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Das Außenkommando Hessental des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof existierte vom 14. Oktober 1944 bis zum 5. April 1945, also knapp sechs Monate. In einem Barackenlager in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Schwäbisch Hall-Hessental, das zuvor vom Reichsarbeitsdienst und vom Fliegerhorst Hessental genutzt worden war, wurden in diesem Zeitraum etwa 800 Häftlinge auf engstem Raum zusammengepfercht. Sie gelangten in zwei größeren Transporten nach Hessental: am 14. Oktober 1944 ein Kontingent von 600 Häftlingen, am 16. November 1944 noch einmal 200. Vor Ort trafen sie auf eine etwa 50 Personen starke Häftlingsgruppe, die unter dem Kommando der Organisation Todt (OT) stand und die das vorhandene Barackenlager für die Aufnahme der Gefangenen mit der Errichtung einer Stacheldrahtumzäunung und dreier hölzerner Wachtürme vorbereitete.
Bei den Hessentaler Häftlingen handelte es sich zum überwiegenden Teil um polnische Juden. Sie waren bis Ende Juni 1944 Insassen des Ghettos der mittelpolnischen Stadt Radom gewesen. Von dort waren sie vor der anrückenden Roten Armee von den deutschen Besatzern evakuiert und ins Reichsgebiet verschleppt worden. Auf ihrem Weg hatten sie eine Selektion auf der Rampe des Vernichtungslagers Auschwitz über sich ergehen lassen müssen, die nur die arbeitsfähigen Männer jüngeren und mittleren Alters überlebten. Der Radomer Transport gelangte nach Vaihingen/Enz. Von dort erfolgte die Überstellung von 800 Männern nach Hessental.
Was war nun der Grund für den Einsatz von KZ-Häftlingen in Hessental? Im Frühjahr 1944 wurde ein Teil der Endmontage des Flugzeugs Messerschmitt Me 262 im Zuge der Dezentralisierung der Rüstungsproduktion nach Hessental verlegt. Die Me 262 war der erste einsatzfähige Strahljäger der Kriegsgeschichte und wurde von der nationalsozialistischen Propaganda als eine von Hitlers „Wunderwaffen“ gefeiert. Die Produktion dieses Flugzeugs hatte höchste rüstungspolitische Priorität. Das Flugzeug wurde in einem „Waldwerk“ im Bereich des sog. Hasenbühl gefertigt und auf dem Fliegerhorst für die Auslieferung an die Luftwaffe bzw. für den Einsatz vorbereitet.
Der Fliegerhorst war „Haupt-Arbeitsplatz“ der Häftlinge des Hessentaler Lagers. Dabei waren die KZ-Insassen nach allem, was bekannt ist, nicht direkt mit Montagearbeiten an den Flugzeugen betraut, sondern verrichteten einfache, aber körperlich anstrengende Arbeiten im Umfeld der Produktion mit dem Ziel, die Einsatzfähigkeit des Fliegerhorstes aufrecht zu erhalten: Sie hatten Bombenkrater auf dem Flugfeld zu beseitigen, waren an der Instandhaltung oder Reparatur von Gebäuden beteiligt, verrichteten Erdarbeiten, zum Beispiel den Bau von Splitterwällen zum Schutz der abgestellten Flugzeuge, arbeiteten an den Zufahrtswegen und Gleisanschlüssen und vieles andere mehr.
Die SS setzte Gefangene darüber hinaus in Steinbrüchen und bei Holzfällarbeiten ein. Kleinere Häftlingskommandos arbeiteten gegen eine „Mietgebühr“ bei „privaten“ Arbeitgebern, so in der Landwirtschaft, in Werkstätten von Handwerkern, im städtischen Schlachthof Schwäbisch Hall, in der lokalen Bierbrauerei sowie in den Obstgärten des Hospitals zum Heiligen Geist. Schließlich setzte die Stadt Schwäbisch Hall die Häftlinge zum Bunkerbau und zur Beseitigung von Bombenschäden und Trümmern ein, etwa nach dem Luftangriff vom 23. Februar 1945.
In den ersten Tagen seines Bestehens unterstand das Lager der Organisation Todt. Am 17. Oktober 1944 übernahm SS-Hauptsturmführer August Walling die Lagerleitung. Die Bewachung des Lagers führten insgesamt sieben SS-Männer sowie eine kleinere Anzahl von OT-Angehörigen durch. Als Wachmannschaften für die außerhalb des Lagers tätigen Arbeitskommandos wurden Soldaten der Luftwaffe vom Hessentaler Fliegerhorst herangezogen. Nach den Wochenberichten des Lagers von Ende Oktober 1944 kamen dabei täglich bis zu 70 Wehrmachtsangehörige zum Einsatz.
Das Lager war zu Beginn völlig unzureichend auf die Aufnahme von 800 Menschen vorbereitet. Auch das Nötigste war nicht oder nur in unzureichendem Maße vorhanden. Überlebende Häftlinge berichten, dass nicht genügend Holzpritschen zur Verfügung standen und sie deshalb in den ersten Tagen auf dem Boden schlafen mussten. Auch die Küche sei noch nicht fertig gewesen, es gab kein regelmäßiges Essen. Es fehlte an Kleidung und Wäsche. In den ersten Wochen des Bestehens des Lagers gab es offenkundig keine Waschgelegenheit für die Häftlinge. Auch wenn sich die Situation allmählich entspannte, war der Mangel an lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung oder Bekleidung eine der Grundkonstanten der Hessentaler Lagergeschichte.
Die den Häftlingen abgeforderte Arbeitsleistung stand in keinem Verhältnis zu ihrer völlig unzureichenden Ernährung und ihrer dürftigen Bekleidung. Mangelerkrankungen gehörten zum Lageralltag. Die katastrophale Ernährungssituation und die sanitären Zustände führten im Februar 1945 zum Ausbruch einer Typhusepidemie, an der zahlreiche Häftlinge starben. Das Lager wurde unter Quarantäne gestellt und eine Entlausungsaktion durchgeführt, bei der die Häftlinge bei eisigen Temperaturen über Stunden nackt auf dem Appellplatz stehen mussten. Ein Maximum an abgepresster Arbeitskraft bei einem Minimum an Ernährung, Kleidung und Hygiene, dazu Willkürmaßnahmen und Misshandlungen – die Arbeitsbedingungen im Lager Hessental folgten dem nationalsozialistischen Prinzip der „Vernichtung durch Arbeit“.
Am 5. April 1945 wurde das Hessentaler Lager geräumt und die noch lebenden Häftlinge unter dem Kommando von SS-Untersturmführer Heinrich Wicker in einen Zug verladen, der sie ins KZ Dachau bringen sollte. Angeschlossen wurden den Hessentaler Häftlingen Lagerinsassen des KZ Kochendorf, das in Teilen ebenfalls über den Hessentaler Bahnhof geräumt wurde. Nach wenigen Kilometern Fahrt blieb der Zug nach einem Angriff amerikanischer Jagdbomber liegen. Die Häftlinge wurden in mehreren Kolonnen zu Fuß weitergetrieben. In die historische Literatur ist die Räumung des Lagers als „Hessentaler Todesmarsch“ eingegangen.
Die Bilanz des Lagers Hessental fällt nach sechs Monaten seines Bestehens erschreckend aus: Mindestens 182 Häftlinge fielen den Haftbedingungen im Lager – Hunger, Erschöpfung, Krankheit und Gewaltaktionen der Bewacher – zum Opfer. Weitere knapp 150 Menschen kamen entlang der Route des „Hessentaler Todesmarsches“ ums Leben. Schließlich starben mindestens 35 der im Dezember 1944 ins „Sterbelager“ Vaihingen/Enz überstellten, völlig arbeitsunfähigen Häftlinge. Mit ca. 350 Todesopfern weist das Arbeitslager Hessental eine der höchsten Todesraten in Südwestdeutschland auf.
Das Gelände des früheren KZs Hessental wurde bis Mitte der 1990er Jahre gewerblich genutzt. Mit der Räumung des Areals begann die Diskussion über die Gestaltung als Gedenkstätte, vorangetrieben vor allem durch die 1996 gegründete „Initiative KZ-Gedenkstätte Hessental e.V.“ – mit Erfolg: Seit 2001 erinnert die KZ-Gedenkstätte Hessental an die Existenz des dortigen KZ-Außenlagers.
Die Frage der Gestaltung des historischen Ortes nahm breiten Raum ein, insbesondere deshalb, weil abgesehen von einem auf das Gelände führenden Gleisstück nichts mehr an die Existenz des Lagers erinnerte. Favorisiert vom Verein wurde eine Gedenkstätte mit dokumentarischem Charakter, die die Auseinandersetzung mit den historischen Geschehnissen der Jahre 1944/45 erlauben sollte. Zentrale Elemente der Platzgestaltung sind daher u.a.: frei zugängliche Infotafeln mit Grundinformationen zur Lagergeschichte, die Markierung der Grundflächen der früheren Baracken, das Stelenfeld auf dem früheren Appellplatz mit den Namen der Häftlinge sowie ein Güterwaggon, in dem Schautafeln über das Thema „Hessentaler Todesmarsch“ sowie eine exemplarische Häftlings- (Mendel Gutt) und eine Täterbiografie (Heinrich Wicker) informieren. 2011 kamen auf dem Gelände sieben Fotobanner hinzu, die Porträts Hessentaler Häftlinge zeigen.
Die KZ-Gedenkstätte Hessental dokumentiert auf diese Weise die Geschichte des Lagers sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen der Häftlinge. Durch ihre Gestaltung vermittelt sie einen unmittelbaren, auch emotionalen Zugang zur Lebensrealität in einem NS-Arbeitslager der letzten Kriegsphase.
Wir verstehen die KZ-Gedenkstätte Schwäbisch Hall-Hessental als einen wichtigen Lernort der Geschichte, dessen Angebot sich nicht nur, aber in besonderer Weise an junge Menschen richtet. Für diese Aufgabe bietet die Gedenkstätte eine Reihe von Qualitäten, die für die Vermittlung des zunehmend in die Ferne rückenden und abstrakter werdenden Themas „Nationalsozialismus“ von Wichtigkeit sein können:
Alle diese Momente prädestinieren die KZ-Gedenkstätte dazu, einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsvermittlung zu leisten, und zwar sowohl auf der kognitiven wie auch der subjektiv-emotionalen Ebene.
Diesem Zweck dient ein umfangreiches pädagogisches Angebot des Gedenkstättenvereins, das sich insbesondere an Schulklassen und Jugendgruppen wendet: So können Besucher*innengruppen Führungen auf der Gedenkstätte anmelden, deren Dauer flexibel gehandhabt werden können und sich nach den Wünschen und Möglichkeiten der Besucher*innen richten.
Eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik erlauben die halb- oder ganztägigen Projekttage mit Schüler*innen- und Jugendgruppen. Nach Absprache beinhalten sie wahlweise neben einer einleitenden Selbsterkundung des Ortes einen ausführlichen Rundgang über die Gedenkstätte, die Arbeit mit ausgewählten historischen Quellen zur Lagergeschichte, die Vorführung eines Films über einen Hessentaler Häftling, den Einsatz bei der Geländepflege und die Besichtigung des jüdischen Friedhofs in Schwäbisch Hall-Steinbach, auf dem mehrere Mahnmale an die hier beerdigten toten Häftlinge erinnern.
Einen besonderen Zugang zur Hessentaler Lagergeschichte bietet das Projekt „Schüler führen Schüler“. Schüler*innen arbeiten sich dabei anhand ausgewählter Materialien tiefer in einen Aspekt der Lagergeschichte ein und präsentieren ihn ihren Mitschüler*innen, Lehrer*innen oder auch Eltern [Informationen dazu sind abrufbar auf dem Landesbildungsserver Baden-Württemberg]. Ausgehend von diesem Format ist die KZ-Gedenkstätte Hessental seit 2017 auch wichtigster Kooperationspartner für ein Pilotprojekt des Kompetenzzentrums für geschichtliche Landeskunde des Kultusministeriums Baden-Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung, bei dem Schüler*innen des Peutinger-Gymnasiums Ellwangen zu Guides an den Gedenkstätten im Raum Ellwangen-Schwäbisch Hall ausgebildet wurden.
Darüber hinaus begleiten Gedenkstättenmitarbeiter*innen regelmäßig die Erstellung von schulischen Referaten und Präsentationen, halten Vorträge in Bildungseinrichtungen und Vereinen oder organisieren Gedenkstätten-Rundfahrten zu Orten jüdischen Lebens und von NS-Verbrechen im Landkreis Schwäbisch Hall.
Nähere Informationen zur Initiative KZ-Gedenkstätte Hessental e.V.
unter: www.kz-hessental.de