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Inklusion ist derzeit in aller Munde. In der öffentlichen Diskussion sind vor allem Schulen gefordert, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten. Wie aber lässt sich Inklusion auch in der (gedenkstätten-)pädagogischen Praxis umsetzen? Wie können historisch-politische Bildungsprozesse und -materialien inklusiv geplant und gestaltet werden?
Gefördert aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes geht ein Kooperationsprojekt der BiP (Bildungspartner Main-Kinzig GmbH), einem kommunalen Bildungsträger aus Gelnhausen, und des Landesverbandes Hessen im Volksbund diesen Fragen nach.
Ausgangspunkt ist eine Lernstation des Landesverbandes, im Wesentlichen eine kompakte Ausstellungswand im Bildungshaus Main-Kinzig, die Einzelschicksale von Opfern des Zweiten Weltkriegs sichtbar macht und Grundlage diverser Lernmodule ist. Ziel ist es, ein Konzept zu entwickeln, wie dieses Exponat sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderung gleichermaßen adäquat zugänglich gemacht werden kann. Ursprünglich sollte dies in einer inklusiven Projektgruppe geschehen. Dieser Anspruch konnte jedoch trotz intensiver Bemühungen nicht erfüllt werden. Stattdessen wurden zunächst aus dem zweisemestrigen Projektseminar „Gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen“ bei Professor Dr. Dieter Katzenbach vom Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt zwei fortgeschrittene Studentinnen der Sonderpädagogik gewonnen, die sich für Barrieren überwindende Formen der Vermittlung von historischen Inhalten interessieren. Um nicht die Perspektive der Menschen mit Behinderung aus den Augen zu verlieren, wurde mit einem großen Sozialunternehmen vereinbart, das Konzept nach Erstellung noch einmal dem dortigen Werkstattrat zur Prüfung vorzustellen. So soll sichergestellt werden, dass die Lernstation nicht nur für, sondern auch zusammen mit Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich gemacht wird.
Die Lernstation umfasst derzeit acht Einzelschicksale und besteht aus jeweils drei Text- und einer bis zwei Bildtafeln zu jedem Schicksal. Die drei Texttafeln bilden jeweils das Einzelschicksal, weiter gehende Informationen zur Person und deren Einordnung in den lokal- und gesamthistorischen Kontext ab. Die Bildtafeln können Abbildungen der beschriebenen Personen, von Dokumenten oder einfach Symbolbilder sein.
Bei einer Vorbereitungsreise zu ausgewählten Gedenkstätten und Museen in Erfurt, Weimar und Berlin wurden insgesamt zwölf solcher Orte besucht, teils fanden Gespräche, z. B. mit Museumspädagog_innen oder der Gedenkstättenleitung statt. Diese ergänzten immer den Besuch der Ausstellung der jeweiligen Gedenkstätte, um einen persönlichen Eindruck von der Aufbereitung der Inhalte und den Aktivitäten der jeweiligen Gedenkstätte auf dem Feld der Barrierefreiheit zu gewinnen.
Grundsätzlich kann zwischen baulicher und inhaltlicher Barrierefreiheit unterschieden werden. Erstere, also beispielsweise Rampen für Rollstühle, Aufzüge, breite Türen, Handläufe, behindertengerechte Sanitäreinrichtungen etc., ist durchweg gut und teilweise trotz baulicher oder denkmalrechtlicher Einschränkungen umgesetzt worden. Die bauliche Barrierefreiheit ist zudem weitgehend dicht verregelt. Öffentliche Einrichtungen wie die besuchten Stätten müssen diese Voraussetzungen schaffen.
Anders verhält es sich bei der inhaltlichen Barrierefreiheit. Hier sind die einzelnen Orte unterschiedlich weit. Es scheint im Wesentlichen davon abzuhängen, ob sich (1) ein inhaltlicher Bezug zwischen thematischer Ausrichtung der Einrichtung und der Barrierefreiheit herstellen lässt; und ob es (2) Personen in der Einrichtung gibt, die sich für das Thema stark machen. Zu (1) lässt sich beispielhaft das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt zählen, das durch Audioterminals, einen Tastplan für die Ausstellung und Beschriftungen in Braille-Schrift besonders die Zielgruppe der Sehbehinderten in den Fokus nimmt. Auch das Mahnmal „Aktion T4“ lässt sich hier einordnen. Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald hat ebenfalls Vieles in Sachen Barrierefreiheit zu bieten. Hier scheint es eine Kombination aus Gründen zu geben, zum einen eine in dieser Hinsicht engagierte Pädagogin, zum anderen der Wunsch, für die mittlerweile betagten Überlebenden des KZ und des sowjetischen Sonderlagers weiter zugänglich zu sein.
Insgesamt sind die barrierefreien Angebote vielfältig. Neben bereits erprobten lassen sich weitere kreative Wege finden. Die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt z. B. hat Inhalte und Materialien in gezeichneten Bildergeschichten aufbereitet, eine Alternative zum Ansatz der Leichten Sprache. Auch temporäre oder projekt- und aktionsbezogene Ansätze, wie Führungen oder Projekte zusammen mit Förderschulen oder anderen Einrichtungen von und für Menschen mit Behinderungen sind zu erkennen. Mit Ausnahme des Gedenk- und Informationsortes zur „Aktion T4“, das unter den besuchten Einrichtungen den umfassendsten Ansatz verfolgt, haben die Museen und Gedenkstätten unterschiedliche Strategien mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Alle besuchten Stätten erachten das Thema Barrierefreiheit als wichtig. Viele haben bereits Angebote, andere berichten von konkreten zukünftigen Planungen. Gemeinsamer Nenner scheint zudem die Leichte oder Einfache Sprache zu sein. Wenn Material bereits mehrsprachig vorliegt, wird zunehmend die Leichte oder Einfache Sprache hinzugenommen, wie z. B. im Anne-Frank-Zentrum oder bei „Topographie des Terrors“.
Das Konzept wird sich primär mit der Zugänglichkeit der Inhalte befassen, da das Gebäude der BiP, welches das Exponat beherbergt, bereits den baulichen Vorgaben zur Barrierefreiheit entspricht.
In bislang drei Workshops hat sich die Projektgruppe über grundlegende Ziele verständigt sowie mit dem Status Quo des Themas Inklusion in der Gedenkstättenpädagogik und mit konkreten Möglichkeiten der Umsetzung auseinandergesetzt.
Aus einer ersten wissenschaftlichen Recherche entstand zunächst eine Checkliste zu den „Must-haves“ und Möglichkeiten der inhaltlichen Barrierefreiheit. Sie diente als Grundlage für einen zweiten Workshop, dessen Ziel es war, Konzepte für Barrierefreiheit und Zugänglichkeit bezogen auf die Lernstation zu erörtern sowie eine Roadmap für das Projekt zu erarbeiten. In Zusammenarbeit mit dem Social-Franchise-Netzwerk capito lag ein Schwerpunkt auf allgemeinen Informationen zu gesetzlichen Grundlagen, Statistiken, barrierefreier Internet-/Medienpräsentation und Prüfgruppen-Methodik sowie einem praktischen Teil zum Thema Leichte Sprache.
Dass eine der capito-Expertinnen als Sehbehinderte konkrete Tipps und Hinweise zur Umsetzung aus Perspektive der Zielgruppe geben konnte, trug wesentlich zum Fortkommen des Projekts bei. Die Teilnehmer_innen gewannen wichtige Erkenntnisse über die vielfältigen Möglichkeiten hinsichtlich der Zugänglichkeit von Informationen, beispielsweise über Apps für Sehbehinderte oder QR-Codes zum Tasten. Auditive Zugänge gelten heute gegenüber der Braille-Schrift als besser geeignet.
Während eines dritten Workshops wurden die gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse nochmals in Hinsicht auf das Konzept und die Besonderheiten der Lernstation priorisiert. Die Kriterien hierfür sind zum einen die Umsetzbarkeit, zum anderen das Erreichen möglichst vieler Zielgruppen. Nicht alles, was grundsätzlich möglich ist, kann auch (gleich) umgesetzt werden. Es bedarf dieser Priorisierung, da Anforderungen teils auch gegeneinander abgewogen werden müssen.
So wird zunächst vor allem die Übertragung der Inhalte in Leichte Sprache und auditive Zugänge gewünscht. Dafür wird ein begleitender Katalog mit den Inhalten der Lernstation erstellt, der zum einen die Einzelschicksale, die sich außerhalb des Lesefelds von Rollstuhlfahrer_innen befinden, diesen zugänglich macht, darüber hinaus aber auch die Informationen in Leichter Sprache (inklusive Bildbeschreibung) wiedergibt. Diese Texte sollen auch über Audioguides zur Verfügung stehen, sowohl in Leichter Sprache als auch mit Bildbeschreibungen für Sehbehinderte. Diese könnten entweder über MP3-Geräte zur Verfügung gestellt werden oder aber über einen QR-Code, der zu den entsprechenden Daten auf einer Website führt. Diese barrierefreie Website soll zum einen die wichtigsten Informationen zum Projekt und Hinweise zu den barrierefreien Zugängen, zum anderen die barrierefreien Inhalte selbst bereithalten.
Mit Erstellung des Konzeptes wird der erste Schritt des Projekts vollendet sein. Die Umsetzung bedarf dann zunächst der Akquise weiterer Fördermittel. Darüber hinaus soll, ebenfalls unter Expertenrat und auf Augenhöhe mit der Zielgruppe, zur Lernstation ein inklusiver Projekttag zum Thema „Nationalsozialismus / Opfer von Krieg und Gewalt“ für Schüler_innen entwickelt werden.