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„und action“ – Medienseminare gegen Antisemitismus

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Tatjana Glampke ist Diplompädagogin, seit 1995 in der außerschulischen politischen Bildungsarbeit tätig und Mitgründerin des  Vereins Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V. und Mitiniatorin des Projektes BildungsBausteine gegen Antisemitismus innerhalb des Bildungsteams. Mitautorin der Publikation: Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun, Verlag an der Ruhr 2007.

Tatjana Glampke

Das Projekt BildungsBausteine gegen Antisemitismus des Bildungsteams Berlin-Brandenburg e.V. führt seit 2002 bundesweit politische Bildungsseminare zum Thema Antisemitismus für Jugendliche sowie für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch. Seit zwei Jahren bieten wir auch medienpädagogische Seminare an, in denen Jugendliche innerhalb eines 5-Tages-Seminars Videoclips gegen Antisemitismus drehen. Die Seminare werden in Kooperation mit der ver.di JugendBildungsstätte Berlin-Konradshöhe durchgeführt und von der Jugend- und Familienstiftung Berlin unterstützt.

Dieser Artikel berichtet von unseren Erfahrungen mit den medienpädagogischen Seminaren und geht der Fragestellung nach, ob Videoarbeit dazu geeignet ist, das Thema Antisemitismus zu bearbeiten. Gefragt wird auch danach, welche Themen von den Jugendlichen in ihren Filmen aufgegriffen werden und ob diese Themen in einem Zusammenhang mit ihrer Herkunft stehen.

Das gesamte Seminar über arbeiten die Jugendlichen in konstanten Kleingruppen mit acht bis zehn Teilnehmenden. Da in dem Seminar auch technische Fähigkeiten erlernt werden und die Mädchen dies gern den Jungen überlassen, arbeiten wir in der Regel geschlechtsspezifisch in getrennten Jungen- und Mädchengruppen.

Die Seminare beginnen mit einer zweitägigen Einführung in das Thema Antisemitismus. Die Teilnehmenden beschäftigen sich sowohl mit den Wurzeln des Antisemitismus, dem christlichen Antijudaismus, als auch mit dem Nationalsozialismus sowie dem aktuellen Antisemitismus. Darüber hinaus erhalten die Jugendlichen eine erste Einführung in die Arbeit mit der Kamera, da bereits ein Paarinterview, das zum Thema hinleitet, von ihnen gefilmt wird. Alle Teilnehmenden erleben in dieser Übung, wie es ist, vor der Kamera zu stehen, und lernen zugleich die unterschiedlichen Bereiche in der Filmarbeit kennen: Regie, Kamera, Ton.

Dieses Wissen wird am dritten Seminartag vertieft. Die Teilnehmenden erhalten eine Einführung in die Filmsprache, dass heißt sie lernen, aus unterschiedlichen Perspektiven zu drehen, damit der Film für die Zuschauerinnen und Zuschauer spannend ist.

Am vierten Tag überlegen sich die Jugendlichen eine eigene Story für ihren Clip. In dieser Phase ist wichtig, dass der Spot eine klare Aussage hat und zum Handeln gegen Antisemitismus aufruft. Eine Schnitt-Einführung ermöglicht es den Teilnehmenden, ihren Clip im Anschluss selbst zu schneiden und zu vertonen. Am letzten Tag werden die Filme in der gesamten Gruppe präsentiert. Bisher sind in den Seminaren zehn Filme entstanden.

Die Wahl der Themen für die Videoclips unterscheidet sich nach unserer Erfahrung sehr stark nach der Herkunft der Teilnehmenden: Die Jugendlichen deutscher Herkunft wollen vor allem Angriffe von Nazis auf Jüdinnen und Juden drehen. Bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund spielen Israel und der Nahostkonflikt die zentrale Rolle.

Zuerst fällt den Jugendlichen, egal welcher Herkunft, eine Story ein, in der Jüdinnen und Juden verbal oder auch tätlich angegriffen werden. Eine solche Assoziation entspricht jedoch nicht der Lebenswelt der Jugendlichen, die zumeist selbst noch nie einen solchen Angriff erlebt haben. Nun ist es Aufgabe der Teamenden, mit den Jugendlichen nach Situationen zu suchen, in denen ihnen selbst schon Antisemitismus begegnet ist. Dieser Antisemitismus findet in der Regel in Abwesenheit von Jüdinnen und Juden statt. An dieser Stelle thematisieren wir mit den Jugendlichen, dass die meisten Vorurteile nicht auf eigenen Erfahrungen beruhen, sondern unhinterfragt weiter gegeben werden. Sehr schön wird dieser Umstand auch in einem Interviewfilm zum Thema „Juden und Judentum“ von einer Mädchengruppe regelrecht karikiert: Viele der in ihrem Film auf der Straße Befragten haben eine Menge zu Juden und zum Judentum zu sagen, darunter äußern sie auch jede Menge Vorurteile. Doch die Frage, ob sich ihre Meinungen aus persönlichen Erfahrungen mit jüdischen Menschen speisen, wird von den Interviewten bezeichnenderweise immer verneint.

Die Nachfragen des Teams nach den persönlichen Erfahrungen der Teilnehmenden haben zur Folge, dass manche Jugendliche Situationen spielen und filmen, die ihrem Alltag entsprechen. Es entstanden beispielsweise Clips zum Thema „Schlussstrich unter die NS-Geschichte im Unterricht“, über das Reagieren auf einen antisemitischen Witz oder der bereits genannte Interviewfilm über Juden. Die Entscheidung über den Filmstoff liegt aber letztendlich bei den Jugendlichen. Deshalb drehten einige von ihnen trotz der Reflexion Filme, in denen Jüdinnen und Juden – jeweils als Opfer – vorkommen.

Antisemitismus findet meist sehr viel subtiler statt, als es die Teilnehmenden in ihren Filmen darstellen. Das kann den Jugendlichen während der einführenden zwei Tage zum Thema nah gebracht werden. So wird zum Beispiel mit ihnen darüber diskutiert, warum die Erinnerung an den Holocaust wichtig ist, oder es werden arabische Perspektiven auf den Nahostkonflikt beleuchtet. In einigen filmischen Umsetzungen gehen die vielfältigen Formen des Antisemitismus jedoch verloren.

Wir vermuten, dass dies auch mit der den Jugendlichen eigenen Art des Medienkonsums zusammen hängt: In vielen von ihnen geschauten Filmen gibt es einen Held, der jemand anderen aus einer unangenehmen Situation rettet. In ihrem eigenen Film sehen sich die Jugendlichen gern selbst in der Rolle des Helden oder der Retterin.

Hierin liegt aber auch das Potential solcher Filme: Die filmische Arbeit ist gut dazu geeignet, mit den Teilnehmenden Formen der Zivilcourage einzuüben, wenn sie verbale oder tätliche Angriffe darstellen. Bei solchen Filmen sollte der Fokus auf den Zuschauern liegen und diese sollten zum Eingreifen ermutigt werden. So lässt sich sehr gut thematisieren, welche Handlungsmöglichkeiten in einer solchen Situation bestehen. In der Diskussion, die die medienpädagogische Arbeit begleitet, sollten die Teamenden die Wichtigkeit von Zivilcourage betonen, egal, ob es sich um rassistische, sexistische oder eben antisemitische Übergriffe handelt.

Da die Zielgabe der jeweiligen Clips ein deutlicher Aufruf zum Handeln gegen Antisemitismus ist, müssen sich die Teilnehmenden gegen Antisemitismus positionieren. Manchen Jugendlichen, deren biografische Wurzeln zum Beispiel im Nahen Osten liegen, fällt dies nicht leicht. Es ist als großer Schritt in der Auseinandersetzung mit dem Thema zu bewerten, wenn ein solcher Teilnehmer, wie in einen Clip geschehen, die Austauschschülerin aus Israel vor anderen in Schutz nimmt, oder in einem anderen Clip nach einem gelungenen Fußballspiel dem zuvor verbal angegriffenen Juden seine Anerkennung äußert.

Zudem ist der Verbreitungseffekt der Clips nicht unbeachtlich. Sie werden den Jugendlichen auf ihre Handys gespielt. Da die Teilnehmenden auf die von ihnen geleistete Arbeit sehr stolz sind, zeigen sie die Clips anderen Jugendlichen. Auf diese Weise wird das in den Clips dargestellte Positionieren gegen Antisemitismus weit gestreut.

Auf unserem Portal können Sie außerdem einen Artikel über die Publikation "Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun?" finden, an der Tanja Glampke als Mitautorin mitgewirkt hat.

 

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