Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
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Viel ist nach dem Ende der DDR über die evangelischen Kirchen in diesem deutschen Teilstaat geschrieben worden. Berichte aus eigenem Erleben, vertrauenswürdige und weniger vertrauenswürdige Quellen und ihre Auswertung, Verteidigungs- und Anklageposen, Zorn und Eifer haben das Bild einer Kirche gezeichnet, die sich entweder als Hort des Widerstands gegen ein Unrechtsregime oder als angepasste und unterwanderte Organisation erwies. Die bittere Erkenntnis mancher Historiker/innen scheint sich erneut zu bestätigen: Ruhige und solide historische Forschung kann erst beginnen, wenn der letzte Zeitzeuge nicht mehr befragt werden kann.
Einige Gedanken und Erinnerungssplitter will ich dennoch im Folgenden mitteilen. Wie habe ich die Wirklichkeit der evangelischen Kirche in der DDR erlebt? Was bestimmt mein Nachdenken über diese Zeit?
Mein konkreter Ort war das Pfarramt in einer Gemeinde der damaligen Greifswalder Landeskirche. Der Bischof dieser Kirche, Friedrich Wilhelm Krummacher, hatte sich lange für den Zusammenhalt der deutschen Landeskirchen in beiden Teilstaaten eingesetzt und war aus diesem Grund von der DDR-Staatsführung scharf kritisiert worden. Im „Neuen Deutschland“ gab es eine Kampagne gegen ihn, in der er als „Einpeitscher der Kiesinger-Strauß-Politik“ verunglimpft wurde. Die Auseinandersetzungen beruhigten sich, als die Landeskirchen in der DDR 1969 die organisatorische Trennung von den westdeutschen Kirchen durch Gründung des „Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR“ vollzogen, in dessen Grundartikeln jedoch die besondere Gemeinschaft mit den westdeutschen Schwesterkirchen festgehalten war.
Hier ist vielleicht ein kleiner Einschub nötig für Leser/innen, die mit der Nachkriegskirchengeschichte in Deutschland nicht so vertraut sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde als Föderation der deutschen Landeskirchen die EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) gegründet, die von einer gemeinsamen Synode und einem Rat geleitet wurde. Als sich der Kalte Krieg auch in Deutschland immer stärker auswirkte und als in der DDR nach der 2. Parteikonferenz der SED im Jahr 1952 der Aufbau des Sozialismus unter den Bedingungen eines sich verschärfenden Klassenkampfes – so die damalige stalinistische Lehrmeinung – beschlossen wurde, kam es zu verschiedenen „Angriffswellen“ auf die Kirche – allgemein begründet durch die marxistische Religionskritik oder konkret durch den Vorwurf, die Kirchen in der DDR stünden wegen ihrer Zugehörigkeit zur EKD im Dienst des westdeutschen Imperialismus. Erste Verfolgungen, Verhaftungen und Drangsalierungen gab es gleich nach 1952, die allerdings nach dem „Neuen Kurs“ im Ergebnis des 17.Juni 1953 wieder eingestellt wurden. Die Auseinandersetzung wurde subtiler und zugleich wirkungsvoller fortgeführt durch die Einführung der Jugendweihe, die der volkskirchlichen Konfirmations-Tradition im Osten Deutschlands einen unwiederbringlichen Schaden zufügte. Offene antikirchliche Propaganda gewann dann wieder die Oberhand nach Abschluss des Vertrages über die Militärseelsorge zwischen der Bundesregierung und der EKD, der formal für das Gesamtgebiet der EKD und damit auch für die Landeskirchen auf dem Territorium der DDR in Geltung stand. Die DDR-Regierung lehnte lange Zeit jeden Kontakt zu kirchlichen Vertretern ab, vor allem der Berliner Bischof Dibelius, der als Ratsvorsitzender den Vertrag auf kirchlicher Seite unterschrieben hatte und der aus seiner antikommunistischen Grundeinstellung keinen Hehl machte, wurde zum Inbegriff der zu bekämpfenden „NATO-Kirche“.
Nach dem Bau der Berliner Mauer mussten Übergangslösungen für die Leitung der Kirche in der DDR gefunden werden, da gemeinsame Synodentagungen und Ratssitzungen nicht mehr möglich waren. Allmählich zeichnete sich eine gewisse Entspannung in den Arbeitsbeziehungen zwischen der DDR-Regierung und den provisorischen kirchenleitenden Gremien und Personen ab. Der Grundvorwurf gegen das Festhalten an der Einheit der EKD blieb jedoch. Er wurde mit unterschiedlicher Schärfe zu antikirchlichen Aktionen eingesetzt. Die Kirchen nutzten als Argument gern die Verfassung der DDR von 1949, die sich zur Einheit Deutschlands bekannte. Nach der Inkraftsetzung der neuen DDR-Verfassung 1968 war nun auch staatsrechtlich eine neue Situation gegeben, die nach manchen innerkirchlichen Auseinandersetzungen zur Bildung des Kirchenbundes in der DDR führten.
Die Gestaltung kirchlicher Alltagswirklichkeit unter den Bedingungen der DDR prägten das Leben und meine Tätigkeit in der mir anvertrauten vorpommerschen Kleinstadtgemeinde. Spuren der Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre fand ich im Pfarrarchiv – in den erdrutschartigen Verschiebungen im den Konfirmations- und Taufregister, aber zum Beispiel auch in einem dort aufbewahrten Artikel der Regionalzeitung unter der Überschrift „Bauer Schmidt will den Atomkrieg“ – eine Hetztirade gegen einen alteingesessenen Bauern ( dessen Namen ich hier geändert habe), der sich geweigert hatte, in die LPG einzutreten und der also die Friedenspolitik der DDR nicht unterstützte und folgerichtig den Atomkrieg wollte – solche Artikel im Nachhinein zu lesen bereitet immer noch Übelkeit. Spuren hatte diese Zeit aber vor allem auch hinterlassen, weil eine gewisse und ja nur zu gut verständliche Verängstigung bei vielen Gemeindegliedern vorhanden war. Sie förderte die Grundhaltung einer Konfliktvermeidungsstrategie. Ehrlich gesagt kam mir diese Grundhaltung entgegen, denn sowohl beim Verfassen von Artikeln für das von der Abteilung Inneres des Rates des Kreises zu genehmigende Gemeindeblatt oder für die Kirchenzeitung und auch – sicher mit der inneren Schere im Kopf – beim Vorbereiten von Predigten und Ansprachen ging mir gerne die spitze Formulierung von Karl Kraus durch den Kopf: Ein Satz, den der Zensor versteht, wird zu Recht verboten…
In den achtziger Jahren mehrten und vertieften sich die Konflikte zwischen Staat und Kirche erneut. Spürbar wurde dies auch in der Greifswalder Landeskirche und in meiner Gemeindearbeit vor Ort. Ausschlaggebend war dafür zum einen die zunehmende Militarisierung der DDR-Gesellschaft - sichtbar vor allem im Zusammenhang der Einführung von Wehrkunde als reguläres Unterrichtsfach und der vormilitärischen Ausbildung für Schüler/innen und Auszubildende. Zum anderen formierten sich auch in meinem unmittelbaren Umfeld Gruppen von DDR-Bürgern, die ihr Recht nach der Schlussakte der KSZE-Konferenz von Helsinki wahrnehmen wollten und einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik gestellt hatten oder zu stellen planten.
Gegen die Militarisierung entwickelte der Kirchenbund der DDR ein eigenes Programm für Friedenserziehung als Gegenmodell. Vor allem in den größeren Städten bildeten sich engagierte Gruppen, die diese Programmatik, oft auch verbunden mit Umwelt- und Menschenrechtsfragen, offensiv umsetzen wollten. Mitglieder der Gruppen waren keineswegs nur Christ/innen. Auch wenn das für die Gruppen typische urbane Milieu – Berlin, Jena, Dresden waren die Gebiete mit den stärksten Aktivitäten – in der Greifswalder Kirche nicht strukturbestimmend war, haben die Diskussionen uns auch in Greifswald beschäftigt. Vor allem die Mitarbeitenden in der kirchlichen Jugendarbeit wurden vor große Herausforderungen gestellt. Schon früher hatten die DDR-Kirchen sich darauf verständigt, im waffenlosen Wehrdienst der Bausoldaten das „deutlichere Zeichen“ für die den Christen aufgetragene Friedensverantwortung zu sehen. Dieser Ansatz wurde jetzt aufgegriffen und weitergeführt unter der programmatischen „Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung“. Viele der gewonnenen Einsichten flossen unmittelbar ein in die ökumenische Bewegung des Konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
Da die Kirche den einzigen halbwegs gesicherten Raum für Diskurse bot, die nicht von der vorgegebenen politischen Leitidee bestimmt und eingeengt waren, war das Spektrum der handelnden Personen breit und bunt. Die vom DDR-Kirchenbund vorgegebene Leitlinie „Die Kirche ist für alle da, aber nicht für alles“ war hilfreich, musste aber im konkreten Fall immer neu geprüft werden. Diese Leitlinie galt vor allem für die Ausreise-Gruppen, die das schützende Dach der Kirche suchten. Hier gab es zahlreiche Konflikte mit den Gemeindekirchenräten, etwa wenn es um die Bereitstellung kirchlicher Räume für die Treffen und Versammlungen dieser Gruppen ging. Der Zusammenhang mit dem Auftrag der Kirche war hier nicht immer einfach zu begründen. Die Angst, dass die kirchliche Arbeit daher erheblich behindert und eingeschränkt werden würde, war durchaus begründet. Die Kirchenleitungen und die kirchlichen Dienst- und Aufsichtsbehörden bemühten sich um Interessenausgleich und Konfliktminimierung – ein Bemühen, das im Nachhinein oft verdächtigt wurde und eine Ursache für die eingangs beschriebene so widersprüchliche Bewertung der Kirchen in der DDR wurde.
Was kann man aus dieser Periode der deutschen Kirchengeschichte lernen? Zunächst und ganz allgemein: das Bemühen um Verstehen von Entscheidungen aus ihrer Zeit heraus und nicht mit dem „Besserwissen von Hinterher“ sollte leitend für die Erinnerungskultur sein. Bemerkenswert bleiben für mein Verständnis darüber hinaus vor allem die Versuche zur Wegbestimmung der DDR-Kirchen unter der - ohne Frage missverständlichen - Formel „Kirche im Sozialismus“. Gemeint war mit dieser Formulierung in ihrer Langform eine Auftragsbeschreibung für Zeugnis und Dienst der Kirche „nicht für, nicht gegen, nicht neben dem Sozialismus“ – sondern eben in ihm, in der gebotenen Mischung aus Nähe zu den Menschen und Distanz zu dem System an dem Ort, an den wir uns gestellt wussten. Der äußere Druck, dem die kirchliche Arbeit oft ausgesetzt war – von wirklicher Verfolgung mag ich immer nicht so recht sprechen im Wissen zum Beispiel um das Schicksal vieler Christ/innen in der Stalinzeit - hat manche Enttäuschung und auch Leidenserfahrungen mit sich gebracht. Er hat aber auch zur inneren Konzentration und zum Wissen um die Grenzen und Gefährdungen des Menschenmöglichen beigetragen.