Du weißt nicht, was du falsch gemacht hast. Es spielt auch keine Rolle, der sudanesische Beamte an der Grenze zwischen Eritrea und Sudan behält einfach deinen Pass, du kannst nichts dagegen tun. Immerhin kommst du weiter nach Karthoum. Dort, im Bezirk Omdurman, willst du die Schlepper treffen, die dich durch die Wüste nach Kairo oder Tripolis bringen und dann aufs Boot nach Europa. Du hast vier Wochen Zeit, neue Papiere zu organisieren und den nötigen Geldbetrag aufzutreiben. Zum Glück hat deine Kirchgemeinde in Eritrea für dich gesammelt. Drei Tage bleiben dir noch, die Überweisung an eine Bank in Karthoum zu regeln. Doch als du dich gerade im Packhouse District aufhältst, weil dir dort ein Gelegenheitsjob angeboten wurde, stürmt die Polizei den Großmarkt ...
Das ist ein mögliches Szenario, mit dem das Spiel „The Journey. Karthoum“ von Neil Bell und Jakob und Simon Hultgren einsetzt. Zusammen entwickeln sie unter dem Label Migrant Journey Spiele, die nach eigener Aussage dazu herausfordern sollen, den ausgrenzenden Gegensatz zwischen „uns“ und „den anderen“ zu hinterfragen. Das klassische Brettspiel richtet sich an zwei bis fünf Spielerinnen und Spieler ab zehn Jahren und dauert etwa eine Stunde. Allerdings sollte das Spiel Kindern gut erklärt werden; besser geeignet ist es wahrscheinlich für 16- oder 16-Jährige.
Das englischsprachige Spiel besteht aus einem kleinen Spielbrett, dass verschiedene Bezirke Karthoums darstellt, und Spielsteinen; „Reisepläne“, ein Ereignisblatt und -karten regeln die Geschehnisse der verschiedenen Wochentage. Die Aufmachung ist aus Kostengründen schlicht, ein Spielstein ist handbeschriftet, die Reisepläne der Spieler_innen einfache Kopien.
Ein bemerkenswerter Aspekt ist, dass die Spieler_innen die wertvollen Informationen – wo fahren Schlepper los, wo soll es Razzien geben, wo gibt es Jobs – und selbst Geld teilen können. Zwar ist Gewinnerin oder Gewinner, wer als erstes die Stadt in Richtung Wüste verlassen kann und die meisten Eritreischen Nakfa (ERN) am Spielende übrighat. Wer jedoch die Chance zu kooperieren erkennt, spielt wesentlich erfolgreicher. Und schließlich ist froh, wer es beispielsweise schafft, seine /ihre Kinder sicher in Karthoum unterzubringen, bis es bessere Fluchtmöglichkeiten für sie gibt, bevor man die Flucht überhaupt fortsetzen kann.
Keine Papiere, zu wenig Informationen und Geld, permanent der Willkür von Polizei und einem rechtsfreien Arbeitsmarkt ausgesetzt – insofern schafft „The Journey. Karthoum“ eine glaubwürdige Fluchtsituation. Die komplexen Regeln sind verständlich erklärt. Allerdings kann die Spielatmosphäre durch die insgesamt recht abstrakte Aufbereitung etwas unbekümmert wirken, anders als bei digitalen Spielen zum Thema Flucht und Migration (siehe Besprechung in diesem Heft) [Sprungmarke], und das Spielziel ist zu leicht erreichen, wenn eine Reflexion auf die existentiellen Erfahrungen bei irregulärer Migration angeregt werden soll. In Bezug auf diesen Zweck wäre es zudem wünschenswert, mehr zu den grundsätzlichen Bedingungen in der eritreischen Militärdiktatur zu erfahren. Außerdem könnten ausführlicher charakterisierte Spielfiguren mehr Identifikationsmöglichkeiten bieten und das Spiel lebendiger gestalten. Das heißt für die Bildungsarbeit, dass das Spiel als Gruppenaufgabe ab der zehnten Klasse sinnvoll einsetzbar ist.
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