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Scham und Schuld. Geschlechter(sub)texte der Shoah

Maja Figge, Konstanze Hanitzsch, Nadine Teuber (Hg.): Scham und Schuld. Geschlechter(sub)texte der Shoah, Bielefeld 2010, € 29,80.
Von Markus Nesselrodt

In der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus spielen Scham- und Schuldbekenntnisse eine entscheidende Rolle, so die zentrale These von Maja Figge, Konstanze Hanitzsch und Nadine Teuber in dem von ihnen herausgegebenen Band „Scham und Schuld. Geschlechter(sub)texte der Shoah“. Die Publikation will aus der Perspektive der feministischen Forschung das vielfältige „Deutungsreservoir deutscher Schuld“ (S. 9) analysieren und stützt sich dabei auf zwei Aspekte: erstens, den öffentlichen Umgang mit der anerkannten Schuld des NS; und zweitens, die Rolle der „auf Scham gründende[n] Verletzung des eigenen Selbstbildes“ (S. 9). Unter der Anerkennung von Schuld verstehen Figge, Hanitzsch und Teuber die Wiedergutmachung einer Verletzung des Anderen. Scham definieren sie als Ausdruck der eigenen Verletzlichkeit bzw. der Versehrtheit der nationalen Identität (S. 11).

Als inhaltliche Klammer für die vierzehn Texte können, so die Herausgeberinnen, Fragen nach der generationenübergreifenden Vermittlung von Schuld und Scham sowie nach der Bedeutung von Emotionen in der erinnerungskulturellen und -politischen Auseinandersetzung mit der Shoah gelten. Zudem heben Figge, Hanitzsch und Tauber die Leistung der feministischen Forschung hervor. Diese habe nachgewiesen, dass den „Begriffen 'Opfer' und Täter' eine geschlechtliche Codierung eigen ist“, die wiederum die Auseinandersetzung mit der Shoah nachhaltig prägt (S.15).

Wie diese Prägung beschaffen ist, wird in fünf thematischen Kapitel analysiert. Zunächst steht die intergenerationelle Weitergabe von Scham und Schuld der Täter/innen an ihre Nachkommen im Vordergrund. Der zweite Teil untersucht das Ende des Zweiten Weltkrieges im Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit am Beispiel von Tagebuchaufzeichnungen und Denkmälern. Anschließend wird nach der Darstellung von Weiblichkeit und Täterinnenschaft im Ravensbrückprozess von 1946/1947 und im deutschen Spielfilm gefragt. Aus einer theologischen Perspektive nähern sich vier Beiträge der Frage von Geschlechtercodes in den Religionen. Das abschließende Kapitel untersucht die Beziehung zwischen Sexualität und Nationalsozialismus in der Nachkriegsgesellschaft sowie in der Gegenwartsliteratur.

Aus der Fülle der Beiträge sollen zwei Texte herausgegriffen werden, die unter Umständen für die praktische Bildungsarbeit von größerer Bedeutung sein könnten. Der Psychoanalytiker Jan Lohl geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie Täter/innen ihre Perspektive auf den Nationalsozialismus und ihre Handlungen an ihre Kinder weitergeben. Dazu untersucht er generationenüberschreitende „Gefühlserbschaften“ (Sigmund Freud), die bei den Nachkommen von Täter/innen und Mittläufer/innen auftreten. Lohl analysiert die Verknüpfung von „Gefühlserbschaften“ und der Weitergabe geschlechtsspezifischer Erinnerungsmuster. Dazu wählt er eine Geschlechterperspektive und stellt fest, dass die Unterschiede nicht auf eine „männliche“ oder eine „weibliche“ Sicht reduziert werden können. Dennoch belegt Lohl beispielhaft, dass Eltern ihre Erfahrungen oft geschlechtsspezifisch an ihre Töchter und Söhne weitergeben. Bei der Vermittlung bestimmter Rollenmuster vorgeblich männlichen oder weiblichen Verhaltens sei die Sozialisation des Vaters im Nationalsozialismus von großer Bedeutung.

Der Religionswissenschaftler Björn Krondörfer untersucht Bilder von Männlichkeit und Selbstmitleid anhand von Selbstzeugnissen männlicher NS-Täter. Auffällig sei hierbei die religiöse Rhetorik in den Texten, die oftmals retrospektiv und unter Haftbedingungen verfasst wurden. „Mit Hilfe eines Duktus des Selbstmitleides stritt man externe Schuldvorwürfe und interne Schamgefühle ab“ (S. 195). Für Krondörfer steht die Verknüpfung von religiöser Rhetorik, Schulddiskursen und Geschlechter(sub-)texten in den Selbstzeugnissen im Vordergrund seines Interesses. Wie gehen NS-Täter in ihren Texten vor, um sich mit möglichst wenig Gesichtsverlust als „anständige“ Männer zu generieren? Um diese Frage zu beantworten widmet sich der Autor Selbstzeugnissen von Oswald Pohl, Robert Ley und Hans Frank. Sie alle eint der strategische Rückgriff auf eine religiöse Rhetorik der Läuterung, durch die sie auch „unter veränderten politischen Machtbedingungen die Krise des kompromittierten Mannes zu überwinden“ (S. 197). Die kirchlichen Seelsorger boten den Schuldigen an, sich unter der Direktive des Christentums als wieder „anständige“ Männer zu präsentieren.

Die große Stärke des Sammelbandes liegt in der Verknüpfung von literatur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Zugängen. Diese Vielfalt bietet auch für die Bildungsarbeit – trotz des akademischen Charakters des Buches - ein Reihe dankbarer Anknüpfungspunkte, beispielsweise im Deutsch-, Geschichts- oder Politikunterricht. Interessanterweise hat das Bildungssystem keinen Einzug in die Publikation gehalten, obwohl doch gerade in der Schule wesentliche Diskurse über den Nationalsozialismus ausgehandelt und eingeübt werden. Das ist bedauerlich, war aber auch nicht der thematische Schwerpunkt des Sammelbandes. Deshalb bleibt nur die Hoffnung, dass die interessanten Texte möglichst viele Praktiker/innen inspirieren, sich mit Schuld, Scham und Gender in der Bildungsarbeit auseinanderzusetzen.

 

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