Die Gedenkstätte Ravensbrück, ab 1959 „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück“, durchlief nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs drei unterschiedliche politische Systeme, worunter die Sowjetische Besatzungszone, die DDR sowie die Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung fallen. Erinnerungskulturen und häufig staatlich beeinflusste Gedenkpolitiken sind von diesen Faktoren direkt betroffen. Unter anderem zu diesem Aspekt bieten Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit und Susanne Lanwerd mit „Die Sprache des Gedenkens. Zur Geschichte der Gedenkstätte Ravensbrück 1945 – 1995“ einen differenzierten und historisch wie gesellschaftspolitisch informierten Sammelband. Zahlreiche Autor/innen widmen sich mit der gesellschaftskritischen Analyse eines halben Jahrhunderts einer Gedenkstätte in Ostdeutschland.
Im Zuge des 40. Jahrestages der Eröffnung der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück“ 1959 sowie der 50 Jahre von 1945 bis 1995, welchen sich der Sammelband widmet, ist es zentral, sich mit dem historischen Verlauf auseinanderzusetzen, welcher die konkreten Politiken des Erinnerns vor Ort markierten und bis heute beeinflussen. Entsprechend setzt sich Kathrin Hoffmann-Curtius in ihrem Beitrag damit auseinander, welche entscheidende Rolle der historische Verlauf und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen mit dem spezifischen Verständniss des Nationalsozialismus und des Holocaust spielen.
Vor diesem Hintergrund legen die Herausgeber/innen bereits durch den Titel des Sammelbands einen Akzent auf ein diverses Verständnis von Geschichte: Durch den Aspekt der Sprache fokussieren Eschebach, Jacobeit und Lanwerd gemachte wie vergessene oder ignorierte Botschaften in den Akten des Gedenkens, verweisen auf Bilder und verlorene Perspektiven – bleiben dabei einer rein sprachtheoretischen, den konkreten Kontext der Gedenkstätte vergessenen Herangehensweise gleichzeitig fern. Die Sprache des Gedenkens umfasst die Auseinandersetzung mit staatspolitisch gefärbtem Gedenken und Mahnung ebenso wie die gesellschaftspolitische Dimension, also die Auswirkungen der Wechselbeziehungen unterschiedlicher Akteur/innen gerade nicht-staatlicher Art auf das jeweils aktuelle Verständnis von NS und Holocaust, was dem Ansatz Hoffmann-Curtius' entgegen kommt. Insbesondere erscheint die Dimension von Sprache, die Sprachlosigkeit, Vergessen und Nicht-Benennen als hilfreicher, wenn nicht erforderlicher Gesichtspunkt für die Beschäftigung mit dem Gedenkort Ravensbrück: „Gerade die Sprache des Gedenkens, die dazu tendiert, vereindeutigende Geschichtsbilder zu transportieren, ist eine Sprache, die zum Weglassen geeignet scheint.“ In diesem Sinne eines weiteren Verständnisses von Sprache, welches auch Bildsprache und skulpturalen Ausdruck meint, werden die architektonische und landschaftsbauliche Umsetzung wie Nutzung des Geländes der Gedenkstätte auf ihre erinnerungspolitische Bedeutung hin analysiert. So birgt nicht nur der letzte Artikel des Bandes, welcher die Kontroverse um den Bau eines Supermarktes 1991 in Ravensbrück behandelt, eine eindrucksvolle Einsicht in die Möglichkeiten, sich Gedenkpolitiken kritisch anzunähern. Reden, Appelle und Gelöbnisse oder offizielle Programme der Gedenkstätte finden in dem vorliegenden Band ebenso Beachtung wie öffentliche Gesten, symbolische Politiken und die Fotografien und künstlerische Auseinandersetzungen.
Vergessen und Nicht-Benennen meint, was in diesem Band herausgearbeitet wird, insbesondere die fehlende Beachtung von jenen Opfern, die bis heute anonym geblieben sind oder nicht den politischen Häftlingen zugerechnet werden konnten. Gemäß der offiziellen Ausrichtung der Gedenkpolitik des realsozialistischen Staates war die Erinnerung hauptsächlich an den Letzteren orientiert. Gleichzeitig wird hervorgehoben, wie wichtig die Überlebenden und Hinterbliebenen waren. Schließlich hielten sie in der sowjetischen Besatzungszone die Erinnerung an die Verstorbenen durchaus im Sinne eines politischen Gedenkens aufrecht.
Der Sammelband „Die Sprache des Gedenkens“ eignet sich hervorragend für Lehrer/innen und Pädagog/innen, sich einer konkreten Gedenkstätte als Lernort für den Unterricht anzunähern. Vor allen Dingen aber bietet das Buch die Möglichkeit, sich mit der Spezifik ostdeutscher Gedenkpolitik und -geschichte auseinanderzusetzen. Gerade durch die Beispielhaftigkeit, anhand derer der Sammelband arbeitet, kann eine Einbindung des Themas in den schulischen Unterricht ab Sekundarstufe II erfolgen.
Zur weiteren Lektüre empfiehlt sich das 2005 erschienene Buch „Öffentliches Gedenken“ von Insa Eschebach, in welchem sie sich mit der öffentlichen Auseinandersetzung mit Gewalt und Tod in Deutschland seit dem Ende des Ersten Weltkrieges auseinandersetzt.
Eschebach, Insa et al. (Hrsg.): Die Sprache des Gedenkens. Zur Geschichte der Gedenkstätte Ravensbrück 1945-1995. Berlin 1999. ISBN 3-89468-257-4