Referral didakticts

Vertreibung in Unterricht, Forschung und Politik

Thomas Strobel und Robert Maier (Hrsg.): Das Thema Vertreibung und die deutsch-polnischen Beziehungen in Forschung, Unterricht und Politik. Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Band 121. Verlag Hahnsche Buchhandlung (2008) Hannover 230 S., 19 €.
Von Lisa Just

Der vorliegende Band beleuchtet auf verschiedenen Ebenen den deutschen wie den polnischen Vertreibungsdiskurs, benennt deren Akteur/inn/en und Institutionen, analysiert deren Struktur und ermöglicht Vergleiche. Weitere Beiträge, darunter Schulbuchanalysen, Schüler-Befragungen, Unterrichtserfahrungen, Überlegungen zum Zeitzeugeneinsatz und Online-Angebote für den Unterricht ergänzen den Band.

Der erste Teil des Buches spiegelt die politischen Debatten um Vertreibungen bzw. Aussiedlungen in der polnischen sowie der deutschen Öffentlichkeit wider. Außerdem werden rechtliche Positionen um das Lastenausgleichsgesetz und Rückgabeforderungen verhandelt.

Ein zweiter größerer Themenblock widmet sich dem oft problematischen Umgang mit Zeitzeugen und der Rezeption von Geschichtserzählungen. Darin werten Thomas Strobel, Robert Maier und Stefanie Wolter Umfrageergebnisse aus, die ein aufschlussreiches Bild der Vertreibungen und Aussiedlungen im Bewusstsein deutscher Schüler zeichnen.

Im Jahr 2002 hatte das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ eine Umfrage zum Thema „Vertreibung“ in Auftrag gegeben. Die daraus gewonnenen Einschätzungen ergänzten die Autoren mit Ergebnissen einer 2006/07 vom Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung durchgeführten Umfrage.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die befragten Schülerinnen und Schüler das Wort „Vertreibung“ in erster Linie mit der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus verbinden, erst an dritter Stelle denken sie an die Vertreibungen von Deutschen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg. Schule und Fernsehen sind die vorrangigen Informationsquellen zu diesem Thema, nicht wie vielleicht erwartet die Familie.
Dem Beitrag ist der verwendete Umfragebogen angehängt, sodass Lehrkräfte den Wissensstand ihrer eigenen Schüler ermitteln können.

Für Praktiker und Praktikerinnen sei hier insbesondere auf den Beitrag von Wiebke Becker hingewiesen. Auf fast 20 Seiten beschreibt sie ausführlich ihre Unterrichtseinheit zum Thema „Vertreibung“, durchgeführt in einer 12. Klasse eines Gymnasiums. Im Mittelpunkt stehen die Vorbereitung und Durchführung eines Zeitzeugenbesuchs.

Interessant ist dabei der Versuch Multiperspektivität zu gewährleisten, indem der Realbegegnung mit „Vertriebenen“ die Arbeit an einer schriftlichen Quelle vorangestellt wird, die eine polnische Perspektive beschreibt. Leider findet sich die in der Einheit geplante gemeinsame Auseinandersetzung mit der Methode „Zeitzeugenbefragung“ im Text nicht beschrieben. Dies hätte den Lesern und Leserinnen sicherlich besser ermöglicht, Beckers Bewertung einer erfolgreichen Unterrichtseinheit besser zu folgen.

Der dritte größere Themenblock liefert Analysen von Schulbüchern und anderen Lehrmaterialien aus Polen und Deutschland. Die von Małgorzata Ruchniewicz vorgestellte Konzeption einer Lehrerhandreichung zu den Zwangsmigrationen auf polnischem Territorium in den 1940er Jahren ist mittlerweile erschienen.

Der Sammelband ist nicht nur auf Grund seiner politischen Aktualität ein wichtiger Beitrag zur historischen Forschung sowie Fachdidaktik und Schulpraxis.

Projekte, die sich mit dem Thema „Aussiedlung“/ „Vertreibung“ beschäftigen, finden Sie auch auf „Lernen aus der Geschichte“:

 

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