Irene Beyer
Verfolgung und Unterdrückung lesbischer Existenz im Nationalsozialismus? – Darüber wurde nicht gesprochen, darüber gab es nichts zu sagen. Von der Nachkriegszeit bis in die jüngste Vergangenheit war der gängige gesellschaftliche und auch fachliche Umgang mit der Situation und den Schicksalen lesbischer Frauen im NS: Schweigen. Unter diesem Mantel des Ver-/Schweigens konnten sich lesbenfeindliche Ideologien, Einstellungsmuster und Handeln teilweise erschreckend bruchlos in die Nachkriegszeit und die jüngere Vergangenheit tradieren.
Die Nationalsozialisten begannen schnell mit der Verfolgung: Schon im Frühjahr 1933 zerschlugen sie die schwullesbische Infrastruktur; Vereine, Lokale, Institutionen, Treffpunkte, Zeitschriften konnten nicht weiter existieren. Die letzte Ausgabe der beliebten Lesbenzeitschrift „Die Freundin“ erschien am 8. März 1933.
In dieser frühen Phase wurde das öffentliche homosexuelle Lebens bekämpft, auch öffentliche Personen des lesbischen und schwulen Lebens verfolgt und verhaftet, Lesben und Schwule waren gleichermaßen betroffen. Die heimlich gelebte Homosexualität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Gegenstand der Verfolgung.
Im Weiteren ging die Bekämpfung lesbischer Existenz jedoch teils eigene Wege. Wurden Schwule eher offen bekämpft und auch zunehmend systematisch verfolgt, bediente sich das Regime für die Bekämpfung der „privaten“ lesbischen Existenz ganz maßgeblich nicht strafrechtlicher, sondern ideologischer Mittel und der Bedrohung mit Repression.
Ein wesentliches ideologisches Instrument des Nationalsozialismus dafür war die Sexualwissenschaft: Sie wurde nach der brutalen Zerschlagung ihres emanzipatorischen Flügels in großem Umfang weitergeführt. In ihrem Zentrum stand einerseits die Bestimmung der krankhaften Sexualität, andererseits der „seelische Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Weib“. Der nationalsozialistische Wissenschaftsbetrieb konstruierte eine extreme, polare Zweigeschlechtlichkeit, in der nur Männer einen „aktiven körperlichen Geschlechtstrieb“ hatten; Frauen waren „zärtlich“, nicht sexuell aktiv. Lesben passten per se nicht in dieses Muster und wurden damit einerseits zu abartigen und moralisch minderwertigen Personen definiert. Andererseits wurden sie gleichsam wegdefiniert: wo kein Sexualtrieb, da auch keine lesbische Sexualität, da auch keine Lesbe.
Diese Argumentationsstränge finden sich stark in den Begründungen wieder, die während des NS gegen die Kriminalisierung lesbischer Existenz gegeben wurden. Da war davon die Rede, dass der Tatbestand schwierig festzustellen sei, da Frauen „naturgemäß“ einen innigeren Umgang von Frauen miteinander hätten, und dass er nur in geringer Zahl auftrete. Zusätzlich perfide das Argument, bei Lesben gehe, anders als bei Schwulen, „keine Zeugungskraft verloren“: Frauen, auch lesbische, seien immer bevölkerungspolitisch nutzbar, da sie „unabhängig von ihrem Willen geschlechtsbereit“ seien. Schließlich seien Lesben für den NS-Staat ungefährlich und ihr Verhalten wenig relevant, da Frauen im öffentlichen Leben ohnehin keine bedeutsame Rolle einnähmen.
Eine offizielle Kriminalisierung hätte außerdem der Existenz lesbischen Lebens eine Öffentlichkeit gegeben, die nicht erwünscht war.
Das andere zentrale ideologische Instrument des Nationalsozialismus zur Bekämpfung lesbischer Existenz war die Frauenideologie, ein zentraler Pfeiler seiner Propaganda. Ihr zufolge war die deutsche Frau extrem weiblich, „vermännlichte“ Frauen – berufstätig, Bubikopf, Hosen tragend – galten nicht nur als unweiblich, sondern darüber hinaus als „undeutsch“. Über diese Ideologie wurden Lesben nicht nur bezüglich ihrer Geschlechtsrolle ins Abseits gedrängt, sondern gleichzeitig auch aus dem „deutschen Volkskörper“ ausgestoßen – ein gefährliches Abseits. Darüber hinaus wurden Ehe und Mutterschaft zur ersten Pflicht jeder deutschen Frau. Vor allem die Mutterschaft war dabei nicht mehr nur weibliche, sondern auch völkische bzw. patriotische Pflicht. Die Nicht-Mutter wurde dadurch nicht nur zur moralisch verwerflichen Frau, sondern auch zur Volksfeindin.
Diese Normen erreichten in der nationalsozialistischen Diktatur große Macht, auch dadurch, dass für den Fall der Abweichung davon ein großes Angstpotenzial aufgebaut werden konnte. Offene Repressionen gegen Lesben – also Verfolgung und Verhaftung, Verschleppung ins KZ – gab es entsprechend dort, wo die ideologische Unterdrückung lesbischen Lebens nicht gelang. Lesben wurden als Asoziale, Prostituierte, Volksfeindinnen und Wehrkraftzersetzerinnen in die Konzentrationslager verschleppt, es gibt auch einzelne Hinweise auf Frauen mit rosa Winkel im KZ – und ihrer besonders erniedrigenden und sexistischen Behandlung.
Die Wechselbeziehung von Norm und offener Repression bedeutete auch, dass Lesben bei „entsprechendem Verhalten“ hoffen konnten, unbehelligt zu bleiben. Wer sich anpasste und tarnte, oder das lesbische Leben gänzlich aufgab, war vergleichsweise sicher vor Denunziation, Verfolgung, KZ. Eine Zeitzeugin berichtete, dass sie nie mehr „darüber“ sprach, sich nie zu erkennen gab, kompromittierenden Situationen instinktiv aus dem Weg ging und auch ihr Äußeres veränderte. Manche Lesben brachen aus Angst vor Entdeckung sogar alle Kontakte zu ihrem bisherigen Umfeld ab, wechselten das Wohnviertel oder sogar die Stadt. Viele tarnten sich durch sog. Kameradschaftsehen mit schwulen Männern und überstanden so die Zeit bis zur Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur.
Lesben – und Schwule – setzten in der unmittelbaren Nachkriegszeit große Hoffnungen auf den politischen und gesellschaftlichen Neuanfang. Sie wurden jedoch in Ost und West schnell und gründlich zerschlagen.
Es gab erneut Razzien. Eine Zeitzeugin berichtete, dass es in Berliner Sub-Lokalen in beiden Teilen der Stadt bis etwa Mitte der 50er Jahre immer wieder Razzien gab, bei denen immer wieder viele Lesben auch verhaftet wurden - und zwar immer nur die „Auffälligen“, d.h. jene, die sich nicht „weiblich“ kleideten. Sie selbst wurde Ende der 40er Jahre - im Ostsektor - verhaftet und zur zwangsgynäkologischen Untersuchung ins Klinikum Buch verbracht. Nach drei Wochen Erzwingungshaft ergab sie sich schließlich dieser repressiven Maßnahme.
Die Ideologien wirkten aber nicht nur fort, sie wurden auch weiter aktiv vorangetrieben. In der BRD wurde – mit einigem Aufwand – ein Frauenbild durchgesetzt, das Frauen auf die Hausfrau- und Mutterrolle reduzierte. Trotz gegenteiliger Realitäten konnte sich dieses Frauenbild als das alleingültige durchsetzen, d.h. alle Frauen, die ihm nicht entsprachen, galten als sozial und moralisch abweichend und wurden gesellschaftlich verurteilt. In der DDR wurden Frauen zwar nicht auf die Rolle der Hausfrau reduziert, allerdings trat hier ein neues Element antilesbischer (und antischwuler!) Propaganda hinzu: Homosexualität galt als westliche Dekadenz, Lesben wurden damit dem „Klassenfeind“ zugeordnet.
Auch die Sexualwissenschaft blühte in beiden deutschen Nachkriegsstaaten weiter, lange Zeit ohne ihren zerschlagenen emanzipatorischen Flügel. In der Folge erklärten unzählige populärwissenschaftliche Ratgeber in Ost und West Lesben (und Schwule) zu kranken oder perversen Kreaturen, von denen und deren Praktiken man sich tunlichst fernhalten sollte. In diesen Ratgebern zeigt sich jedoch auch die deutliche Tendenz, über Lesben wenig bis gar nicht zu sprechen.
Auch die Kriminalisierungsdebatte wurde wieder geführt – und mit erschreckend ähnlichen Argumenten entschied man sich in der BRD erneut gegen die Kriminalisierung. Stattdessen wurden junge Lesben bei der Fürsorge denunziert und in der Folge gerichtlich zum Besuch gemischtgeschlechtlicher Jugendgruppen verurteilt (West) oder verloren aufgrund von Denunziation ihren Studienplatz (Ost).
Die Unterdrückung lesbischer Existenz basierte im Nationalsozialismus auf einer Wechselbeziehung von Norm – lesbenfeindliche Ideologien und Verschweigen – und Repression, teilweise sehr harter Repression. Die Härte dieser Repression und damit auch die Intensität der Bedrohung enden mit der Befreiung. Aber die Mischung aus Verschweigen, lesbenfeindlichen Ideologien und Bedrohung für den Fall der Abweichung von der Norm wirkte in veränderten Formen weiter – lange Zeit erfolgreich.
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- 08/03/2010 - 15:02