Sources

Ort/Bundesland: Brwinów - Milanówek - Podkowa Leśna
Institution: „Gesellschaft Freunde der Gartenstadt Podkowa Leśna” in Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft Freunde von Brwinów” und dem „Warschauer Zentrum für lokale Demokratie“
Autorin: Magdalena Prosińska
Altersgruppe: 16 Jahre und älter
Land: Polen
Fach: Fächerübergreifende Arbeitsgemeinschaft, Geschichte

„Erzählt uns davon…” ist ein experimentelles Dokumentations-, Bildungs- und Forschungsprojekt über die Besatzungszeit, das dem Zeitraum nach dem Warschauer Aufstand, dem Exodus der Warschauer Bevölkerung und der Geschichte des Polnischen Untergrundstaates in den Orten Brwinów, Milanówek und Podkowa Leśna besondere Aufmerksamkeit widmet. Im Rahmen des Projektes führen Schüler aus den örtlichen Schulen Interviews über die Jahre 1944-1946 mit Zeitzeugen. Ihre Gesprächspartner sind dabei in erster Linie Großeltern, andere Familienmitglieder oder Nachbarn, die die Besatzungszeit noch erinnern.

Vorgeschichte des Projektes

Umgesetzt wird das Projekt von der „Gesellschaft Freunde der Gartenstadt Podkowa Leśna“ (Towarzystwo Przyjaciół Miasta-Ogrodu Podkowa Leśna), die mit der „Gesellschaft Freunde der Stadt Brwinow“ (Towarzystwem Przyjaciół Brwinowa) und dem „Warschauer Zentrum für lokale Demokratie“ (Warszawski Centrum Demokracji Lokalnej) zusammenarbeitet. Darüber hinaus sind das Museum des Warschauer Aufstands und Schulen aus Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek sowie die Stadtverwaltungen und Kombattantenverbände der drei Städte beteiligt. Finanziert wird das Projekt aus dem Budget der Stadtverwaltungen von Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek, Fördermitteln der „Kronenberg Stiftung“ und Geldern der Firma JJ.

„Erzählt uns davon…“ ist Teil des Projektes „Offene Gärten – Klein London“, das das „Warschauer Zentrum für Lokale Demokratie“ (Stiftung zur Entwicklung einer Lokalen Demokratie) mit dem Museum des Warschauer Aufstands und den Stadtverwaltungen von Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek organisiert. Das Oral History Projekt „Erzählt uns davon…“ ist ein integraler Bestandteil der Vorbereitungen der „Offenen Gärten 2006“.

Thematik des Projektes

Die südwestlich von Warschau, an der Strecke der Vorortbahn gelegenen Ortschaften waren während der nationalsozialistischen Besatzung ein beliebtes Versteck unter Flüchtlingen aus Warschau und Aktivisten des Polnischen Untergrundstaates. Während und nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes wurden die Zivilbevölkerung und Einheiten der Heimatarmee in das Übergangslager in Pruszków eingewiesen. Vielen gelang jedoch die Flucht aus Pruszków in die nahe gelegenen Ortschaften, die in der Vorkriegszeit als Naherholungsgebiete Warschaus bekannt gewesen waren. So überfluteten die Warschauer Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek.

Die Anzahl der Personen, die sich damals in diesen Ortschaften aufhielten, übersteigt deutlich die heutige Einwohnerzahl. Staatliche und gesellschaftliche Institutionen, die zuvor in der nun nicht mehr existierenden Hauptstadt gewirkt hatten, nahmen ihre Tätigkeit in den einstigen Erholungsorten wieder auf. Die Haltestellen der Vorstadtbahn waren beklebt mit Aushängen und Adresszetteln, mit deren Hilfe ein Mann seine Ehefrau oder Eltern ihre Kinder suchten, so berichtet der Untergrundkämpfer Stefan Korboński. Jeder nutzte die Gelegenheit, um mitzuteilen, dass er noch am Leben war. Auch die Krankenhäuser wurden aus der brennenden Hauptstadt hierher evakuiert. Spontan gegründete Bars, Cafés und Märkte veränderten das Straßenbild. Unter den Zivilisten, die die Hauptstadt verlassen hatten, waren auch Vertreter des Untergrundes, die ihren Kampf hier fortsetzten.

In Podkowa Leśna arbeitete die einzige, von Zofia und Stefan Korboński aus Warschau gerettete zivile Radiostation, die die Verbindung mit der polnischen Exilregierung in London garantierte. Fast der gesamte Apparat des Untergrundstaates siedelte nach Podkowa, Milanówek und Brwino über. Hier wirkten die Abteilungen und Filialen der Repräsentanzen der polnischen Regierung, die ihren Sitz in London hatte. Die Ortschaft, in der sich die Delegatur der Regierung Sikorski befand – sie war als Exekutive und Kundschafter sozusagen der Schatten der Exilregierung – wurde informell „Klein London“ genannt. Hier versteckten sich die Vorsitzenden der Parteien, die den Rat der Nationalen Einheit (Rada Jedności Narodowej) bildeten, und der letzte Delegat der Londoner Regierung für Polen. Auch der legendäre Kommandeur der Heimatarmee, General Leopold Okulicki, der den Decknamen „Nieźwiadek“ (Teddybär) trug, hielt sich an diesem Ort bis zur seiner Verschleppung nach Moskau auf, wo er im so genannten Prozess der Sechzehn verurteilt und ermordet wurde.

Auch nach Kriegsende wurden die drei Städte von den kommunistischen Machthabern weiterhin als „Klein London“ genannt. Allerdings war diese Bezeichnung diesmal pejorativ gemeint, denn sie beschrieb eine feindliche Haltung gegenüber dem Regime. Die Einwohner von Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek hielten an der Tradition, nach Unabhängigkeit zu streben fest, die von ihren Familien und dem Untergrundstaat begründet worden war. In der Nachkriegszeit führten die Aktivisten der Solidarność den Kampf um Unabhängigkeit fort und entsprachen damit dem Geist dieser Ortschaften, die fremden Regimes gegenüber seit dem Zweiten Weltkrieg eine feindliche Einstellung hegten. Der Ruf von „Klein London“ blieb nicht ohne Einfluss auf die Politik des kommunistischen Staates, der die Entwicklung von Investitionen bremste und den Bau von Schulen verhinderte. Auch der Geheimdienst war hier besonders aktiv.

Heute brauchen der Name „Klein London“ und seine Geschichte, die gezielt vertuscht und gefälscht worden ist, nicht mehr verschlossen und geheim gehalten zu werden. Jedoch kennen sie nur noch wenige und vor allem ältere Generationen.

Organisation des Projektes

Im Zuge des Projektes werden 20-30 Interviews mit Zeitzeugen geführt, die mittels Diktaphonen, Filmkameras und Fotoapparaten festgehalten werden. Die Interviews werden auf der Internetseite des Projektes, im Verlag der „Gesellschaft Freunde der Gartenstadt Podkowa Leśna“ und bei anderen Verlagen publiziert. Dokumentieren soll die Interviews zudem ein kurzer Dokumentarfilm, der während der „Europäischen Tage des offenen Denkmals“ präsentiert wird. Darüber hinaus werden Schulen den Film zu Bildungszwecken einsetzen.

Projektdidaktik

Die mündliche Weitergabe von Traditionen und historischen Ereignissen durch die ältere Generation an die Jugend ist die älteste Lehrmethode und Form der Identitätsbildung. Während über 40 Jahren Kommunismus wurde die Geschichte des Polnischen Untergrundstaates in Podkowa Leśna, Brwinów und Milanówek, die wir heute suchen, vertuscht oder verzerrt. Aus politischen Gründen wurde in den Schulen und Familien die Verbreitung von Wissen über dieses Thema aufgehalten, so dass die Geschichte der Besatzungszeit heute nur noch von der ältesten Generation erinnert wird, deren Vertreter langsam von uns gehen. Es ist also die letzte Gelegenheit, dokumentierendes Material zu sammeln und den Jugendlichen zu ermöglichen, persönlich mit ihren Großeltern und den Helden der Kriegs- und Besatzungstage zu sprechen und auf diese Weise die Verbundenheit zwischen den Generationen zu festigen sowie Verständnis und Begeisterung für die Geschichte zu schaffen.

Während ihrer Interviews mit Zeitzeugen aus Podkowa Leśna, Milanówek und Brwinów erforschen die Schüler ihre heimische Tradition. Das persönliche Gespräch ermöglicht es ihnen, die Geschichte kennen zu lernen. Sie vertiefen den Kontakt zur anderen Generation, ihr Verständnis und ihre Begeisterung für die Geschichte. Indem sie die Geschichte dokumentieren, bewahren sie das geistige Erbe der Gesellschaft und verstärken die lokale Identität sowie die patriotische und zivilgesellschaftliche Grundlage.

Das Bildungsprojekt „Erzählt uns...” zeigt die Geschichte auf eine interessante und untypische Art und Weise. Die Schüler werden mit Techniken der ethnographischen, journalistischen und filmischen Dokumentation vertraut und erlernen die Grundlagen zur Bedienung einer Filmkamera und eines Diktaphons.

Ziele des Projektes

  • Vertiefung der Identität, der lokalen Verbundenheit und der Identifikation der Schüler, Lehrer und anderen Projektteilnehmer mit dem historischen Erbe
  • Erarbeitung einer attraktiven, innovativen Methode der historischen Bildung unter Nutzung von Techniken der journalistischen und filmischen Dokumentation, die in der Entstehung eines Modelprogramms für Schulen, das auch an anderen Orten eingesetzt werden kann, mündet
  • Dokumentation der lokalgeschichtlichen Ereignisse, die mit dem Schicksal der Warschauer Bevölkerung und dem Untergrundstaate nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands in Zusammenhang standen
  • Verbesserung des Kontaktes zwischen der Großeltern- und Enkelgeneration durch Dialog und Zusammenarbeit im Rahmen des Projektes
  • Einbindung der Jugend in die Arbeit lokaler Nichtregierungsorganisationen und ihre Gewinnung für eine aktive Teilnahme am zivilgesellschaftlichen Leben
  • Vermittlung journalistischer Fähigkeiten und Filmtechniken (besonders wichtig für Schüler der höheren Gymnasialklassen, die vor der Wahl einer Studienrichtung stehen)

Übersetzung: Thekla Lange

 

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