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Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-Russische Einwanderung in die Bundesrepublik

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Dmitrij Belkin, Raphael Goss (Hrsg.): Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-Russische Einwanderung in die Bundesrepublik. Nicolai-Verlag, 2010, 192. S., € 24,95.

Von Ingolf Seidel

Begleitend zur Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main mit dem Titel „Ausgerechnet Deutschland! Jüdisch-Russische Einwanderung in die Bundesrepublik“ ist ein gleichnamiges Buch erschienen. Die Publikation vereint in zehn Kapiteln Essays, Interviews und künstlerische Auseinandersetzungen mit der russisch-jüdischen Einwanderung im Zeitraum 1989 bis 2005.

Die Frage, ob ein vereinter deutscher Staat eine sichere und anstrebenswerte Heimat für Juden sein kann, wurde durch die Einwanderung von einer knappen viertel Million als Juden identifizierter Menschen und ihrer nahen Angehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion ganz pragmatisch beantwortet. Viele von ihnen waren ihrem Judentum entfremdet und nicht alle galten nach halachischem Recht als jüdisch. Ebenso wenig wurden alle Eingewanderten Mitglieder der jüdischen Gemeinden, die mit der Einwanderung allerdings eine tiefe Wandlung erlebten. Von den ungefähr 107.000 Gemeindemitgliedern gehören rund 90.000 Personen zu den Immigrant/innen, dazu kommen noch 5.000 Mitglieder der Union Progressiver Juden. Mit der Zuwanderung hat sich die Situation des Judentums in Deutschland wieder einmal grundlegend verändert.

Der Historiker Dmitrij Belkin, zugleich Kurator der Ausstellung und Raphael Gross, Direktor des Jüdischen Museums und des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main, haben mit der begleitenden Publikation einen ebenso pionierhaften Schritt getan, wie mit der eigentlichen Ausstellung. Das Buch widerspiegelt in seiner Interdisziplinarität das Konzept der Ausstellung. Die Grußworte von Helmut Kohl und Michail Gorbatschow sind durch deren herausragende Rollen als prägende Politiker der Zeit legitimiert. Dan Diner und Zvi Y. Gitelmann bringen Analysen zu teilweise paradoxen Verhältnissen und Sichtweisen im deutsch-jüdisch-russischen Verhältnis. Dem stehen Berichte und Interviews mit politisch Verantwortlichen wie Lothar de Maizière, Wolfgang Schäuble und Almuth Berger zur Seite. Rabbiner unterschiedlicher Richtungen, wie Shneur Trebnik als Gesandter der Chabad-Bewegung, oder Elisa Klapheck beschreiben höchst unterschiedliche bis kontroverse Sichtweisen zu Glaubensfragen. Schriftsteller wie Maxim Biller oder Wladimir Kaminer bringen ihre Sichtweisen über das „Land der Verklemmten“ (Biller) oder die „Neue Heimat“ (Kaminer) ein. „Die Suche nach einem möglichen neuen politischen Selbstverständnis“ beschreibt Sergey Lagodinsky, während Dieter Graumann optimistisch und selbstbewusst kund tut: „Wir bauen heute das NEUE DEUTSCHE JUDENTUM der Zukunft auf“.

Dieses Potpourri an jüdischen Stimmen zur Einwanderung ist gleichzeitig eine Gegenwartsbeschreibung des „Deutschen Judentums zwei“ von dem Belkin spricht. Ein Judentum, dass durch die Migration geprägt ist, das sich selber sucht und die langjährige politische Zurückhaltung aufgegeben hat, um sich einzumischen in eine Gesellschaft, die es verstärkt auch als die eigene begreift. Diesen noch voranschreitenden Prozess zu dokumentieren und zu reflektieren ist ein wichtiges Verdienst von „Ausgerechnet Deutschland!“.

 

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