Die gemeinnützige Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt sich hauptsächlich mit rechter Gewalt, Rassismus und Antisemitismus. Vor diesem Hintergrund setzt sie sich in dem Dossier „Geteilte Erinnerung? Zum Umgang mit Nationalsozialismus in Ost und West“ it den Erinnerungspolitiken der DDR und der Bundesrepublik sowie im aktuellen West- und Ostdeutschland auseinander. Indem die aktuelle Erinnerungspolitik an den Nationalsozialismus sowie ihre historische Entwicklung besser verstanden wird, soll es erleichtert werden, entsprechende aktuelle Vorfälle und Zustände einschätzen und bearbeiten zu können.
Die Teilung in DDR und Bundesrepublik selbst hat ihren Ursprung im Nationalsozialismus, der mangels Widerstand im Deutschen Reich gegen die antijüdische Vernichtungspolitik und den durch Deutschland entfesselten Weltkrieg, der im Osten als Vernichtungskrieg geführt wurde, die militärische Zerschlagung des NS-Systems durch die Alliierten notwendig machte. Europa und die Zahl der Länder, die sich in der Sowjetunion wiederfanden, hätten insgesamt wahrscheinlich anders ausgesehen, hätte es die NS-Zeit in Deutschland nicht gegeben. Eine vergleichende Analyse der Erinnerungspolitik in der Bundesrepublik und der DDR ist, so betont auch die Amadeu Antonio Stiftung in ihrem Dossier, vor diesem Hintergrund durchzuführen. In diesem Sinne ist erst die kritische Betrachtung deutsch-deutscher Geschichte und Geschichtsschreibung mit Bezug auf Nationalsozialismus und Holocaust möglich, wie sie die Stiftung anstrebt.
Die Bundesrepublik war insbesondere geprägt durch eine fehlende Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Gewalt und einer offensichtlichen Vertuschung der Täterschaft unter anderem von Politikern in der (frühen) Bundesrepublik. Angetrieben durch die vielfältigen, häufig auf ausdrückliche Feindseligkeit und offenem Antisemitismus stoßenden Bemühungen von Remigranten, bei denen vor allem Namen wie Fritz Bauer, Max Horkheimer, Theodor Adorno oder Reinhold Strecker zu nennen sind, entstand eine zögerliche mit dem Holocaust und der NS-Zeit. Dies wurde verstärkt eingefordert durch linke Studentenproteste in den 1960er Jahren. Noch langsam erfolgte eine Auseinandersetzung mit Kontinuitäten, die sich sowohl in der Gesetzgebung, etwa im weiterhin bestehenden § 175, der Homosexualität unter Männern strafrechtlich verfolgt, als auch in personellen Fragen niederschlugen.
Der DDR, oder vielmehr ihrem Regime, wird in dem Dossier ein projektiver Umgang mit dem Nationalsozialismus attestiert. Hier fanden sich keine hochrangigen Nationalsozialisten in der Führung, was jedoch eine auf den ersten Blick paradox erscheinende Wirkung entfaltete. So wurde der antifaschistische Anspruch, auf die gesamte DDR-Bevölkerung projiziert. Nach deren freiwilliger Inkaufnahme des Nationalsozialismus eine aus heutiger Sicht absurde Einschätzung.
Anhand von fünf aktuellen Projekten, die sich vorrangig an Jugendliche richten, wird die Möglichkeit der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust selbst, sowie des kritischen Umgangs mit der Erinnerungskultur in Ost- und Westdeutschland aufgezeigt.