Dienstgrades! Hat denn niemand ein Gefühl dafür, dass manche Menschen besser totgeschwiegen werden!“ (Wahrenberg, 1993: S. 15)
bis hin zum Erhalt der Grabinschriften, so dass sich die Interessierten selbst eine Meinung dazu bilden können:
„Warum schweigt man die fraglichen SS-Männer einfach tot? […] Ich bin der Meinung, Zeugen der Vergangenheit sollten möglichst authentisch erhalten bleiben. Damit ist es dann der Intelligenz des Betrachters überlassen, persönliche Schlüsse zu ziehen. Das gilt auch für nachträglich eingerichtete Soldatenfriedhöfe, die in Deutschland traditionell den Dienstgrad des Gefallenen tragen.“ (Schmidt, 1993: S. 10)
Eine Beseitigung oder Umbettung der SS-Gräber, wie sie auch bei heutigen Gesprächs- und Diskussionsrunden mit Jugendlichen immer wieder angedeutet wird, kam nicht in Frage. Alle Kriegstoten, die infolge von Feindseligkeiten starben, haben laut dem Zusatzprotokoll der Genfer Konvention und dem deutschen Gräbergesetz ein dauerndes Ruherecht. Das gilt auch für die im Krieg umgekommenen SS-Angehörigen. Auf Antrag der Stadt Weimar und mit Einverständnis des Volksbundes wurden die Dienstgrade der SS-Männer auf den Grabsteinen schließlich ausgemeißelt. Nach Recherche alter Gräberkarteilisten aus den 1950er Jahren wird jedoch ersichtlich, dass nicht bei allen verstorbenen KZ-Wachmännern die Dienstgrade entfernt wurden. So im Fall eines ebenfalls beim alliierten Luftangriff vom 24. August 1944 verletzten SS-Oberschützen, der wenige Tage später im Lazarett verstarb. Auf seinem heutigen Grabstein steht weiterhin der Dienstgrad Oberschütze. Ein Zufall? Vielleicht, da es diese Dienstgradbezeichnung sowohl bei der Wehrmacht als auch bei der SS gab.
Aber was bedeutet das alles heute – mittlerweile 30 Jahre nach der Restaurierung? Immer seltener findet man Grabschmuck an den einzelnen Grabsteinen, die Angehörigen sterben aus oder können aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr das Grab der Verwandten besuchen. Kriegsgräberstätten erklären sich nicht mehr aus sich selbst heraus. Sie müssen, wenn sie der jungen Generation als Mahnmale für den Frieden definiert werden, erklärt und diskutiert werden. Sie müssen in den Lebensalltag dieser jungen Menschen mit einbezogen werden. Kriegsgräberstätten sind authentische Orte, an denen sich kritisch mit Fragen über Schuld und Aussöhnung, Täterschaft und Verantwortung auseinandergesetzt werden kann und muss und wir die Chance haben, uns dem Unbehagen an der Geschichte zu stellen. Es lohnt sich mit der heutigen jungen Generation vor Ort ins Gespräch zu ihren Positionen und Perspektiven zu kommen, was wir mit dem dauernden Ruherecht der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft anfangen, ob und wie das Erhalten und die Pflege der Kriegsgräberstätten weiterhin sinnvoll ist.
Folglich tauscht sich der Volksbund in Thüringen mit Ansprechpartner*innen der Stadt Weimar, der Gedenkstätte Buchenwald sowie interessierten Schüler*innen aus, um gemeinsam verschiedene Zugangsformen zu diesem äußerst streitbaren Themenkomplex zu finden. Informationstafeln mit Hintergrundinformationen von Schüler*innen für Gleichaltrige sind dabei genauso denkbar wie App-basierte digitale Zugangs- und Erkundungsformate.
Heimat- und Geschichtsverein Berga/Elster (2013): Das Bauvorhaben Schwalbe V – eine Chronologie. Abrufbar unter https://www.heimatverein-berga-elster.de/schwalbe-5/chronologie; zuletzt aufgerufen am 09.01.2022.
Markmeyer, Bettina. (1993): KZ-Schergen auf Weimarer Friedhof geehrt. In: Taz-die Tageszeitung, 3995/1993, S. 5.
Gräfe, Marlis / Post, Bernhard / Schneider, Andreas (Hrsg.) (2009): Quellen zur Geschichte Thüringens. Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933 – 1945. II. Halbband, Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung.
Wahrenberg, Elke. (1993): Ehrung von Nazischergen. In: Thüringische Landeszeitung, 66/1993, S. 15.
Schmidt, W.G. (1993): Authentisches ist zu erhalten. Thüringische Landeszeitung 73/1993, S. 10.