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Aus Politik und Zeitgeschichte zum Nahostkonflikt

Von Markus Nesselrodt

Alexandra Senfft wendet sich in ihrem Beitrag gegen die „Kultur des Konflikts“, die ihrer Meinung nach den Konflikt im Nahen Osten beherrsche. Dahinter verbirgt sich ein Gemenge von gegenseitiger Ignoranz, Diffamierung und Hetze, die den Blick auf vorhandene Friedensbemühungen verstelle. Denn für Senfft steht fest, dass die Grundlagen eines erfolgreichen Friedensprozesses „Offenheit, Gleichberechtigung, und gegenseitige Wahrnehmung“ sein müssen.

Einer staatlichen Politik, die wenig Hoffnung auf die Fortsetzung der Friedensgespräche verbreitet, steht eine Vielzahl israelischer und palästinensischer Nichtregierungsorganisationen gegenüber. Diese arbeiten daran, das tiefe Misstrauen, Ängste, Feinbilder und die gegenseitige Ignoranz abzubauen. Dabei, so Senfft, stoßen sie immer wieder auf die Wichtigkeit von Gefühlen. Denn insbesondere in Konfliktsituation neigen Gruppen stark zu Rechtfertigungen, Selbstglorifizierung und Selbstlob, die wiederum die Wahrnehmung des „Anderen“ prägt. Dazu gehöre auch, dass schulische Curricula kaum die Ära von friedlicher Koexistenz thematisieren, die es zwischen Juden und Palästinenser gab.

Doch es gibt auch Lichtblicke wie das israelisch-palästinensische Schulbuch „Das historische Narrativ des Anderen kennen lernen“ oder die Medien-Beobachtungsprojekte Miftah und Keshev. Bei diesen Beispielen wird deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit anderen Perspektiven nicht gleichbedeutend mit der Aufgabe des eigenen Standpunktes sein muss. Doch eine Anerkennung des Anderen sei, so die Autorin, Grundvoraussetzung für jeden Dialog, der einen Frieden in Israel und Palästina zum Ziel hat.

Heike Kratt beschreibt Praxisbeispiele „Ziviler Konfliktbearbeitung“ in Israel und Palästina. Als „zivil“ definiert die Autorin zwei Bedeutungen. Zum einen wird der nicht-militärische Aspekt betont und zum anderen die Nichtanwendung von Gewalt hervorgehoben. Das Konzept der „Zivilen Konfliktbearbeitung“ stützt sich vor allem auf nicht-staatliche Akteure wie Graswurzelinitiativen und NGOs. Dabei wird davon ausgegangen, dass Konflikte „notweniger Bestandteil von gesellschaftlichen Prozessen“ seien und das Ziel demnach die gewaltfreie Austragung von Konflikten sein müsse.

Ein praktisches Beispiel für die „Zivile Konfliktbearbeitung“ ist für die Autorin der Zivile Friedensdienst in Israel und Palästina. Hierbei wird methodisch geschultes Personal in die Krisenregionen versendet, um dort „am Konflikt“ zu arbeiten. Das funktioniert grundsätzlich durch die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen, um das lokale Friedenspotential besser nutzen zu können.

Für den Nahostkonflikt oder besser die Nahostkonflikte sieht Kratt drei Konfliktebenen, die wiederum eng miteinander verzahnt sind und sich gegenseitig potenzieren. Die oberste Konfliktebene sei jene zwischen Israelis und Palästinensern. Auf der Grundlage eines Territorialkonflikts habe sich ein komplexer Identitätskonflikt entwickelt, bei dem u.a. Religion, Nationalismus und Kolonialismus die Situation zusätzlich erschweren. Auf der zweiten Ebene sieht Kratt Minderheitenkonflikte zwischen und innerhalb gesellschaftlicher und politischer Gruppierungen. Im Zentrum stehe hier die Frage, wie ein innergesellschaftlicher Frieden erreicht werden könnte. Auf der dritten Konfliktebene müsse zwischen verschiedenen Akteuren wie z.B. NGOs, Parteien und der Regierung unterschieden werden, die ihrerseits Einfluss auf die verschiedenen Konflikte zu nehmen versuchen. Die entscheidende Frage für die „Zivile Konfliktbearbeitung“ sei stets, mit welchen Akteuren zusammengearbeitet wird und in welchem Umfang.

Weitere Artikel beschäftigen sich mit Themen der Regierungspolitik Benjamin Netanjahus und der Nahostpolitik Barack Obamas. Des Weiteren widmen sich Beiträge der Parteienlandschaft in den palästinensischen Autonomiegebieten, der Bedeutung der Arabischen Friedensinitiative und dem Goldstone-Bericht.

Das Heft zum Thema „Nahostkonflikt“ der BpB eignet sich vor allem dafür, sich einen Überblick über aktuelle Diskussionen zu verschaffen. Außerdem geben die beiden vorgestellten Texte einen praxisnahen Einblick in die Arbeit der Friedensinitiativen vor Ort. Etwas zu kurz kommt durch diese Fokussierung allerdings der historische Hintergrund sowie die deutsche Nahostpolitik. Schließlich ist für die schulische und außerschulische Beschäftigung mit der israelisch-palästinensischen Geschichte von entscheidender Bedeutung, wie sich die deutsche Mehrheitsgesellschaft zum Nahostkonflikt verhält. Einige Worte mehr zu dieser Frage wären wünschenswert gewesen.

Hier finden Sie die Ausgabe 9/2010 von „Aus Politik und Zeitgeschichte“ als pdf-Datei zum kostenfreien Download.

Zum Weiterlesen

Zur Vertiefung finden Sie auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung ein Online-Dossier anlässlich des 60. Jahrestages der Staatsgründung Israels. Überblicksartig widmen sich die kurzen Beiträge von Martin Schäuble und Noah Flug der Geschichte des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern (s. auch die Rezension zum Buch „Geschichte der Israelis und Palästinenser“).