„Das hat's bei uns nicht gegeben!“
Von Markus Nesselrodt
Die Ausstellung „Das hat's bei uns nicht gegeben“ der Antonio Amadeo Stiftung widmet sich dem Antisemitismus in der DDR. Ziel der 2007 erstmals gezeigten Ausstellung ist es, den Mythos einer DDR ohne Antisemitismus kritisch zu hinterfragen. Der Begleitband enthält neben dem Katalog auch Texte zur Entstehung und Rezeption der Ausstellung. Darüber hinaus thematisieren vier Beiträge „Leerstellen“, also bislang Ausgespartes und wenig Erforschtes.
Die Ausstellung entstand aus der Frage heraus, wie die Nachkriegsgesellschaft der DDR es mit dem Antisemitismus hielt. War er wirklich verschwunden, nur weil sich niemand mehr öffentlich judenfeindlich äußerte oder hatten sich stattdessen neue Codes entwickelt? Anhand zahlreicher Beispiele möchte die Ausstellung hinter den Mythos – Antisemitismus hätte es in der DDR nicht gegeben - blicken und somit zur Aufklärung beitragen. Nicht zuletzt solle auf diese Weise auch ein Beitrag zur Arbeit gegen heutigen Rechtsextremismus und Antisemitismus geleistet werden, so die Vorsitzende der Antonio Amadeo Stiftung Anetta Kahane. Grundlage der Ausstellung bilden die Ergebnisse, die 76 Schüler/innen unterstützt von Historikerinnen und Pädagogen bei ihren Forschungen im Osten Deutschlands zu Tage brachten. Die Jugendlichen suchten nach Informationen, sprachen mit Zeitzeug/innen und sammelten Objekte für die Ausstellung. Der vorliegende Band möchte die Wanderausstellung begleiten und die Debatte um das Thema weiter vorantreiben. Anregungen zur intensiven Beschäftigung mit Antisemitismus in der DDR bieten neben pädagogischen Überlegungen und einer Presseschau zur Ausstellung vier Essays zu bislang wenig beleuchteten Aspekten. Einige dieser Texte sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Heike Radvan erläutert den Ansatz eines Jugendprojekts mit lokalhistorischer Recherche als Beitrag zum demokratischen Lernen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte vor Ort könne im besten Fall zur Stärkung demokratischer Einstellungen führen. Dazu sei es notwendig gewesen, den Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Antisemitismus zu erläutern, ohne beides gleichzusetzen. Die Jugendlichen zeigten nach der methodischen Vorbereitung durch Historikerinnen und Pädagogen hohes Engagement für die Beschäftigung mit dem historischen Gegenstand. Aus den positiven Erfahrungen des Projekts schlussfolgert Radvan, dass Jugendliche sich gerne intensiv und über einen langen Zeitraum mit komplexen Sachverhalten auseinandersetzen, wenn sie dies mit einer Verbindung zum eigenen Wohnort tun können. Auf diese Weise werde abstrakte Geschichte für die Schüler/innen konkret erfassbar.
Michael Barthel widmet sich diskursanalytisch dem großen Pressecho, welches die Ausstellung hervorrief. Dazu untersuchte er 37 von 130 Artikeln in Tages- und Wochenzeitungen, die sich lobend, kritisch oder auch abwehrend über das Projekt äußerten. Dabei fand er heraus, dass Befürworter der Ausstellung vor allem deren Mut betonen, auf das Problem des Nichtwissens bzw. Nichtwissenwollens einzugehen. Gegner sehen gerade darin eine „Diffamierung des ostdeutschen Staates“, die aus einem Antikommunismus heraus ein verzerrtes DDR-Bild entwerfe. Barthel stellt nach Sichtung der Pressartikel fest, dass es der Ausstellung definitiv gelungen sei, eine öffentliche Debatte über Antisemitismus in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart anzustoßen.
Annette Leo erzählt die Geschichte ihres Vaters, Gerhard Leo, der im Auftrag der DDR-Regierung den Eichmann-Prozess in Jerusalem journalistisch verfolgte. Gemeinsam mit seinem Kollegen Max Kahane sollte er belastendes Material sammeln, um den westdeutschen Staatssekretär Dr. Hans Globke aufgrund dessen NS-Vergangenheit öffentlich zum Rücktritt zu zwingen. Fast täglich waren die Meldungen über den Prozessverlauf auf den ersten Seiten der DDR-Zeitungen zu finden. Doch das Interesse für Neuigkeiten aus Jerusalem sank im Verlaufe des Augusts 1961 stetig. Nichtsdestotrotz stellt Annette Leo fest, dass der Eichmann-Prozess wohl das erste Großereignis gewesen sei, welches die DDR-Bevölkerung über Wochen mit der eigenen NS-Vergangenheit konfrontierte.
Thomas Heppener beschreibt, wie das Tagebuch der Anne Frank in der DDR popularisiert und rezipiert wurde. Nach einem ersten Theaterstück im Jahre 1956, welches in wechselnden Interpretationen bis in die 1980er Jahre aufgeführt wurde, erschien das Tagebuch erstmals 1957 in der DDR. Obwohl die Auflage verhältnismäßig klein war und das Buch von 1963 bis 1980 überhaupt nicht verlegt wurde, war Anne Franks Schicksal weiterhin ein zumindest teilweise öffentliches Thema. Ein Dokumentarfilm entstand, Schulen wurden nach ihr benannt, doch Pflichtlektüre war ihr Tagebuch in den Schulen der DDR nie geworden.
Weitere Beiträge aus dem Band beschäftigen sich mit „Der Thematisierung von Antisemitismus in der antifaschistischen Literatur und im Film der DDR“ (Konstanze Ameer) und „Zwei unaufgeklärten Todesfällen: Willi Kreikemeyer und Rudolf Feistmann“ (Martin Jander). Im Anschluss an die Essays ist der vollständige Ausstellungstext abgedruckt.
Das Begleitbuch zeigt eindrucksvoll, wie aktuell Geschichte für Jugendliche sein kann, wenn interessante Fragen an sie gestellt werden. So lässt sich die Ausstellung als ein Beispiel für gelungene Projektarbeit zum (nicht nur historischen) Thema Antisemitismus bezeichnen. Das schmale Buch gibt Lehrenden wie auch Lernenden die Gelegenheit, sich einerseits mit dem Thema „Antisemitismus in der DDR“ auseinanderzusetzen und anderseits nach eigenen Fragen an die Geschichte zu suchen, um die Gegenwart besser zu verstehen.
Das Begleitbuch kann gegen eine Versandkostenpauschale von 5 Euro bei info [at] amadeu-antonio-stiftung [dot] de bestellt werden. Informationen darüber, wie Sie die Ausstellung ausleihen können, erhalten Sie unter der gleichen Adresse.
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- 29/11/2010 - 16:20