Hörpol: Audioführung zur NS-Geschichte und zu Antisemitismus in Berlin-Mitte
Ein zertretenes, graues Straßenpflaster als Hintergrund, bunt-schreiende Sprechblasen mit Fragen, rot-weiße Absperrbänder enthalten die Menünavigation und in der Mitte prangt der Titel der Homepage: „Hörpol“. Das Layout der Website zur Audioführung „Hörpol“ verspricht Jugendlichkeit und Innovation. In der Tat ist die Seite grafisch sehr ansprechend gestaltet. Was verbirgt sich jedoch inhaltlich dahinter?
Hörpol ist eine Audio-Stadtteilführung für Jugendliche ab 14 Jahren, die sich mit der NS-Geschichte und Antisemitismus in Berlin-Mitte beschäftigt. Sie steht in Form von MP3-Dateien kostenlos auf der Homepage zum Download bereit. Als Audioguides können eigene MP3-Player oder MP3-fähige Handys dienen. Die Führung besteht aus 27 Stationen, die in beliebiger Reihenfolge besucht und angehört werden können. Alle Stationen sind auf einer Karte von Berlin-Mitte verzeichnet, die ebenfalls auf der Homepage heruntergeladen werden kann.
Die Stationen tragen Titel wie „Äh“, „Mut“, „Party“, „Ohne mich“, „U-Boot“ oder „Traum“. Sie sind meistens in Dialogform aufgebaut, ungewöhnlich geschnitten und erzählen flapsig, bewegt oder wütend Geschichten von Menschen. Berliner Jugendliche unterhalten sich mit Zeitzeugen über ihren Alltag damals im NS und heute im 21. Jahrhundert, ein Jazzmusiker erzählt von seiner „doppelten“ Verfolgung durch den NS als jüdischer Jugendlicher und Swing-Fan und Berliner Bands singen über Toleranz und Engagement.
Mit dem Audioguide besucht man die Zeitzeugen und behandelt ihre Einzelschicksale an ihrem ehemaligen Wohn- oder Arbeitsort. So wird die Geschichte des NS und der Judenverfolgung auf eine besondere Art und Weise begreifbar: Man steht am Hackeschen Markt während Günter Jochmann erzählt, wie er an genau dieser Stelle das erste Mal Menschen mit dem Judenstern an der Jacke sah. In einer anderen Episode berichtet Inge Schoubye – im Dialog mit ihrer Enkelin Kristina - in der Auguststraße vor ihrer ehemaligen Ausbildungsstätte, wie sie die Dreißiger Jahre erlebte. Besonders erfreulich ist, dass die Hörpol-Stationen zusätzlich interkulturell gestaltet sind. Beispielsweise sind an einigen Stationen die Protagonisten Juden türkischer Herkunft oder einer der fiktiven Personen ist der junge Moderator Murat.
Ergänzend zur Audioführung wurden Unterrichtsmaterialien erstellt, die ebenfalls auf der Website kostenlos als PDF herunter geladen werden können. Sie sind als Kopiervorlagen für den schulischen Einsatz konzipiert. Die Sammlung bestehen sowohl aus vor- und nachbereitenden Materialien als auch aus ganzen Unterrichtseinheiten und stehen zu fünf Stationen des Audioguides zur Verfügung. Weitere Stationen können als Ergänzung dazu gehört werden.
Die Materialien sind sehr umfangreich und umfassen Hintergrundinformationen für die Pädagoginnen und Pädagogen, didaktische Hinweise und umfangreiches Quellenmaterial mit Arbeitsaufträgen. Dazu werden den Stationen verschiedene Themenbereiche zugeordnet, die bearbeitet werden können. Sie behandeln sowohl historische Inhalte rund um die NS-Geschichte, als auch aktuelle Themen wie multiple Identität, Zivilcourage oder rechtsextreme Musik heute.
Der Audioguide ist in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit vielseitig einsetzbar. In seiner klassischen Funktion als Stadtteilführung ist er sowohl für Besucher der Stadt Berlin als auch für Berliner Schulen interessant. Auswärtigen ermöglicht er, den Bezirk Mitte auf eine spannende Art und Weise abseits gewöhnlicher Stadtführungen kennen zu lernen. Für Berliner bietet sich die Möglichkeit, sich sehr konkret mit NS-Geschichte am Beispiel der eigenen Stadt zu beschäftigen.
Aber auch wenn nicht die Gelegenheit besteht, die Audioführung vor Ort zu verwenden, können einzelne Tracks beispielsweise im Schulunterricht eingesetzt werden. Vor allem die ungewöhnlich geschnittenen und präsentierten Zeitzeugenberichte können gut zur Behandlung von Themen wie Alltagsgeschichte während des NS und Fragen nach der eigenen Positionierung zwischen Kollaboration, Wegschauen und Widerstand thematisieren. Der lokale Kontext ist sicherlich ein großartiger Zugewinn, die Dateien sind jedoch auch ohne diesen universal einsetzbar. Zudem ist die Website und die Audiostücke auch auf Englisch abrufbar.
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- 07/08/2012 - 08:47