Die Artikel des im Mai 2019 erschienen Heftes von „informationen“ des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 behandeln sowohl historische Themen wie die „Polenaktionen“ 1938/1939 oder sexuelle Beziehungen zwischen Okkupatoren und polnischen Frauen sowie Formen der Erinnerung an Verbrechen und Widerstand. Durch das Heft ziehen sich Kurzbiographien von Pol*innen, die sich während der deutschen Besatzung widerständig verhalten haben. Neben bekannteren Personen, wie Marcel Reich-Ranicki oder Jan Karski werden in Deutschland weniger prominente Widerständler*innen wie Rózia Robota oder Harold Werner vorgestellt und gewürdigt.
Eingangs fasst die Historikerin Zofia Wóycicka die prägenden Momente der polnischen Erinnerungspolitik zusammen. Dabei stehen vor allem die Umgestaltung des Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig ab 2017 sowie andere Neubesetzungen von Museumsleitungen, die Debatten um das „Gesetz über das Institut des Nationalen Gedenkens“ und polnische Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen im Mittelpunkt.
In ihrem historischen Überblick über die sogenannten Polenaktionen ab 1938, die Ausweisung von Jüdinnen*Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit aus Deutschland, beleuchtet Alina Bothe interessante Aspekte dieser in den Hintergrund der Erinnerung geratenen Abschiebung. Insbesondere die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland und Polen bei der „ersten Polenaktion“ bis August 1939 und der „zweiten Polenaktion“ ab September 1939, bei der Männer mit polnischer Staatsangehörigkeit interniert wurden, nimmt Bothe in den Blick. Während die polnische Regierung die Ausgewiesenen nur ungern aufnahm, mühten sich jüdische Organisationen nach Kräften die Neuankömmlinge aufzunehmen. Dem gegenüber steht der sehr offen zur Schau gestellte Hass, der den polnischstämmigen Jüdinnen*Juden in deutschen Städten entgegen schlug.
Mit der deutschen Besatzungspolitik in Polen befasst sich Ingo Loose. Dabei verknüpft er den Überfall auf Polen mit der unmittelbar stattfindenden Vertreibung von Pol*innen zur Ansiedlung von „Volksdeutschen“ und ihrer Verschleppung zur Zwangsarbeit sowie der Entrechtung, Ghettoisierung und Ermordung von Jüdinnen*Juden. Angesichts dieser seit Herbst 1939 vorangetriebenen Maßnahmen gegen Pol*innen und Jüdinnen*Juden spricht Loose von einem „Vernichtungsprozess (...) noch bevor dieser mit dem Überfall auf die Sowjetunion die Grenze zum Genozid endgültig überschritt“ (S.15).
Maren Röger nimmt das Spannungsfeld zwischen „Rassenpolitik und Besatzeralltag“ bei sexuellen Beziehungen im Krieg in den Blick. Dabei geht sie vor allem auf Abhängigkeiten innerhalb solcher Beziehungen und die Erklärungsmuster nach innen und außen angesichts des Widerspruchs zur nationalsozialistischen Ideologie ein. Neben möglichen Beweggründen sowie Vor- und Nachteilen für polnische Frauen benennt sie auch die Konsequenzen, die diese von der polnischen Gesellschaft fürchten mussten.
Der Beitrag von Percy Hermann geht auf den Umgang mit jüdischen Displaced Persons (DP) am Beispiel des DP-Camps Frankfurt-Zeilsheim ein. Spannend sind dabei vor allem die antisemitische Rhetorik in Stellungnahmen aus der Stadtpolitik und –verwaltung und die u.a. dort stattfindende Aufspaltung in „gute“ KZ-Überlebende und „schlechte“ Jüdinnen*Juden, die in der Sowjetunion der Verfolgung entgangen waren.
Als Beilage stellen Eva Kuby und Merle Schmidt ein Unterrichtsmodul zu polnischen Zwangsarbeiter*innen im Deutschen Reich vor. Als Teil eines Workshops des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide für Schüler*innen ab der 9. Klasse, setzt das Modul neben zeithistorischer Kontextualisierung vor allem auf biographisches Lernen. An dieser Stelle ist der Ablauf kleinteilig dargestellt, die Materialien müssen jedoch bestellt werden.
Marta Ansilewska-Lehnstaedt präsentiert Befunde aus ihrer Studie für die sie jüdische Kinder, die bei nichtjüdischen Pol*innen die NS-Verfolgung überlebt haben, interviewt hat und die sich sehr unterschiedlich über ihre – lange nicht angemessen gewürdigten – Helfer*innen äußern. An die deutsche Widerstandsgruppe „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“, die mit einem Widerstands-Appell gegen den Krieg auch die Ermordung der europäischen Jüdinnen*Juden stoppen wollte, erinnert Barbara Schieb. Neben einem kurzen Abriss der Geschichte des Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg zeigt Kamil Majchrzak Möglichkeiten zur Erinnerungsarbeit auf europäischer Ebene auf, vor allem im Zusammenhang mit der Geschichte des nahe der deutsch-polnischen Grenze gelegenen Orts und dem dortigen Museum. Neben Bücher- und Ausstellungsrezensionen werden in dieser Ausgabe Zeitzeugen-Hologramme und zwei Computerspiele besprochen.
Die meisten Beiträge des aktuellen „informationen“-Hefts zeichnen sich durch eine präzise Darstellung aus, in der sich detaillierte Schilderungen und breitere Einordnung gelungen vereinen. Hinzu kommt, dass mehrere Artikel Themen – wie sexuelle Beziehungen während der Besatzung Polens oder der variierende Umgang mit DPs – ansprechen, die im Erinnerungskanon höchstens einen Platz am Rande einnehmen.
Das hier besprochene Heft von „informationen“ und alle vorherigen Ausgaben lassen sich direkt beim Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 bestellen. Die neuesten Ausgaben kosten 6,50€, ältere Hefte zwischen 3€ und 5,50€.