Dialogue

Der „Paukenschlag“

Die Deutschen und der Jerusalemer Eichmann-Prozess

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Dr. Peter Krause ist Autor der Monografie „Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse“ (2002) Frankfurt am Main und arbeitet an der Universität Konstanz.

Peter Krause

Als am 23. Mai 1960 der israelische Ministerpräsident David Ben-Gurion vor das israelische Parlament, die Knesseth, trat und bekannt gab, dass sich der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Leiter des für „Juden- und Räumungsangelegenheiten“ zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes der SS Adolf Eichmann „in israelischem Gewahrsam“ befindet und „in Kürze nach dem Gesetz gegen Nationalsozialisten und Kollaborateure vor Gericht gestellt werden“ wird, wirkte dies wie ein Paukenschlag, der weltweit für Aufsehen sorgte.

Auch in Deutschland – in der Bundesrepublik wie in der DDR – wurde der Fall Eichmann über viele Monate hinweg zu einem der wichtigsten historisch-politischen Ereignisse, welches nicht nur die Nachrichtenseiten der Zeitungen beherrschte, sondern auch zu einem wichtigen Gegenstand politischer und intellektueller Debatten wurde, die zum Teil noch heute für Aufregung sorgen.

Für die in der Bundesrepublik geführte Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen war der Prozess, der am 11. April 1961 begann und in der Nacht zum 1. Juni 1962 mit der Vollstreckung des Todesurteils seinen Abschluss fand, von kaum zu überschätzender Bedeutung. Er führte dazu, dass die nationalsozialistischen Verbrechen, der Mord an den europäischen Juden in einer bis dahin nicht erlebten Ausführlichkeit in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Vor allem trug der Prozess dazu bei, die Frage nach der Mitverantwortung der vielen anderen „kleinen Eichmänner“, der vielen Mittäter und Handlanger, die an der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden beteiligt waren, laut vernehmlich zu stellen. So wurde der Prozess von Jerusalem zu einer Initialzündung für eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des NS-Regimes und trug dazu bei, das „kommunikative Beschweigen“ (Hermann Lübbe) der 1950er Jahre zu beenden.

Ein wichtiger Grund für die große Wirkung des Prozesses war neben der spektakulären Festnahme Eichmanns und der Tatsache, dass er in Jerusalem vor Gericht gestellt wurde, vor allem die Gestaltung des Prozesses selbst. Die Strategie der israelischen Staatsanwaltschaft, den Prozess gegen Adolf Eichmann zu nutzen, um das Verbrechen der Vernichtung der europäischen Juden in seiner ganzen Breite und Schrecklichkeit zu dokumentieren, führte dazu, dass der Blick weit über seine Person hinaus gelenkt wurde. Insbesondere die über 100 Zeugen, bei denen es sich fast ausschließlich um Überlebende handelte, schilderten in einer bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannten Ausführlichkeit das Ausmaß des Grauens. Sie sorgten dafür, den Opfern ein Gesicht zu geben.

Nicht weniger bedeutsam für die öffentliche Wirkung des Prozesses war jedoch das Auftreten des Angeklagten im Gerichtssaal. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer entsprach mitnichten dem Bild eines hasserfüllten Nazis, vielmehr erinnerte er an einen kleinen Angestellten und nicht an einen blutrünstigen Massenmörder. Dieses Fehlen des „Dämonischen“ oder „Bösen“ in seiner äußeren Erscheinung und die scheinbar kalte und bürokratische Sprache Eichmanns – wie nicht nur Hannah Arendt festgestellt hat – erklärt auch, warum er im Laufe des Verfahrens zu einem Musterexemplar des nationalsozialistischen Schreibtischtäters wurde.

Wie aber sahen die Reaktionen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit, d.h. insbesondere in der Presse auf die Gefangennahme Eichmanns und den Prozess konkret aus?

Zu allererst kann man feststellen, dass nahezu täglich über den Fortgang des Verfahrens berichtet wurde. Rundfunk und Fernsehen brachten Sondersendungen und zahlreiche Politiker, Vertreter der Kirchen, Intellektuelle, Publizisten, Künstler und andere Personen des öffentlichen Lebens äußerten sich im Vorfeld, während und nach dem Prozess zum Fall Eichmann. Aufgrund der gut zweijährigen Dauer des Verfahrens gegen Eichmann verlief die öffentliche Debatte über den Fall in Wellen, die ihre Höhepunkte in den Wochen nach der Bekanntgabe der Gefangennahme und während des Prozesses hatten. Gleichwohl lässt sich aber feststellen, dass das öffentliche Interesse in der Bundesrepublik über den gesamten Zeitraum auf stetig hohem Niveau blieb, wenn auch die Intensität der öffentlichen Präsenz variierte.

Auf der inhaltlichen Seite lassen sich vor allem sechs Punkte identifizieren:

Erstens wurde die Frage diskutiert, wo Eichmann vor Gericht gestellt werden sollte und ob die Bundesrepublik nicht die Auslieferung Eichmanns beantragen sollte? Besonders in den ersten Wochen nach der Gefangennahme Eichmanns wurde über diese Frage intensiv debattiert. Dabei wurde die Sorge geäußert, dass eine Auslieferung an die Bundesrepublik als ein Rettungsversuch missverstanden werden könnte; denn schließlich gab es in Westdeutschland keine Todesstrafe mehr, und diese galt als sicher, sollte Eichmann in Israel vor Gericht gestellt werden. Da aber bereits früh kein Zweifel mehr daran bestand, dass Israel Eichmann selbst vor Gericht stellen würde, wurde diese Diskussion letztlich als „rein akademische“ beendet.

Der Zweite Punktwar die Frage, „Wer ist Adolf Eichmann?“ Die Zeitungen verwendeten gerade in den ersten Monaten viel Zeit und Platz darauf, den Lesern zu erklären, wer Eichmann ist und welche Position er im Terrorapparat der Nazis innehatte. Denn Adolf Eichmann war trotz seiner Funktion im „Dritten Reich“ einer breiteren Öffentlichkeit bis dahin vollkommen unbekannt gewesen. . Dies sollte sich mit dem Prozess schlagartig ändern. Das große Aufsehen, dass der Prozess in Jerusalem verursachte, machte es unmöglich, den Fall Eichmann zu ignorieren.

Als dritteswurde darüber diskutiert, ob und wenn ja, inwieweit der „Fall Eichmann“ dazu genutzt werden sollte, die Jugend über die Schrecken des Holocaust und die Verbrechen des „Dritten Reiches“ aufzuklären. Eine Debatte, die über die gesamte Dauer des Prozesses hinweg geführt wurde und in der die Befürworter eines offenen – wenn man so will – „pädagogischen“ Umganges mit dem „Fall Eichmann“ eindeutig die Oberhand behielten. Es gab aber auch Stimmen – wie z.B. die des STERN-Herausgebers Henri Nannen, die für ein Schweigen plädierten, um die junge Generation nicht mit einem Schuldgefühl zu belasten.

Viertens wurde die grundsätzliche Frage gestellt, ob der Prozess eine Chance biete, sich - endlich – der Vergangenheit zu stellen, was von der überwiegenden Mehrheit der Journalisten – wenn auch vereinzelt unter Zögern und Schmerzen – bejaht wurde.

Ebenso wurde – fünftens – die Frage aufgeworfen, wo die zahlreichen anderen NS-Täter, die vielen kleinen und großen „Eichmänner“ nach dem Ende des Krieges geblieben seien? Hier war es vor allem der Publizist Albert Wucher, der mit seinen Artikeln und Büchern auf personelle Kontinuitäten zwischen dem „3. Reich“ und Bundesrepublik hinwies und so an das schlechte Gewissen der noch jungen Bundesrepublik rührte.

Und schließlich, sechstens, stand die Frage im Raum, was Eichmann zu seinen Taten getrieben habe? War er ein überzeugter Antisemit oder „nur“ ein seelenloser Bürokrat und Mordbeamter?

Insbesondere die Fragen nach dem Verbleib der vielen anderen Täter und Mittäter und nach den Motiven und Beweggründen Eichmanns und der anderen NS-Verbrecher werden bis heute immer wieder aufs Neue gestellt und diskutiert.

 

 

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