Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
|
Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
|
„Es gab in der DDR institutionalisierten und gesellschaftlichen Rassismus, von dessen Ausmaß niemand wusste, weil niemand es wissen sollte.“ (S. 114)
Ausgangspunkt für die Analyse Waibels ist die Erkenntnis, dass der Anteil ostdeutscher Täter/innen bei der „Explosion“ der rassistischen Gewalt im wiedervereinigten Deutschland seit 1990 überproportional hoch war. Für den Autoren ist die „gegenwärtige Situation“ in Deutschland mit ihren unterschiedlichen Ebenen von Rassismus nicht allein mit den politischen und sozialen Neuordnungen seit 1990 zu erklären, sondern „wesentlich auch der Tatsache der rassistischen Kontinuität geschuldet.“ (S. 11, siehe hierzu auch: Waibel: Verleugnende Verdrängung)
So fragt sich der aus Weil stammende Historiker weiter: Hat es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Rassismus in der Bundesrepublik und der DDR gegeben? Im Gegensatz zur BRD habe es in der DDR seit dem 13. August 1975, dem ersten von mindestens 30 nachweisbaren Angriffen auf Wohnheime für Ausländer, Pogrome durch einen „rassistischen Mob“ und keine Reaktion durch den Staat gegeben. Vor diesem Hintergrund wäre auch die Vorstellung zu revidieren, in Hoyerswerda habe 1991 das erste rassistisch motivierte Pogrom in Deutschland nach dem II. Weltkrieg stattgefunden.(siehe http://pogrom91.tumblr.com)
Als Beleg für diese konstatierten Kontinuitäten wird das Buch etwa zur Hälfte von einer Art Archiv-gestützten Chronik zum institutionellen und alltäglichen Rassismus in der DDR begleitet. Hier werden aus 8600 dokumentierten Propaganda- und Gewaltdelikten etwa 600 teilweise bisher unveröffentlichte Ereignisse aus den Archiven des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU) und dem Bundesarchiv dargestellt.
Diese Materialbasis beinhaltet eine Vielzahl von Schändungen jüdischer Friedhöfe unmittelbar nach dem Krieg, Hakenkreuzschmierereien seit den 1950er Jahren, sowie rassistische Pogrome mit mindestens 10 Toten in den 1970er und 80er Jahren, die das Leugnen des Rassismus in der DDR selbst auf der Phänomen-Ebene verunmöglichen.
Wie sind die von Waigel zusammengetragenen rassistischen Angriffe und Attacken auf Wohnheime zu erklären? Einerseits seien die Begriffe des Rassismus und Faschismus (ökonomisch) verengt oder deren Existenz bzw. konkrete Ausprägung weitestgehend geleugnet oder ideologisch externalisiert worden, indem sie „westlichen Einflüssen und Agenten“ zugeschrieben wurden. Ein selbstkritischer Eigenbezug sei nicht vorhanden gewesen; die Grundlagen des eigenen Staates als Ursache und Katalysator wurden ausgeklammert. Zusätzlich habe eine öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Prägung der Bevölkerung in der DDR nicht stattgefunden.
Dazu betont Harry Waibel das vollständige Ausbleiben von wissenschaftlichen Analysen zum Rassismus in der DDR vor allem vor 1990, für das ein Publizierungs- und Forschungsverbot zu rassistischen Ereignissen ein Ausdruck war. Forschungen seit 1990 wiederum hätten der Ebene der Diskriminierung (vor allem als Segregation) von staatlicher Seite zu wenig Beachtung entgegengebracht.
Die noch heute anzutreffende und ebenfalls von der Amadeu-Antonio-Stiftung im Zuge der gleichnamigen Ausstellung abgebildete Haltung des „'Das hat`s bei uns nicht gegeben'“ (siehe Sabine Teichmüllers Artikel in dieser Ausgabe) veranlasst so auch Waibel der fortgesetzten „verleugnenden Verdrängung des Rassismus in der DDR durch orthodoxe Verteidiger der politischen und sozialen Verhältnisse der DDR“ (S. 12) mit einer materialbasierten Forschung den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen.
Leider wird nicht abschließend deutlich wie der Autor Begriffe wie „rassistischer Mob“ und „Pogrom“, Rassismus und Neonazismus etc. anwendet,füllt oder auch gegeneinander abgrenzt. Im Gegensatz zur beispielsweise gegenüber seinem Werk Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR geäußerten, nun umgesetzten, früheren Kritik der unzureichenden Quellennachweise, wäre auch in Waibels neuestem Werk dazu ein intensiveres Lektorat wünschenswert gewesen. Im Zuge der an Waibels Untersuchungen des Öfteren bemängelten unklaren Auswahlkriterien für die jeweilige Analyse und der damit zusammenhängenden fraglichen Wirksamkeit bleibt das Verhältnis von Propaganda- und Gewaltdelikten unklar.
Waibel arbeitet aber insgesamt an einem wichtigen Dessiderat der DDR- und Rassismusforschung, indem er in ideologiekritischer Absicht verstetigte Erklärungen und Argumentationen für rassistische Ereignisse nach der Wiedervereinigung hinterfragt. Dazu rüttelt er an den DDR-affirmativen Mythen vom antifaschistischen Staat, in dem der „Faschismus mit Stumpf und Stil ausgerottet“ gewesen sei und damit auch dem Rassismus mit der plansozialisitischen Umstrukturierung der Produktion die Grundlagen genommen worden wären.
Ähnlich wie Armin Pfahl-Traughber in einer Rezension zu Waibels Titel „Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR“ anmerkte, ist der Verdienst seiner neuesten Veröffentlichung, anhand von zahlreichen Einzelbeispielen zu verdeutlichen, dass es sich bei der Leugnung oder Ausklammerung von Rassismus in der DDR um eine historische Legende zur Selbstlegitimation der DDR handelt.
Zur Positionierung und Fundierung fachwissenschaftlich Interessierter mag „Der gescheiterte Anti-Faschismus“ trotz einiger stilistischer und methodischer Schwächen dennoch anregen.
Waibel, Harry (2014): Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED. Rassismus in der DDR. Frankfurt am Main: Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, 2014. 293 Seiten.
Waibel, Harry: Verleugnende Verdrängung. Rassismus in der DDR und die Folgen bis heute. In: Antifaschistisches Infoblatt 98. Frühjahr 2013