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Der Beitrag gibt einen Überblick zur historischen Entwicklung von Prora und zur Intention des Zeitzeugenprojekts zu ehemaligen Bausoldaten in der DDR.
Prora, das "Kraft durch Freude"-Seebad der NS-Zeit und die spätere DDR-Kaserne, ist ein historischer Ort von überregionaler Bedeutung. Dies gilt sowohl für die Zeit des Nationalsozialismus (NS), als auch für die der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).
In der NS-Zeit sollte in Prora das „KdF (Kraft durch Freude)-Seebad Rügen“ als Urlaubsort für 20.000 Menschen entstehen. Obwohl dieses Bauvorhaben durch den beginnenden Zweiten Weltkrieg nie fertiggestellt werden konnte und zu NS-Zeiten kein Urlaub dort stattfand, verstand es die NS-Propaganda, die Menschen für dieses Vorhaben zu begeistern.
Allerdings galt das Angebot nur für die nach der NS-Ideologie als „arisch“ bezeichnete Bevölkerung. Juden, Sinti und Roma, geistig und körperlich Behinderte, psychisch kranke Menschen, politisch Andersdenkende und viele mehr im NS-Staat Verfolgte hätten niemals Urlaub in Prora machen können. Auch die bereits seit 1933 bestehenden "KdF"-Urlaubsangebote waren ihnen nicht zugänglich.
Die Urlauber sollten während ihres Aufenthalts jedoch keine individuelle Erholung genießen, sondern ihre "Nerven stärken" für die "große Politik" des nationalsozialistischen Staates. Dies bedeutete nichts anderes, als dass sie sich auf den bevorstehenden Krieg vorbereiten sollten. Die Menschen wurden eingefangen für das NS-System - und dies lässt sich anhand der exemplarischen Geschichte von Prora in der NS-Zeit beeindruckend darlegen.
Trotz des Baustopps zu Kriegsbeginn gab es in der unfertigen Anlage des Seebades in der Zeit von 1939 bis 1945 "kriegswichtige" Nutzungen. Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen mussten Wohnungsausbauten vornehmen für Ausgebombte aus den Großstädten. Flüchtlinge aus den Ostgebieten wurden untergebracht und ein Lazarett entstand. Während der gesamten Kriegszeit erhielten zunächst Polizeibataillone und später Nachrichtenhelferinnen militärische Ausbildungen in Prora.
Mit dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 verlor die geplante Ferienanlage ihren Namen "KdF-Seebad Rügen". Sie hieß nun Prora, angelehnt an geografische Bezeichnungen, wie die Prorer Heide oder die Prorer Wiek.
Aus den vormaligen Ostgebieten, die zu dieser Zeit unter sowjetischer oder polnischer Verwaltung standen, kamen viele deutsche Flüchtlinge auf die Insel Rügen. Etwa 2.000 von ihnen fanden im August 1945 Quartier in den während des Krieges von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen ausgebauten Bereichen im Süden Proras. Die Ausgebombten, die dort seit 1943 gelebt hatten, waren auf Befehl der sowjetischen Militäradministration bereits im Mai/Juni 1945 wieder an ihre Herkunftsorte zurückgekehrt.
Mitte November 1945 erhielten die etwa 2.000 Flüchtlinge des "Lagers Prora" den Befehl ihre Unterkünfte zu verlassen. Sie mussten Hotels und Pensionen in Binz, welche unbeheizbar waren, beziehen. An ihre Stelle zog die Sowjetische Armee in Prora ein. Ende 1945 internierte die sowjetische Besatzungsmacht zudem enteignete Großgrundbesitzer unter sehr schlechten Bedingungen auf dem Gelände.
Später wurden bis 1947 Heizungs- und Sanitäranlagen aus dem Süden der Anlage demontiert und als Reparationszahlungen von Sassnitz aus in die Sowjetunion verschifft. Danach war das ehemals geplante „KdF-Seebad Rügen“ für allgemeine Plünderungen zugänglich.
1948/49 fing die sowjetische Besatzungsmacht an, Teile der Anlage zu sprengen und begann damit beim südlichsten Block, der am dichtesten an Binz lag und zuvor am vehementesten Plünderungen ausgesetzt gewesen ist. Auch im Norden des Objekts unternahm man Sprengungen bei den heutigen Ruinen-Blöcken. Da sich der Ost-West-Konflikt, befördert durch die Berlin Blockade 1948/49, stetig verfestigte, entschied man sich gegen den Abriss und für den Ausbau der Anlage Prora zu einem militärischen Standort.
Im Sommer 1949 fand ein Ferienlager der "Jungen Pioniere" im Norden von Prora statt. Danach verlegte man die Kinder-Ferienlager auf ein Gelände südlich der noch stehenden Blöcke in der Nähe von Binz und gab ihm den Namen "Pionierferienlager Wilhelm Pieck", das jährlich im Sommer genutzt wurde.
Bereits im August 1949, also noch vor Gründung der DDR am 7. Oktober 1949, entstand im Norden der Anlage eine Schule für so genannte Polizeibereitschaften. Deren Mitglieder, etwa 900 Mann, erhielten eine militärische Ausbildung zu Offizieren. Der getarnte Aufbau einer neuen Armee in Ostdeutschland hatte begonnen. In Prora waren zu dieser Zeit immer noch Truppenteile der Sowjetischen Armee stationiert.
Im Jahr 1952 wurde in der DDR die Kasernierte Volkspolizei (KVP) gegründet. Die zuvor militärisch ausgebildeten Polizeibereitschaften integrierte man in die neue KVP. In Prora fand nach der Gründung die Stationierung von etwa 17.000 KVP-Angehörigen statt. Sie waren in Zelten untergebracht und hatten eine militärische Ausbildung abzulegen sowie die Anlage zu einer Kaserne auszubauen.
Von den ehemals acht begonnenen Betthäusern beziehungsweise Blöcken waren noch fünf im Rohbau vorhanden, der südlichste Block war gesprengt worden, die beiden nördlichsten Blöcke hatten durch Sprengungen bereits Schäden erhalten. Letztere wurden während der gesamten militärischen Zeit bis 1990 als Truppenübungsplätze für Häuserkampfübungen genutzt.
Ende 1952 konnten die KVP-Soldaten erste Blöcke im Süden von Prora provisorisch beziehen. Unterkunftsräume für etwa 100 Mann standen den Soldaten nun zur Verfügung. Nach und nach setzte sich der Ausbau der Anlage fort. Der heutige Block 1 wurde zu einem Ferienheim für Familien von Militärangehörigen, die übrigen vier Blöcke zur Kaserne ausgebaut.
Während dieser Ausbauphase waren KVP-Soldaten aus Prora auch in Berlin im Einsatz, als dort der Aufstand am 17. Juni 1953 mit Unterstützung der sowjetischen Armee niedergeschlagen wurde.
1956 entstand als offizielle Armee der DDR die Nationale Volksarmee (NVA), die die KVP-Angehörigen übernahm. Prora war einer der größten Militärstandorte der DDR, etwa 13.000 Mann waren hier im Durchschnitt stationiert.
Am Militärstandort Prora befanden sich zunächst kämpfende Truppeneinheiten. Mit der Kuba-Krise 1962 wurde erneut deutlich, wie schnell das labile Mächteverhältnis zwischen der Sowjetunion (UdSSR) und den Vereinigten Staaten (USA) zum dritten Weltkrieg führen könnte. Diese Situation des seit Ende der 1940er Jahre so genannten "Kalten Krieges" führte langfristig zum Umdenken in Bezug auf den Militärstandort Prora.
Ende der 1960er Jahre zogen erste Kampfeinheiten, unter anderen ein Panzerregiment, ab. In den frei gewordenen Blöcken 2 und 3 entstand im Laufe der Jahre eine Militärtechnische Schule, der auch die Ausbildung für Militärmusiker angegliedert war. Mit Einrichtung der Schule begann die Entwicklung Proras zu einem militärischen Ausbildungsort. Ausgangspunkt für die Verlegung der kämpfenden Truppen war die Erkenntnis, dass diese, an der deutsch-deutschen Grenze und später im Raum Berlin stationiert, im Ernstfall sofort einsatzbereit waren. Auf Rügen hätten die Truppen grundsätzlich das Problem gehabt, nicht schnell genug von der Insel herunterzukommen.
Im Norden Proras ging ab 1981 die "Offiziershochschule Otto Winzer" für Kader befreundeter Staaten in Betrieb. Soldaten aus Afghanistan, Kuba, Kongo, Jemen, Vietnam und anderen Staaten, auch Angehörige der Palästinensischen Befreiungsfront (PLO), erhielten hier eine mehrjährige Ausbildung.
Ende 1982 zog mit dem Fallschirmjägerbataillon aus Block 5 die letzte große Truppeneinheit von Prora weg. In dem Block 5 wurden nun bis 1989/90 ein Baubataillon und Bausoldaten, Waffenverweigerer der DDR, stationiert. Ihre Aufgabe war es, den militärstrategischen Hafen Mukran mitzubauen. Mit einer Zahl von jeweils 400 bis 500 Mann pro Jahr war Prora von dieser Zeit an der größte Bausoldatenstandort der DDR.
Seit September 1964 gab es in der DDR die Verordnung über die Baueinheiten. Sie ermöglichte es Männern, die keinen Wehrdienst leisten wollten - aus religiösen oder anderen Gründen - innerhalb der NVA einen Dienst ohne Waffen ableisten zu können. Allerdings bedeutete diese Entscheidung zugleich, dass die Bausoldaten als Staatsfeinde angesehen wurden. Ein Studium war ihnen somit in der Regel, mit Ausnahme von Theologie, verwehrt. Zudem wurden sie zu ihrem 1 1/2-jährigen Dienst oftmals erst sehr spät eingezogen, so dass sie häufig schon eine eigene Familie mit Kindern hatten. Auch dies waren erschwerende Bedingungen.
Bausoldaten, wegen ihres Spatens auf den Schulterstücken auch Spatensoldaten genannt, gab es bereits seit den 1960er Jahren in Prora. Allerdings bestanden ihre Gruppen in der Anfangszeit hier lediglich aus etwa 20 Mann.
Der Bausoldatendienst in der DDR war in den Staaten des Warschauer Vertrages Ländern einmalig. In keinem der anderen Länder gab es die Möglichkeit eines Ersatzdienstes, lediglich die der Totalverweigerung. Erst in den 1980er Jahren gab es in Polen einen zivilen Ersatzdienst. In der DDR war ein ziviler Ersatzdienst allerdings bis zu ihrem Ende nicht möglich. Die Bausoldaten sind als ein Teil der Oppositionsbewegung der DDR einzuordnen.
Im Rahmen der Bildungsarbeit des PRORA-ZENTRUMs zur DDR-Geschichte des Militärstandortes Prora haben wir uns über Jahre bemüht, immer wieder neue Arbeitsmaterialien aus der bereits geleisteten Archivforschung zusammen zu stellen und Zeitzeugengespräche zu organisieren. Immer wieder stellten wir dabei fest, dass uns ein breites Spektrum an Zeitzeugenberichten aus unterschiedlichsten Bereichen des Militärstandortes Prora fehlt. Aufgrund dieses Defizits haben wir uns entschlossen, das Interviewprojekt bei der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur zu beantragen. Wir freuen uns sehr, dass das Projekt bewilligt wurde und bedanken uns auch nochmals bei der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR MV für die Zuförderung.
Zeitzeugeninterviews haben in der historischen Forschung mittlerweile eine wichtige Rolle eingenommen, an einem historischen Ort wie Prora bietet sich die Oral History besonders an. Vom Militärstandort Prora gibt es ab 1949/50 in erster Linie schriftlichen Quellen im Militärarchiv Freiburg. Daneben gibt es die Akten der Staatssicherheit der ehemaligen DDR, die von der BStU (Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Staatssicherheit) verwaltet werden. Darüber hinaus befinden sich noch Akten der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv Berlin. Es handelt sich also entweder um Informationen über die handelnden und ausführenden Personen aus Sicht des Militärs, der Staatssicherheit oder der Parteien und Massenorganisationen der DDR.
Insbesondere für die Bildungs- und Ausstellungsarbeit bietet es sich an, mit Hilfe von Zeitzeugeninterviews die Erinnerungen und Erlebnisse der handelnden Personen in den verschiedenen Zeiten an diesem Militärstandort zu dokumentieren und diese dann durch forschendes Lernen mit Hilfe schriftlicher Quellen abzugleichen und sie schließlich wieder in die historischen Gesamtzusammenhänge einzuordnen.
Das PRORA-ZENTRUM betritt mit seinem Zeitzeugenprojekt Neuland. Es gibt zwar Archive in Jena, in Leipzig und Berlin, die umfangreiche Sammlungen von Oppositionellen und somit auch Bausoldaten der gesamten DDR, darunter auch Bausoldaten aus Prora, haben. Auf der Webseite „Proraer Bausoldaten“, einem virtuellen Museum sind Fotos und Berichte von ehemaligen Bausoldaten aus Prora zu finden, Biografien von ehemaligen Bausoldaten in Form von Büchern wurden herausgegeben. Daneben existieren Webseiten von ehemaligen NVA-Fallschirmjägern und anderen Militär-Angehörigen.
Ein vergleichbares Projekt, bei dem Zeitzeugen in diesem Umfang zur Geschichte des Militärstandortes Prora befragt wurden, gibt es bisher nicht. Das PRORA-ZENTRUM trägt mit dem Interviewprojekt somit zur weiteren Erforschung der überregional bedeutenden Geschichte Proras in der SBZ- und DDR-Zeit bei.
Unter Download finden Sie das Programm zur Tagung Erfahrungen Konzepte Perspektiven. Zeitzeugeninterviews in der Bildungsarbeit zu NS- und DDR-Geschichte