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Dokumentarfilm über das Sowjetische Speziallager Nr. 9 (1945-1948)

Der Dokumentarfilm „Schicksal Fünfeichen – Das sowjetische Speziallager Nr. 9“ von Rainer Burmeister widmet sich der Geschichte des NKWD-Lagers bei Neubrandenburg. Der 45-minütige Film wurde von der Heimatfilm Produktion im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Jahre 2005 produziert.

Entnazifizierung in der SBZ

Regisseur Burmeister hat für seine Dokumentation ehemalige Internierte des sowjetischen Speziallagers interviewt und ihre Aussagen mit historischen Filmaufnahmen montiert. Der Film setzt im April 1945 ein und stellt eine Handvoll Zeitzeugen aus Hitlers „letztem Aufgebot“ (Filmzitat) vor, die zum Ende des Krieges überwiegend im jugendlichen Alter waren. Die alliierten Besatzer verständigen sich auf eine Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft. In der sowjetischen Besatzungszone wurden zu diesem Zweck mehrere Internierungslager eingerichtet, die vom Geheimdienst NKWD verwaltet wurden. Nach der Befreiung Deutschlands begann der NKWD, tatsächliche und vermeintliche NS-Verantwortliche in den sogenannten Speziallagern zu internieren. Dazu gehörten Verantwortliche aus der Hitlerjugend oder des Bundes Deutscher Mädel, ferner politische Meinungsbildner aus Presse und Verwaltung und andere. Die im Film auftauchenden Zeitzeugen waren zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung überwiegend im Alter von 16 und 17 Jahren. Eine Auswahl, die sicher auch der späten Aufarbeitung dieser Geschichte geschuldet ist.

Fünfeichen

Im April 1945 befreite die Rote Armee das Stalag (Stammlager) II A, in dem die Wehrmacht tausende polnische Kriegsgefangene eingesperrt hatte. Mit der Übergabe des Militärs an den NKWD wurde aus dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager das Speziallager Nr. 9. Schon bald trafen die ersten deutschen Gefangenen im Lager ein. Ende 1945 waren bereits 8.000 Gefangene unter sehr einfachen Lebensverhältnissen im Lager interniert. Die im Film befragten Männer und Frauen berichten vom Leben auf engstem Raum und dem Ungeziefer, welches ihnen die Nerven raubt.

Doch aus den Interviews folgt, dass die Lagerinsassen viel stärker mit der eigenständigen Organisation ihres Alltages beschäftigt waren. Viele mussten regelrecht Zeit totschlagen, denn Fünfeichen war kein Zwangsarbeitslager. Stattdessen beabsichtigte die sowjetische Führung, die Internierten von der Außenwelt zu isolieren. Im südlichen Teil des Lagers waren einige Inhaftierte, vor allem Facharbeiter, für die Versorgung des Lagers zuständig. Dort arbeiteten sie in der Schneiderei, Tischlerei, stellten Uhren und Haarschneider her oder mussten im Wald Holz fällen. Als Lohn dafür erhielten sie eine erhöhte Essensration. Die Ernährungslage spielt in den meisten Interviews eine herausragende Rolle. Die Interviewten berichten davon, wie „schlimm“ die Ernährungssituation war - einer spricht von „Folter“. Unter diesen Bedingungen konnten sich Krankheiten schnell verbreiten. Von den 15.000 Gefangenen, die zwischen 1945 und 1948 im Speziallager Fünfeichen inhaftiert waren, starben etwa 4.900 Personen. Die Toten wurden in einem Massengrab in der Nähe des Lagers von Grabkommandos begraben. Die hohe Sterbezahl dringt auch zur außerhalb des Lagers lebenden Bevölkerung durch. Der NKWD zeichnete auf, dass Gerüchte über „sowjetische Todeslager“ zirkulierten. Um ihr Ansehen in der deutschen Bevölkerung zu verbessern und um für mehr Mitarbeit beim Umbau des Staates zu werben, wurden im Juli 1948 die ersten Häftlinge freigelassen. Doch erst im August 1949 wurde das Lager endgültig aufgelöst.

Erinnerung an das Speziallager

Bis zum Herbst 1989 wurde die Geschichte der sowjetischen Speziallager tabuisiert. Erst nach dem Ende der DDR begann die Aufarbeitung dieser schwierigen Vergangenheit. Denn wie kann der Umgang mit einem solchen Ort und seiner doppelten Geschichte aussehen? Im Schlusssatz des Filmes heißt es: „Fünfeichen wird für immer ein Ort der Mahnung bleiben. Ein Mahnmal gegen Krieg, Gewaltherrschaft und jede Form von Diktatur.“ Spätestens an dieser Stelle ist es bedauerlich, dass dem Film keine begleitenden Unterrichtsmaterialien zur Seite stehen. Eine Zeitzeugin resümiert in der Retrospektive die Jahre in Fünfeichen: „Ich hätte mir meine Zeit von 17 bis 20 auch anders vorstellen können.“ Wie können diese Worte bei Überlebenden des Holocaust nicht wie blanker Hohn wirken? Ein anderer ehemaliger Häftling sagt über das System der Speziallager: „Da braucht man nicht über Recht oder Unrecht diskutieren. Es war Unrecht!“ In diesen Sätzen steckt eine Menge Diskussionswürdiges.

Mögliche Verwendung des Films in der Bildungsarbeit

Zunächst einmal werden in dem Film Fragen nach Schuld und Unschuld verhandelt. So wird ein russischer Historiker zitiert, dass aus der historischen Forschung zu den Speziallagern mittlerweile bekannt sei, dass ein Teil der Inhaftierten tatsächlich unschuldig eingesperrt war. Diese Menschen wurden zum Teil inzwischen rehabilitiert. Der gleiche Historiker fasst wenig später zusammen: „Die Zeiten waren schrecklich und Gott behüte uns, auf solche Weise unter das Rad der Geschichte zu gelangen.“ Das ist natürlich zu hoffen, aber dennoch sollten zukünftigen Auflagen des Films dringend Materialien zur Diskussion in der Bildungsarbeit beigelegt werden. Denn für sich genommen birgt der Film eine Gefahr. Unterlegt mit dramatischer Musik und Bildern von Bahnhöfen und Stacheldraht wird bewusst oder unbewusst an Sehgewohnheiten angeknüpft, die sich nach Jahrzehnten der Dokumentar- und Spielfilmproduktion zum Nationalsozialismus und seinen Verbrechen herausgebildet haben. Wer denkt bei Erzählungen von ehemaligen Lagerinsassen über Hunger, Krankheit und Tod nicht auch oder gar zu erst an nationalsozialistische Konzentrationslager? Die Geschichten ähneln sich, wenn sie auch vor völlig unterschiedlichen historischen Bedingungen einzuordnen sind. Leider kommt dieser Aspekt im Film aber viel zu kurz. Es ist deshalb fraglich, ob Schülerinnen und Schüler, für die der Film auch produziert wurde, in der Lage sind, diese historische Kontextualisierung ohne zusätzliche Informationen zu leisten.

Der Film ist auf der Homepage der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur für 5 € zu erwerben.

 

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