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Im Zuge der ideologischen Differenzen des Ost-West-Konfliktes entwickelten sich in den zwei deutschen Staaten kontroverse Praktiken der Erinnerung an die NS-Zeit. Im Westteil entstand eine dezentrale und vielfältige Erinnerungslandschaft, im Osten folgte die Erinnerung den einseitigen und zentralistischen Vorgaben der SED. Der Bezug zur jüngsten Vergangenheit schien eine strategische Bedeutung für die deutsch-deutsche Geschichte zu haben.
Rückblickend lässt sich feststellen, dass sich die bundesrepublikanische Aufarbeitung der NS-Zeit mit der zunehmenden zeitlichen Distanz intensiviert hatte. Die Diktatur des NS-Regimes stellte zwar von Anfang an ein politisch-gesellschaftliches Thema dar, konnte jedoch keine tiefgreifenden Diskussionen hervorrufen. Bis zum Ende der fünfziger Jahre wurde der Holocaust in der Öffentlichkeit kaum als eine zentrale Frage wahrgenommen. Vielmehr interpretierte ein großer Teil der deutschen Bevölkerung den Nationalsozialismus im Allgemeinen als einPhänomen und sich selbst als Opfer. Diese „gewisse Stille“ lässt sich auf die für den demokratischen Wiederaufbau notwendige Transformation der Nachkriegsgesellschaft zurückführen.
Zunächst herrschte in der Bundesrepublik eine Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, allerdings ohne bedeutende Hinweise auf eine Differenzierung der Opfergruppen. Erst die 1959 beginnende Fischer-Kontroverse in der Geschichtswissenschaft über die Schuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg oder die Verjährungsdebatte von NS-Verbrechen in den sechziger Jahren erregten das öffentliche Interesse an einer kritischen Konfrontation mit der Vergangenheit. Die neue Studentenbewegung verlangte nach Erklärungen, die die Deutschen nicht nur als Opfer herausstellten, sondern zunehmend auch als Täter in den Blickpunkt rückten.
Auf politischer Ebene belebte besonders die sozialliberale Koalition seit dem Jahr 1969 den Diskurs über das NS-Regime und seine Verbrechen von Neuem. Der Kniefall vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos als symbolische Geste repräsentiert die Erinnerungsbemühungen Willy Brandts. Auf diese Weise strebte er eine Aussöhnung mit den Opfern im Osten an.
In den siebziger Jahren wandelte sich der „Verlust der Geschichte“ zu einer „Faszination der Geschichte“ um. Als im Jahr 1979 die US-amerikanische Serie Holocaust ausgestrahlt wurde, war die aktive Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und dem Holocaust bereits als zentraler Bestandteil der deutschen Erinnerung angekommen. Das gesellschaftliche Interesse an einer lebendigen Erinnerungskultur ist seitdem zu einem Charakteristikum der Bundesrepublik geworden.
Seit ihrer Gründung begann die DDR ebenso eine eigene Erinnerungskultur herauszubilden. Hier kam jede Initiative im Unterschied zur Bundesrepublik ausschließlich von oben. Der Umgang mit der Geschichte war der SED-Diktatur völlig unterworfen und ließ kaum Raum für lebendige Diskussionen. Es existierte nur ein von der Partei zur Machtlegitimierung instrumentalisiertes Geschichtsbild, das den Sieg des Kommunismus über den Faschismus kanonisierte. In dieser Hinsicht bildete sich in der DDR eine Erinnerungskultur über das jüngste Geschehen wesentlich schneller als in der Bundesrepublik heraus. Nur ging es in dieser Erinnerung vergleichsweise wenig um die NS-Verbrechen und ihre Opfer. Der Holocaust spielte längst nicht solch eine zentrale Rolle wie in der westlichen Republik.
Die DDR hinterließ zahlreiche Spuren ihrer Erinnerungskultur. Ende der fünfziger Jahre wurden die drei großen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück eingerichtet. Durch öffentliche Veranstaltungen gesellten sie sich meist zu den Inszenierungen eines staatlich betriebenen antifaschistischen Gedenkens. Somit wurden der Antisemitismus und der Holocaust weiterhin aus der öffentlichen Erinnerung verdrängt.
Der Nationalsozialismus wurde lange Zeit als fremdes Erbe dargestellt. Die DDR-Ideologie erklärte die alte Bundesrepublik zum alleinigen Nachfolgestaat des Dritten Reiches. Dass damit gleichzeitig eine Schuldzuweisung für den Holocaust verbunden war, stimmte mit dem polarisierten Denken des Ost-West-Konfliktes überein. Das Thema wurde erst in den achtziger Jahren aufgegriffen und dies auch nur aufgrund politischer Intentionen der SED-Führung. Im Vorfeld des Besuchs Erich Honeckers im Jahr 1988 in Washington kam es zu einer Entschädigung jüdischer Opfer, welche die USA als Bedingung für den Besuch gestellt hatten. Honecker willigte ein und versprach sich davon internationales Ansehen für die DDR. Dem Bekenntnis zur NS-Vergangenheit lagen somit eher pragmatische Überlegungen zugrunde als eine aufrichtige Auseinandersetzung mit deutscher Schuld und Verantwortung.
Auf gesellschaftlicher Ebene gab es allerdings immer wieder einzelne Aktivitäten, um die Erinnerung an die nichtkommunistischen NS-Opfer wachzuhalten. Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer konnten einige bürgerliche und kirchliche Initiativen ein öffentliches Gedenken an den Völkermord an den Juden anregen. Der Wille zu einem differenzierten Opfergedenken wurde zumindest in einem Teil der Bevölkerung langsam sichtbar.
Die Erinnerungskulturen der Bundesrepublik und der DDR waren nicht nur sehr unterschiedlich, sie waren teilweise auch gegenläufig. Beide Staaten beanspruchten für sich, die deutsche Nation in politischer und kultureller Hinsicht zu vertreten. Aber während die Bundesrepublik sich zu ihrer Verantwortung gegenüber den NS-Opfern bekannte und eine gesellschaftliche Aufklärung anstrebte, leugnete die DDR eine Mitverantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen und dementierte jede historische Kontinuität zum Nationalsozialismus. Dies hat auch damit zu tun, dass in der DDR jede Initiative ausschließlich von oben kam und einem staatlich verordneten Geschichtsbild folgte. Dagegen entwickelte sich in der alten Bundesrepublik dank des starken zivilgesellschaftlichen Engagements von Initiativen und Organisationen eine lebendige Erinnerungskultur. Grundlegende Themenspektren des Nationalsozialismus wurden auf eine differenzierte Weise aufgearbeitet.
Nichtsdestotrotz muss kritisch angemerkt werden, dass in beiden Deutschlands wichtige Fragen noch jahrelang warten mussten, um ins Blickfeld der Erinnerungen zu gelangen. Dazu gehören die Opfer nichtjüdischer Gruppen und Nationalitäten, die Opfer von Flucht und Vertreibung, die Opfer sowjetischer Verbrechen sowie die Zwangsarbeiter. Diese Themen wurden in der alten Bundesrepublik zwar aufgegriffen, gewannen aber erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine breite gesellschaftspolitische Brisanz. In der DDR wurden sie weitestgehend vermieden. Letzten Endes folgte der Umgang mit der NS-Vergangenheit dem Ost-West-Blockdenken und machte vor allem die tiefe Einbindung in die gegnerischen Blöcke des Kalten Krieges sichtbar.
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