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Das „Unternehmen Barbarossa“ und der Fall Paul Karl Schmidt

Auf der Internetseite des Tübinger Instituts für Friedenspädagogik finden sich Unterrichtsmaterialien von Wigbert Benz, Lehrer a.D. und Autor des einführenden Diskussionsbeitrages dieser Magazinausgabe, zu zwei Themen den deutsch-sowjetischen Krieg betreffend. Unter dem Titel Das „Unternehmen Barbarossa“ 1941  - der nationalsozialistische Deckname für den deutschen Angriff auf die Sowjetunion – verfasste der Autor ein umfangreiches Dossier zum deutsch-sowjetischen Krieg und stellt eine einführende dreistündige Unterrichtssequenz inklusive Quellenmaterialien zur Verfügung. Ein zweiter Unterrichtsentwurf mit dem Titel Paul (Karl) Schmidt-Carells Holocaust PR 1944 ermöglicht die vertiefte Beschäftigung mit einem exemplarischen Fall.

Das Dossier Unternehmen Barbarossa umfasst zunächst eine Skizze des Forschungsstandes aus BRD-, DDR- sowie sowjetischer und russischer Perspektive, des Weiteren eine Erläuterung der nationalsozialistischen Kriegsziele, Kriegsführung und Besatzungspraxis. Der Autor betont dabei stets den Charakter des deutsch-sowjetischen Krieges eines dezidierten Vernichtungskrieges, der somit den historischen Rahmen für den Holocaust geschaffen habe. 

Die Rezeption des Krieges nach 1945 thematisiert Benz in einem weiteren Aufsatz und konstatiert, dass die Opfer der deutschen Kriegsführung und Besatzung in der Sowjetunion kaum in das deutsche kollektive Gedächtnis eingegangen sind. Im Klima des Kalten Krieges sei es opportun gewesen, den Vernichtungscharakter des Russlandfeldzuges zu leugnen. Beispielhaft führt Benz hierzu die Rolle von SS-Obersturmbannführer und Sprecher des Außenministeriums Paul Karl Schmidt als Nachkriegschronisten des Russlandfeldzuges an. Für die historische Bildungsarbeit hat dieser Umstand insofern Relevanz, als die gesellschaftliche Rezeption des Krieges im Osten die Voraussetzung für eben diese Bildungsarbeit darstellt. Benz verweist dabei darauf, dass die Thematisierung des Vernichtungskrieges lange Zeit als Tabu galt und vielmehr Deutschland als ein Opfer von Nationalsozialismus und Krieg dargestellt wurde. Aus einer Analyse von Geschichtslehrwerken resümiert Benz, dass diese zwar inzwischen die machtpolitischen, ökonomischen und rassenideologischen Dimensionen des Krieges thematisieren würden, der Aspekt der Vernichtung jedoch immer noch zu kurz kommen würde. Da dieses Urteil jedoch vor allem für die Sekundarstufe I gelte, erörtert Benz die Problematik in dem Aufsatz Das Thema im Unterricht noch einmal ausführlich. Er argumentiert dabei, dass die Konfrontation mit diesem „größten Vernichtungskrieg der Geschichte“ einen Beitrag zur Friedenserziehung darstelle.

Im Anschluss an diese umfangreichen Erläuterungen skizziert Benz eine dreistündige Unterrichtssequenz, konzipiert für die Jahrgangsstufe I. Das Ziel der Unterrichtseinheit fasst Benz zusammen in vier wesentliche Bedingungsfelder des Krieges (Eroberung von „Lebensraum“, wirtschaftliche Ausbeutung, verbrecherische Befehle, militanter Antikommunismus als ideologische Grundlage) und gibt ein Tafelbild als Ergebnis der Sequenz vor. Die Erarbeitung soll in vier Abschnitten erfolgen, denen er fünf Quellen (M1-M5) mit Leitfragen zuordnet. Diese Quellen sind auf der Seite (Materialienanhang zur Unterrichtssequenz) verfügbar. Zunächst soll die zentrale Zielsetzung des Krieges der Zerstörung der Sowjetunion anhand von Notizen von Generaloberst Halder aus einer Ansprache Hitlers erarbeitet werden (M1). Sodann folgt ein Ausschnitt aus Mein Kampf (M2), aus dem sich die Pläne für die Eroberung von „Lebensraum“ erschließen lassen. Die nationalsozialistische Wirtschafts- und Hungerpolitik soll anhand einer Aktennotiz über eine Besprechung der Staatssekretäre (M3) erschlossen werden. Die verbrecherischen Befehle werden anhand des Kriegsberichtsbarkeitserlasses und des Kommissarbefehls verdeutlicht, sowie deren Rezeption in den Erinnerungen eines ehemaligen Kriegsteilnehmers (M4) thematisiert. Der Antikommunismus als ideologische Grundlage schließlich kann anhand von Quellenauszügen zu den Positionen der beiden großen christlichen Konfessionen sowie einem General des militärischen Widerstandes (M5) bearbeitet werden.

Diese Unterrichtseinheit ermöglicht eine Thematisierung des deutschen Vernichtungskrieges im Osten auf einem relativ niedrig schwelligem Niveau. Anhand von wenigen zentralen Quellen können wesentliche Aspekte der deutschen Kriegsführung heraus gearbeitet werden. Somit ermöglicht die Sequenz den Einstieg in dieses komplexe Thema, das dann je nach zur Verfügung stehenden Zeit und Klassenstufe um weitere Aspekte erweitert bzw. vertieft werden kann.

Wigbert Benz stellt auf der Webseite einen weiteren Unterrichtsentwurf zur Verfügung, der verdeutlicht, auf welche Weise das NS-Regime sich bemühte, den Mord an den Juden zu verschleiern oder zu rechtfertigen, um die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg nicht zu gefährden. Diesen Zusammenhang thematisiert Benz anhand des konkreten Beispiels von Paul Karl Schmidt, Pressechef des Auswärtigen Amtes. Schmidt war im Kontext der Judendeportation in Ungarn dafür zuständig, die entsprechenden Telegramme auf ihre mögliche Wirkung zu überprüfen und gegebenenfalls propagandistisch gegenzusteuern. Darüber hinaus machte er jedoch aus eigener Initiative Vorschläge zur Rechtfertigung von zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplanten Deportationen. Anhand dieses Beispiels lassen sich die Verquickung von Holocaust und Moral der deutschen Bevölkerung sowie die konkreten bürokratischen Entscheidungsfindungen hin zum Holocaust aufzeigen. Doch Schmidts Leben im Nachkriegsdeutschland zeigt noch weitere Punkte auf: Zunächst einmal das Versagen der Nachkriegsjustiz im Umgang mit sogenannten Schreibtischtätern wie Schmidt, und zweitens die Möglichkeit ehemaliger NS-Akteure, durch ihre Stellung in der Nachkriegsgesellschaft – in Schmidts Fall durch Veröffentlichungen unter Pseudonymen wie P.C. Holm, Paul Carell oder Schmidt-Carell - die Meinung zum Nationalsozialismus zu beeinflussen.

Zur Behandlung dieses umfangreichen Themenkomplexes stellt Benz verschiedene Quellen (M1-M7) sowie dazugehörende Aufgaben zur Verfügung. Die Quellen M1-M4 behandeln den Vorschlag Schmidts, den er zur Organisation der Ermordung der ungarischen Juden leistete. Sie umfassen den Originaltext dieses Vorschlages sowie Reaktionen darauf in Form von Sitzungsprotokollen und einem Telegramm von Edmund Veesenmayer, dem Reichsbevollmächtigten in Ungarn. M5 bis M7 befassen sich mit Schmidt nach 1945. Ein Vermerk der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen resümiert, dass Schmidts „versuchte (erfolglose) Beihilfe zum Verbrechen“ nach momentaner Gesetzeslage nicht mehr strafbar sei; weiterhin findet sich eine Aussage von Schmidt aus dem Prozess. M6 umfasst einen Ausschnitt aus seinem Buch „Unternehmen Barbarossa“ und M7 ein Zitat „P.C. Holms“ aus der ZEIT von 1954, in dem er die Schuld für den Hitler-Stalin-Pakt der Sowjetunion zuweist.

Der Unterrichtsentwurf zu Paul Karl Schmidt ermöglicht komplexe Zusammenhänge der Judenvernichtung auf der einen Seite sowie die Stellung nationalsozialistischer Täter in der Nachkriegszeit auf der anderen Seite anhand eines konkreten Beispiels zu thematisieren. Dies ist sicherlich eher eine Thematik für die Sek. II, kann aber beispielsweise gut aufbauend auf den einführenden Unterrichtsentwurf zum „Unternehmen Barbarossa“ verwendet werden.

Einen inhaltlichen Überblick über wichtige Aspekte des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion kann man sich in einem Dossier der Internetseite Shoa.de verschaffen. Das Dossier beinhaltet sehr gute Überblickstexte unter anderem auch von Wigbert Benz.

 

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