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Erinnerungskulturen online

Trends und Widersprüchlichkeiten

Dr. Dörte Hein arbeitet als Referentin für Forschung und Medienkompetenz in der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und hat im Jahr 2009 das Buch „Erinnerungskulturen online. Angebote, Kommunikatoren und Nutzer von Websites zu Nationalsozialismus und Holocaust“ veröffentlicht.
Von Dörte Hein

Bücher, Spiel- und Dokumentarfilme spielen eine große Rolle bei der Aufarbeitung und Vermittlung von Geschichte. Mittlerweile hat sich aber auch das Internet als Ort der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit etabliert, besonders bei jungen Nutzerinnen und Nutzern. Dabei stellt sich die Frage, wie überhaupt im World Wide Web an Nationalsozialismus und Holocaust erinnert wird und vor allem, wer hinter diesen Angeboten steht.

Mit Blick auf diejenigen, die im Netz Angebote und Inhalte dieses Themenbereichs anbieten, fällt auf, dass dies nicht nur die traditionellen Institutionen und Produzenten von Geschichte sind. Vielmehr beteiligen sich auch Privatpersonen, Hobby-Historikerinnen und -Historiker oder Interessenvereinigungen am Online-Diskurs. Dies führt einerseits zu einer größeren Vielfalt an Perspektiven im Umgang mit Geschichte. Andererseits muss man selbst, als Nutzerin und Nutzer, mehr Verantwortung übernehmen: Man muss Websites und deren Inhalte auswählen und vor allem auch bewerten können. Wie geht man mit Informationen um, hinter denen keine bekannte Institution steht? Welchen Umgang hat man mit scheinbar gesicherten historischen Fakten, die nicht wirklich nachprüfbar sind?

Dies zeigt einmal mehr, dass auch im freien Netz die Anker und Fixpunkte der „realen Welt“ sehr wichtig sind. Intermediale Referenz meint wechselseitige Bezüge und Orientierungen zwischen verschiedenen Medien. In diesem Fall spielt vor allem die Rückbindung der Online-Diskurse über die NS-Vergangenheit an andere gesellschaftlichen Sphären eine wesentliche Rolle. So wichtig das Internet für die Vermittlung historischer Information auch ist: Die Themen, die hier behandelt werden, entstehen meist anderswo. Geschichte im Film, in Fernsehdokumentationen, in Büchern, Geschichtsunterricht in der Schule und Erzählungen in der Familie – all dies sind die wesentlichen Instanzen und Quellen. Empirische Studien bestätigen das. Sie zeigen aber auch, dass das Alter der User und Userinnen ein maßgeblicher Faktor bei der Quellenauswahl ist. So ist für die 14 bis 19-Jährigen das Web schon jetzt das wichtigste Informationsmittel zu diesem Thema. Dieses Ergebnis macht folgende Punkte deutlich: Besonders Schülerinnen und Schüler wenden sich verstärkt Online-Angeboten zu Nationalsozialismus und Holocaust zu. Und: Es ist zu vermuten, das die heute 14-Jährigen dies auch dann noch tun, wenn sie 24, 34 oder 44 sind. Was bedeutet das für die Zukunft der Erinnerungskultur im Online-Bereich? Wird das Web als Geschichtsmedium noch zentraler?

Wichtig sind jungen Nutzerinnen und Nutzern schon heute der Austausch und die Kommunikation mit anderen Userinnen und Usern. Die in Studien zur Online-Nutzung als „Junge Hyperaktive“ bezeichnete Nutzergruppe ist sehr stark daran interessiert, sich durch das Netz nicht nur zu informieren, sondern sich auch mit Anderen auszutauschen. Auch im Stil der Nutzung also unterscheidet sich die jüngere Generation deutlich von älteren Nutzerinnen und Nutzern. Selbst wenn nämlich Interaktionsmöglichkeiten auf den Websites vorhanden sind, will sich ein Großteil der Userinnen und User hauptsächlich informieren. Elemente wie Diskussionsforen oder Chats spielen eine eher untergeordnete Rolle. Auch seitens der Anbieterinnen und Anbieter wird die technisch problemlos mögliche Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer eher zurückhaltend erschlossen. Die Gründe dafür reichen von der Befürchtung, rechtsextremen Gedanken eine Plattform zu bieten, über mangelnde personelle und finanzielle Möglichkeiten der Betreuung bis hin zum allgemeinen Grundsatz, kein Ort zum Austragen von Debatten sein zu wollen. Der webbasierte Austausch über Nationalsozialismus und Holocaust ist bisher eher Sache der jungen Nutzerinnen und Nutzer.

Altersübergreifend hingegen wird die Möglichkeit, historische Informationen nicht nur durch Texte, sondern auch mit Bildern, Tönen oder Videos zu vermitteln, als großer Vorteil des Webs angesehen. Es scheint der Wunsch zu bestehen, neben Texten und Bildern auch Originaltöne und Videos nutzen zu können. Multimedialität wird im Sinne der emotionalen Kraft und des „Sich in die Zeit Hineinversetzens“ positiv bewertet. Multimedia als verheißungsvolles Potenzial neuer Medien – wie sehen das die Anbieter? Insgesamt dominiert hier Zurückhaltung. Ton- und Videodokumente werden kaum eingesetzt. Innovations- und Experimentierfreude haben dabei klare inhaltliche Grenzen. Auch hierbei wird die weitere Entwicklung von Online-Angeboten zu Nationalsozialismus und Holocaust zeigen, wie eine mediengestützte Erinnerungskulturarbeit damit umgehen kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Online-Erinnerungskulturen haben viele Facetten und machen Widersprüche sichtbar. Heute existieren maximale und nie da gewesene Speicherkapazitäten, aber es gibt auch Probleme bei der dauerhaften Archivierung von Daten. Es bieten sich größere Freiheiten der Nutzer, aber damit auch ein größerer Zwang zur Auswahl und mehr Verantwortung in der Bewertung der Inhalte. Und nicht zuletzt: Die Technik ermöglicht inzwischen eine stärkere Einbindung der User, der allerdings eine sehr zurückhaltende Umsetzung gegenübersteht.

Die Herausforderung besteht gegenwärtig und zukünftig darin, die Erinnerungen von Zeitzeugen und historische Hintergrundinformationen mediengestützt zu vermitteln. Wenn Geschichte vermittelt wird, sollte dabei an den Erfahrungshorizont und vor allem das Mediennutzungsverhalten der jüngeren Generationen angeknüpft werden. Denn: für junge Nutzerinnen und Nutzer hat sich das Netz als Medium zur historischen Information längst schon etabliert.

 

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