Referral reference book

Historisches Lernen im virtuellen Medium

Bettina Alavi (Hg.): Historisches Lernen im virtuellen Medium. Schriftenreihe der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Band 54. Heidelberg 2010, 258 Seiten, 24,00 Euro.

Von Annemarie Hühne

Der Band „Historisches Lernen im virtuellen Medium“ wurde Ende 2010 nach einer Tagung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im März 2009 veröffentlicht und enthält die überarbeiteten und teilweise ergänzten Vorträge. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage nach Lernchancen durch die neuen Medien für das historische Lernen. Die Aufsätze wurden von Medienexpert/innen und Geschichtsdidaktiker/innen verfasst. Eine Mischung, die sich aus der interdisziplinären Ausrichtung des Themas ergibt.

In unseren Erinnerungskulturen, aber auch beim Thema historisches Lernen spielen die digitalen Medien eine immer größere Rolle. Im vorliegenden Band werden die virtuellen Medien, wie Lernsoftware, Computerspiele und das Internet betrachtet. Eine Vielzahl von Anwendungen im Internet wird beispielhaft vorgestellt und kritisch analysiert. Doch nur wenige Websites bestehen mit dem Anspruch, ein historischer Lernort zu sein, vielmehr geht es um die Bereitstellung von Informationen. Alle Anwendungen im Netz besitzen eine Hypertextstruktur, welche die Erzählweise von Geschichte verändert, indem die „linearen Meistererzählungen“ (S.7) von situativen, assoziativen und multiperspektivischen Narrationen abgelöst werden. Neu ist, dass nun die Darstellungen ein offenes Ende haben und für jede/n die Möglichkeit gegeben ist, etwas beizutragen.

Michele Barricelli, Angela Schwarz und Gerhard Henke-Bockschatz beschreiben die Lernpotentiale, aber auch die Probleme der unterschiedlichen Medien. Dabei werden u.a. digitalisierte Zeitzeugenarchive, Computerspiele und Lern-DVDs fachwissenschaftlich und fachdidaktisch analysiert. Barricelli gibt in seinem Text Empfehlungen für einen reflektierten Umgang mit den Medien für einen kompetenzorientierten Geschichtsunterricht. Auch Schwarz fokussiert die Fähigkeit des kompetenzorientierten Lernens anhand von historischen Computerspielen und kommt zu dem Schluss, dass dieses Medium viel Potential besitzt, aber „die dazu erforderlichen Dekodierungsleistungen […] hohe Anforderungen an den/die Rezipient/in stellen“ (S.9). Bei Henke-Bockschatz stehen vor allem die Möglichkeiten des selbständigen Arbeitens der Schüler/innen mit Lern-DVDs im Vordergrund.

In den folgenden Beiträgen von Bettina Alavi/ Marcel Schäfer, Uwe Danker/ Astrid Schwabe und Jan Hodel wird die Nutzung der neuen Medien empirisch betrachtet. Alavi/ Schäfer untersuchten die Lösung von Lernaufgaben aus Selbstlernsoftware von renommierten Schulbuchverlagen. Per Videoscreening werteten sie die Strategien der Schüler/innen zur Aufgabenbewältigung, Verknüpfungen mit dem Vorwissen und geschlechterspezifische Unterschiede aus. Die Autor/innen bezweifeln das historische Lernpotential der Software, da es vielmehr notwendig wäre, historische Lernaufgaben mit geschichtsdidaktischen Kriterien zu entwickeln. Der Aufsatz von Danker/ Schwalbe präsentiert Ergebnisse zum Nutzerverhalten in einem virtuellen Museum. Es werden auch erste Schlüsse über die Art, Dauer und Tiefe der Auseinandersetzung mit der Internetseite auf das historische Lernen gezogen. Hodel geht der Frage nach der historischen Sinnbildung durch die neuen Informationsmöglichkeiten durch eine Befragung von Schüler/innen nach. Demnach benutzen die Jugendlichen das Internet besonders als Nachschlagewerk, dass ihnen vermeintlich neutrales Wissen über die Vergangenheit bietet. An die Empirie schließen sich theoretische Überlegungen zur Charakteristik von historischen Narrationen nach einer Internetrecherche an.

Alexander König, Holger Meeh, Alois Ecker, Manuela Altenkirch/ Marcel Schäfer beschäftigen sich mit Lernmanagementsystemen, Autorenwerkzeugen und selbsterstellten Modulen zum historischen Lernen. König bezieht sich dabei vor allem auf das Lernmanagementsystem „Moodle“ und beschreibt an einem Beispiel, wie historisches Lernen im schulischen Rahmen mit Hilfe dieser Lernumgebung Kompetenzförderung erreichen kann. Meeh untersucht die Programme „Raptivity“ und „Mediator“ unter den drei Anforderungspunkten: einfache Bedienung, hohe Leistungsfähigkeit und didaktische Flexibilität (S.165). Die Autorensysteme können die programmtechnische Erstellung von interaktiven Lernmodulen erleichtern, eigenen sich aber nicht für didaktisch anspruchsvolle Aufgabenstellungen. Ecker beschreibt die Arbeit mit den E-Learning-Produkten „Geschichte online“ und „Didaktik online“ im universitären Kontext und geht im Weiteren auf die Möglichkeiten dieses Mediums für den Schulunterricht ein. Altenkirch/ Schäfer stellen die Entwicklung von Lehr/-Lernszenarien durch Autorenwerkzeuge im Rahmen eines Studierenden-Seminars vor. Die beschriebenen Programme böten nur die Möglichkeiten für eindeutige Antworten. Das Fach Geschichte sollte aber das selbständige Arbeiten fördern, den Konstruktcharakter erkennbar werden lassen und muss die Mehrdeutigkeit von historischen Zusammenhängen abverlangen, was durch die präsentierten Module nicht ermöglicht würde.

Anschließend berichten Andrea Kolpatzik und Birgit Marzinka über die Lernpotenziale zweier unterschiedlicher Portale, zum einen die Fernseh-Dokumentation „Die Deutschen“ und die dazugehörigen Lernmaterialien und zum anderen das von Jugendlichen produzierte Portal www.zeitzeugengeschichte.de. Bei Kolpatzik stehen vor allem die Funktionalisierung der Geschichte und die genutzten Vermarktungsstrategien des Fernsehformats im Zweiten Deutschen Fernsehen, von Peter Arens und Guido Knopp, im Vordergrund. Marzinka zeigt die Lernmöglichkeiten des Internetportals, erläutert seine Funktionen, analysiert dessen Lernchancen und wirft einen Blick auf die Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus und Holocaust im Web 2.0. Des Weiteren stellt sie Möglichkeiten für die Bildungsarbeit mit dem Portal vor.

Im abschließenden Beitrag von Bettina Alavi und Marcel Schäfer geben beide strukturierte Hinweise für die medienadäquate Umsetzung einer netzbasierten historischen Lernaufgabe. Hierfür werden auch Kriterien zusammengestellt, welche die Diskussion um die Aufgabenforschung vorantreiben sollen.

Dieser Sammelband ist vor allem für die praktische Bildungsarbeit geeignet, da er spannende Projekte mit digitalen Medien vorstellt, aber auch kritisch betrachtet. Es werden Ratschläge für den Umgang mit neuen Medien gegeben, das Verhältnis mit digitalen Medien empirisch untersucht und vielfältige Möglichkeiten der medialen Vermittlung in der historisch-politischen Bildungsarbeit aufgezeigt.

 

Add comment

CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.