Von Dorothee Ahlers
Um die Frage nach der Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland wird immer wieder eine kontroverse Debatte geführt. Ausgehend von dieser Feststellung widmet sich die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrer aktuellen Ausgabe der Hefte „Aus Politik und Zeitgeschichte“ dem „Islam in Deutschland“. Das Heft stellt aktuelle Forschungserkenntnisse und Studien vor und lässt unterschiedliche, teils kontroverse Ansichten von Islamwissenschaftlern, Muslimen und Nicht-Muslimen zu Wort kommen.
Das Heft wird eröffnet mit zwei Beiträgen, die sich in ungewöhnlicher Form mit dem geflügelten Wort des „zeitgenössischen Islams“ auseinandersetzen. Divergierende Ansichten zu diesem Konzept verdeutlicht ein teils kontrovers geführtes Gespräch zwischen den Islamwissenschaftler/innen Lamya Kaddor und Milad Karimi. Sie sprechen miteinander über ihr Verständnis von Liberalismus in der Religion, über die konkrete Ausformung eines „zeitgenössischen“ Islams und über die Forderung der Reformation des Islam mit dem Ziel der Integration in die Gesellschaft.
Der Journalist und Autor Eren Güvercin und der deutsch-ägyptische Historiker und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad thematisieren ebenfalls dieses Zusammenspiel zwischen Integration und Religion, über die Rolle des Islam im Arabischen Frühling und über islamischen Religionsunterricht in den Schulen. Abdel-Samad wünscht sich einen Religionsunterricht, der die Aufklärung über verschiedene Religionen ermögliche, aber nicht konfessionsgebunden sein sollte.
Einige der Beiträge fokussieren auf die Wahrnehmung des Islam von außen, so beispielsweise die Islamwissenschaftlerin Nimet Şecer in ihrem Essay „Ist der Islam ein Integrationshindernis?“. Sie verdeutlicht anhand der politisierten Themen Scharia, Gewalt und Kopftuch wie falsche Vorstellungen den Diskurs um die Vereinbarkeit von Islam und Integration bestimmen. Dabei kritisiert sie auf der einen Seite das negative Integrationsverständnis der Debatten und die Verknüpfung von gescheiterter Integration mit einem vereinheitlichenden Bild des Islam und klagt auf der anderen Seite das dabei zu Tage tretende statische Verständnis von Kultur an, das Unveränderlichkeit und Homogenität unterstelle und in gegensätzlichen Kategorien von Westen vs. Islam argumentiere.
Anhand von Zitaten aus der Publizistik verdeutlicht sie weit verbreitete, aber nicht zutreffende Vorstellungen über Scharia, Gewalt und Kopftuch und argumentiert gegen die Politisierung der Weltreligion. Sie wendet sich gegen das Bild, dass die Scharia ein kodifiziertes, unveränderbares Recht darstelle. Ebenso hätten mediale Bilder in der Öffentlichkeit die Verbindung von Islam mit Gewalt und Zwang bewirkt und auf diese Weise theologische, islamrechtliche und soziologische Fragen vermischt. Şecer verweist dabei auf einige aktuelle Studien, die den Zusammenhang zwischen islamischer Religiosität und Gewaltbereitschaft untersucht haben. Auf ähnliche Art und Weise bemüht sich die Autorin, die vereinfachende Gleichsetzung des Kopftuches mit patriarchalen und tradierten Geschlechterrollen zu widerlegen. Dem gegenüber stellt sie die Feststellung, dass das bewusste Tragen des Kopftuches auch Teil eines konstruierten positiven Selbstverständnis von muslimischen Frauen darstelle, die mithilfe theologischer Argumentation gegen patriarchalische Strukturen ankämpfen. Resümierend fordert Şecer die Entpolitisierung der Religion im vorherrschenden Diskurs und schließt mit dem Befund, dass islamische Religiosität kein Hindernis für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland darstellt.
Einen Einblick in das muslimische Gemeindeleben in Deutschland bieten Nilden Vardar und Stephanie Müssig, beide Politikwissenschaftler in ihrem Beitrag über muslimische Konvertiten und ihre zunehmend prominente Rolle in den Gemeinden. Sie verdeutlichen die Heterogenität muslimischer Gemeinden, die sich aus Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensrichtungen, Generationen und Herkunftsländern zusammen setzen und beleuchten mit den Konvertiten eine wenig beachtete Gruppe. Vardar und Müssig zeigen die eindimensionale und vereinfachende Wahrnehmung der Konvertiten durch die Mehrheitsgesellschaft auf. Sie erläutern zunächst neue Forschungserkenntnisse zu Muslimen mit Migrationshintergrund, zum hohen Stellenwert des Gemeindelebens im Islam sowie zum religiösen Leben der zweiten Einwanderergeneration. Konvertiten definieren die Autoren als „Muslime ohne Migrationshintergrund“ und konstatieren, dass zu dieser Gruppe kaum statistisches Material vorliegt. Sie zitieren einige Studien zu Konvertiten in Europa bzw. Deutschland, die Gründe für die Konversion und verschiedene Typen von Konvertiten vorstellen. Diese Darstellung bleibt leider schematisch, spannender sind jedoch die Ausführungen zu möglichen Rollen von Konvertiten in der muslimischen Gemeindestruktur. Die Autoren schlussfolgern, dass Konvertiten als Vermittler zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Gemeinde wirken können.
In einem weiteren Beitrag reflektiert der Islamwissenschaftler Stefan Weidner über den „Nutzen und Nachteil der Islamkritik für das Leben“, so der Titel und fragt nach Möglichkeiten einer sachlichen Auseinandersetzung mit problematischen Aspekten des Islam. Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe thematisiert den unterstellten strukturellen Gegensatz zwischen Islam und säkularem Rechtsstaat und hält die hohe Zustimmung zu den Grundlagen des deutschen Staats-und Rechtssystems unter Muslimen dagegen. In dem Beitrag „Islamische Studien an deutschen Universitäten“ verdeutlicht der Islamwissenschaftler Michael Kiefer die Bedeutung, die die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts und die Akademisierung des Islam für die gesellschaftliche Integration des Islam in Deutschland spielt. Der letzte Beitrag des Historikers Michael Borgolte besteht aus einem historischen Exkurs über die Vermittlerrolle, die Muslime zwischen christlichen Ländern und den Errungenschaften antiker und orientalischer Gelehrsamkeit gespielt haben.
Das aktuelle ApuZ-Heft bietet spannende und teils kontroverse Beiträge zu Fragen nach dem Selbstverständnis unserer Gesellschaft, nach Integration, der Rolle von Religionen im öffentlichen Raum und ihrem Verhältnis zum Staat. Es bietet umfangreiche Informationen zumeist aus aktuellen Studien, verdeutlicht an vielen Stellen die Prägung unseres Islambildes durch Medien und zeigt die Kontroversität einiger Aspekte auch innerhalb der Gemeinschaft deutscher Muslime.
Das Heft ist in der Printversion bereits vergriffen, kann aber kostenlos auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung heruntergeladen werden.
Bis zum Frühjahr 2011 hat die Bundeszentrale in Zusammenarbeit mit dem Berliner Verein Ufuq e.V. den Newsletter "Jugendkultur, Religion und Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen" herausgegeben. Lernen aus der Geschichte hatte das Projekt bereits vorgestellt. Auf den Seiten der Bundeszentrale findet sich das Newsletter-Archiv.
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- 12/10/2011 - 12:35