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Orte historischen Lernens

Handro, Saskia / Schönemann, Bernd (Hg.): Orte historischen Lernens, Berlin 2008.

Von Markus Nesselrodt

Der von Saskia Handro und Bernd Schönemann herausgegebene Sammelband „Orte historischen Lernens“ behandelt den Umgang mit außerschulischen Forschungsfeldern. Obwohl Lernorte seit Jahrzehnten zum Alltag der Geschichtsdidaktik gehörten, stehe eine präzise fachspezifische Bestimmung des Lernortbegriffes noch aus. In der Praxis vermischen sich eher verschiedene Bedeutungen des Wortes und bezeichnen sowohl historische Orte, Geschichtslandschaften als auch institutionalisierte Orte wie Museen, Gedenkstätten und Archive. Oder mit den Worten des Geschichtsdidaktikers Bodo von Borries „Das Problem beim 'Lernort' ist also, dass das Wort alles und nichts heißt – und meist beides zugleich“ (S.27).

Von Borries eröffnet den Sammelband mit der Forderung nach einem grundsätzlichen Wandel im Umgang mit Lernorten. Dazu sei es zunächst wichtig, das Verhältnis von Lernort und Lernenden, zu untersuchen. Wenn man, wie von Borries Lernen als „ Konstruktion des Lernsubjektes“ (4) versteht, dann öffnet sich der Begriff des Lernortes auch für virtuelle Orte, an den historisches Lernen erfolgt, wie beispielsweise in Computerspielen. Der Autor konstatiert zudem, dass auch die Gruppe der Lernenden in den letzten Jahrzehnten heterogener geworden sei, worauf sich das Angebot der institutionalisierten Lernorte einrichten müsse. Diese ständige Notwendigkeit einer Neudefinition erschwere eine klare Profilierung des Lernortbegriffes. Von Borries' Vorschlag lautet deshalb auch vorsichtig: „Lernorte sind zeitgebundene gesellschaftliche Konstrukte, denen erst durch gesellschaftlichen Diskurs Lernortqualitäten zugesprochen wird“ (5). Um die seiner Meinung nach unscharfe Verwendung des Begriffes Lernorte zu umgehen, plädiert von Borries für den Begriff „Orte des Geschichtslernens“. Ein wesentliches Problem besteht allerdings darin, dass dieser Lernortbegriff recht weit ist, umfasst er doch sowohl „real-lokale“ als auch „metaphorische Plätze“, an denen historisches Lernen stattfinden kann (22). Folglich unterscheidet der Autor zwischen Lernorten, „Geschehensorten“ und „Erinnerungsorten“, die sich in der Praxis natürlich überlagern und mitunter in Konflikt zueinander stehen können. Auf diese Annahmen müssten jedoch noch weitere Untersuchungen über „Orte des Geschichtslernens“ folgen, so schließt von Borries.

Auf diese einleitenden Bemerkungen folgen vier unterschiedliche Zugriffe auf das Thema. Zunächst skizzieren fünf Beiträge Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Schulen, im Geschichtsunterricht und im Lernort Museum. So fragt beispielsweise Matthias Mertens nach dem Umgang von Schülerinnen und Schülern mit Darstellungen der Vergangenheit. Johannes Meyer-Hamme untersucht den Zusammenhang zwischen Lernorten und historischen Identitäten. Die bei von Borries angesprochenen Erinnerungsorte sind Thema des Beitrages von Sabine Moller über die „DDR als Spielfilm und als Familiengeschichte“.

Im dritten Teil des Buches rückt die geschichtskulturelle Perspektive auf Lernorte in den Fokus. Die fünf Beiträge untersuchen reale und metaphorische Orte, die von herausragender Bedeutung für die deutsche Geschichte sind. Diese Lernorte reichen von der Bonner Republik (Christopher Schwarz) über Gedenkstätten der 1848er Revolution (Marko Demantowsky) bis hin zu KZ-Gedenkstätten (Jean-Patrick Bauer). An diesen und anderen Orten scheinen sich gesellschaftliche Diskurse über die Vergangenheit zu materialisieren. Um so wichtiger sei es, die politischen Interessen zu identifizieren und zu reflektieren.

Unter der Überschrift „Die pragmatische Perspektive“ fragen Holger Thünemann und René Mounajed nach dem Potential zweier gegensätzlich scheinender Lernorte. Im ersten Beitrag werden Herausforderungen und Chancen von Denkmälern als Orte historischen Lernens vorgestellt. Thünemann fordert vor allem die historische Kontextualisierung von Denkmälern. Der zweite Text reflektiert dagegen das Lernpotential von Geschichtscomics, die Mounajed für den Einsatz im Unterricht empfiehlt.

Das abschließende Kapitel des Bandes wendet sich der „Schule als Schauplatz von Geschichtskultur“ (Barbara Hanke) sowie der Rolle des „Geschichtsbuches als Ort narrativer Sinnstiftung“ (Christian Weiß) zu. Dabei wird deutlich, dass die Schule und der Geschichtsunterricht wesentliche Elemente der Einübung ritualisierter Geschichtsinterpretation waren und sind. Hanke zeigt, wie schulische Gedenkfeiern neben der Rückschau auf Vergangenes auch stets den Bedürfnissen der Zeit Ausdruck verliehen. Den Einfluss von Geschichtsbüchern auf Vorstellungen von nationaler Geschichte untersucht Weiß am Beispiel deutscher und französischer Schulbücher.

Der Sammelband „Orte historischen Lernens“ bietet interessante Anregungen für die Debatte um Definition und Funktion von Lernorten bzw. Orten, an denen historisches Lernen stattfindet. Allerdings dürfen keine endgültigen Antworten erwartet werden. Die Herausgeber/innen Saskia Handro und Bernd Schönemann geben interessierten Leser/innen einen Überblick über ein Forschungsfeld, auf dem es für die Geschichtsdidaktik noch einiges zu tun gibt.

 

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