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Ich will einen kleinen Sklaven!

Dolf Verroen: „Wie schön weiß ich bin“, 68 Seiten, Peter Hammer Verlag, Wuppertal, 2005.
Von Birgit Dankert

Zum 12. Geburtstag bekommt Maria einen kleinen Sklaven geschenkt, doch der wird bald wieder verkauft – zusammen mit der Sklavin, die kurz einmal Vaters Geliebte war und dann von der Mutter verunstaltet wurde. Maria freut sich auf eine neue Sklavin, doch die kriegt ein Kind von dem jungen Mann, den Maria später heiraten soll. Über solche Rücksichtslosigkeiten von Schwarzen darf man sich mit Fug und Recht ärgern! Doch erst einmal kommt eine Gouvernante, und Maria freut sich auf die Zeit im Schweizer Internat. Auch der Busen wird noch wachsen, wie es sich gehört. Keine Angst, sie ist ja »schön weiß«, ihr kann also nichts passieren!

In vierzig kurzen, wie Strophen eines Prosagedichtes angeordneten, inneren Monologen erzählt Maria, verfolgen wir die Gedanken, das Leben und die Lebenslüge eines jungen Mädchens auf einer Teeplantage in Surinam, in Südamerika, wo Sklaven aus Afrika für die niederländischen Kolonialherren arbeiteten. Das offizielle Ende dieser Sklaverei im Jahre 1863 wird in den Niederlanden jedes Jahr am 1. Juli gefeiert – ein Feiertag, der in den letzten Jahren angesichts der politischen Ereignisse neue Brisanz erhalten hat.

Dolf Verroen, 1928 geboren und seit Jahrzehnten angesehener, ins Deutsche übersetzter Kinderbuchautor der Niederlande, zielt jedoch nicht auf aktuelle, kurzlebige Bezüge. Aus der beschränkten, unzensierten Kleinmädchen-Sicht schildert er nicht weniger als archetypische Situationen des Weges zum Rassismus. Der Vater, die Mutter, die Tanten zeigen dem Kind, wie es geht: Der Sklave dient nicht nur der Bequemlichkeit, sondern auch als Zielscheibe für Langeweile, Ratlosigkeit, Aggression und Gier. Wie schön weiß Maria ist, spürt sie nur im Gegensatz zum minderwertigen Schwarz der Sklaven.

Noch weiß sie nicht, mit welcher Spielart des Rassismus ihr Wunsch nach einem wohlproportionierten – weißen – Busen zusammenhängt. Doch die verdrängte Sexualität der weißen Kolonialgesellschaft hängt wie ein Schleier über jedem Gespräch, jeder Szene und wird als Verschulden immer nur bei den Sklaven sichtbar. Daher darf man sie schlagen, demütigen, töten. Für jedes eigene Versagen lässt sich eine Schuld des Sklaven finden.

Und ebenso wenig nimmt Maria wahr, dass ihr zwölfter Geburtstag sie nicht nur berechtigt, zu herrschen wie die Erwachsenen, sondern sie gleichzeitig beschränkt: durch die Übernahme der weiblichen Rolle. Denn einen Sklavenjungen bekommt sie erst, nachdem mit Perlenkette, Mieder, hohen Absätzen und Handtasche ihre kindliche Bewegungsfreiheit eingeengt, in »weibliche« Bahnen gelenkt wurde. Zur Belohnung erhält sie dafür einen kleinen schwarzen Leibeigenen geschenkt. Schon für die diskrete, aber schonungslose Offenbarung dieser Zusammenhänge in einem Kinderbuch des vermeintlich aufgeklärten 21. Jahrhunderts gebührt dem Autor Lob und Anerkennung.

Was aber tun, wenn junge Leserinnen sich mit Maria identifizieren, in ihr ein beneidenswertes Luxusgeschöpf sehen und sich einen Sklaven wünschen? Auf alle Fälle haben sie dann viel von der Botschaft des Buches verstanden! Denn in jedem, zu jeder Zeit lauert die Lust, sich selbst im Spiegel eines Fremden »schön weiß« und überlegen zu sehen – besonders wenn Eltern, politische Systeme und Ideologien dafür Lob, Anerkennung und kleine Geschenke bereithalten. »Alle Leute in dieser Geschichte sind erfunden, und doch ist das alles wirklich passiert«, schreibt Dolf Verroen im Nachsatz. »Alle diese Leute sind wirklich«, müsste man leider widersprechen.

Der Text wurde erstmals am 29.12.2005 auf http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.php?object=journal&lid=611 veröffentlicht.

 

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