Einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen
Projekt Kontakt
Simone Kloß Gesamtschule Lübbenau RAA Lübbenau Straße des Friedens 3a D-03222 Lübbenau Tel.: +49 (0) 3542 3958 |
Innerhalb dieses fächerübergreifenden Unterrichtsprojektes in den Fächern Geschichte und Politische Bildung entstanden Themen, die vor Ort, das heißt in Terezin, für die einzelnen Schülergruppen Untersuchungsgegenstand wurden. Durch die großzügige Unterstützung des Ghettomuseums konnten die Schüler für eine Woche ganz intensiv in der Ausstellung sowie mit umfangreichem Buch-, Bild- und Archivmaterial arbeiten.
Von besonderem Interesse war das Studium der Originaldokumente über die Anklage, Verhandlung und Verurteilung eines Kriegsverbrechers, der bis zu seiner Entdeckung und Festnahme 1968 in einem Nachbarort Lübbenaus untergetaucht war. Weitere Arbeitsthemen bzw. Fragestellungen waren z.B. die Ernährung und medizinische Versorgung im Ghetto, das Wirken der jüdischen Selbstverwaltung, die Rolle der Kultur oder wie lebten/ überlebten die Kinder im Ghetto? Mit vielen Eindrücken und reichhaltigem Text- und Bildmaterial kehrten die Schüler nach Lübbenau zurück.
Im Unterricht wurden die Materialien in Freiarbeit ausgewertet und dokumentiert. In dieser Phase entwickelte das Projekt eine von den Schülern ausgehende Eigendynamik. Die Jugendlichen wollten ihre Kenntnisse nicht nur auf Postern festhalten, sondern tiefgründiger recherchieren und nachlesen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ließen wir eine außerschulische Arbeitsgemeinschaft zum Thema entstehen. Ab Oktober 1997 arbeiteten die Schüler in ihrer Freizeit an der Erstellung eines Bücherzvklusses, welchen die nachfolgenden 10. Klassen als Unterrichtsmaterial nutzen können.
Mit relativ wenigen, aber prägnanten Fakten stellten die Schüler das jeweilige Thema dar. Manchmal wird ein Text durch Sinnbilder oder Synonyme ersetzt, was das Nachdenken anregen und neugierig auf das Weiterlesen machen soll.
Jedes Buch besteht aus 8-10 schnell überschaubaren Seiten, die Lust auf tiefgründigere Recherchen machen sollen. Dazu steht dann die ausführliche Faktendatei - das kleine Archiv - zur Verfügung. Schließlich werden die Bücher und das "Kleine Archiv" durch einen Fundus von Sachbuchliteratur ergänzt.
Für mich als Projektleiterin setzt diese Arbeit mit den Schülern Zeichen. Mehrmals in der Woche saßen wir zusammen, "brüteten" über Inhalte und grafische Gestaltung, entwickelten neue Ideen und verwarfen sie auch manchmal wieder. Ich bin begeistert von der Leidenschaft und dem Durchhaltevermögen der Schüler, ein solch schwieriges Thema mit so großer Intensität zu verfolgen. Da die Bücher von Schülern für Schüler angefertigt wurden, entstanden auch andere Sichtweisen auf die Problematik. Zum Beispiel zur Frage Schuld / Nichtschuld antworteten die Schüler mit klarem Menschenverstand und nicht mit psychologischen Erklärungsmustern.
Hilfreich und ungeheuer wertvoll bei der Antwortsuche waren die Gespräche mit den Zeitzeugen, die uns in Theresienstadt begleiteten. Sie erklärten den Jugendlichen zum Beispiel, dass es innerhalb der Wachmannschaft unterschiedliche Auslegungen von Befehlen gab. Sie sprachen über Ängste, Nöte und Hoffnungen während ihres Lageraufenthaltes. Verständlicherweise konnten die Schüler nur einen Teil ihres Wissens und ihre eigenen Gedanken in den Büchern wiedergeben.
Am 24. Juni 1998 hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Die Schüler übergaben einen Bücherzyklus dem Ghettomuseum in Theresienstadt. Die Arbeit der Schüler wurde besonders durch die Anwesenheit von Herrn Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, gewürdigt. In einer Gesprächsrunde konnten die Schüler Herrn Bubis zur Geschichte und Gegenwart verfolgter Menschen befragen. Über 100 Gäste, darunter viele Eltern und Großeltern der Schüler, zeigten sich beeindruckt von der 10-monatigen Arbeit der Jugendlichen. Der Bücherzyklus bestehend aus neun Büchern kann in der RAA Straußberg, PAA Potsdam und in der RAA Lübbenau ausgeliehen werden Weitere Exemplare befinden sich in der Gedenkstätte in Terezin und der Gesamtschule Lübbenau. Ein zehntes Buch über den Entstehungsprozeß der Bücher wird derzeit erarbeitet.
Die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Bücher
1. Buch: "Einen Schmetterling habe ich hier nicht gesehen"
(Wie lebten / überlebten Kinder im Ghetto Theresienstadt?)
- Ankunft und Unterbringung der Kinder im Ghetto
- Wer sorgte für die Kinder?
- Organisation des Unterrichts im Lager - Unterricht war offiziell verboten
- "Wir machten uns den Alltag leichter" - Tagebücher, Zeitschriften, Märchenaufführungen Kinderzeichnungen usw.
- Tagebuchaufzeichnungen über die Kindheit in Theresienstadt
- Das Schicksal der Kinder aus Bialystock -1200 Kinder, die gegen Kriegsmaterial oder im Ausland internierte Deutsche eingetauscht werden sollten
2. Buch: "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt"
(Vergleich zwischen Propaganda der Nazis und dem wirklichen Alltag)
- Dichtung - Propaganda der Nazis
- Wahrheit - der wirkliche Alltag im Ghetto
- Der Alltag in der Wunderstadt - Überblick über Krankheiten, Ernährung, Postwesen, Arbeit etc.
- "Die Inszenierung" - die Vorbereitungen der Nazis für den Besuch der Internationalen Komitees des Roten Kreuzes
- "Die Vorführung" - Täuschung der Weltöffentlichkeit
3. Buch: "Kampf ums Überleben"
(Die Ernährung und medizinische Versorgung im Ghetto)
- Die Versorgung - eine Statistik - Versorgung der Häftlinge mit Lebensmitteln
- Küchen - Essenrationen, Speisepläne
- Hunger, ein Hauptproblem
- Notstand im Gesundheitswesen - Berichte von Häftlingen über die Krankenversorgung
- "Uns haben allmählich die Tränen gefehlt" - Erinnerungen einer Krankenschwester im Ghetto
- Sterben - Sterberaten, Bestattungen, Zeitzeugenberichte
4. Buch: "Kultur einziger Weg des Widerstandes - Ausdruck des Lebenswillens"
(Wie schafften es die Menschen ihre Würde und Kultur zu bewahren?)
- Künstler im Ghetto
- Musik - bedeutende Komponisten und Musiker in Theresienstadt
- Die Kinderoper "Brundibar"
- Literatur und Theater
- Malerei
5. Buch: "Wartesaal zum Tod"
(Woher kamen die Menschen? Wohin wurden sie gebracht?)
- Die "Wohnsitzverlegung" beginnt - die Deportationnach Theresienstadt
- Die Ankunft im Ghetto
- Die Schleuse - Zuteilung der Quartiere
- Angst vor Osttransporten - Platz schaffen für weitere Häftlinge
- "Eingereiht" - Verfahrensweise bei der Auswahl der Abtransporte und der Personen
- Der verhängnisvolle Weg des Transportes AAY Todesmärsche
- Rück- und Vorderseite - Statistische Angaben zu Transporten nach und von Theresienstadt
6. Buch: "Kleine Festung"
(Was bedeutete es Häftling im Gestapogefängnis zu sein?)
- Das Gefängnis: Die Kleine Festung - Bau, Nutzung, Gefangene
- Was bedeutete es, hier Häftling zu sein?
- Misshandlungen durch die SS "Arbeit macht frei"
- Hinrichtungen
7. Buch: "Die jüdische Selbstverwaltung"
(Mittäter oder Opfer?)
- Warum jüdische Selbstverwaltung?
- Aus der Arbeit der jüdischen Selbstverwaltung
- Mittäter oder Opfer?
8. Buch: "Täterprofile"
(Täter, Verbrechen, Urteile - Fragen an uns selbst)
- Wie die Nürnberger Gesetzte entstanden - Schülerfragen zum Lösener Bericht
- Täter - Biographien im Nazideutschland
- Adolf Eichmann - Biographie eines Deutschen
- Anton Burger - Lagerkommandant in Theresienstadt
- Kurt Wachholz - Hauptscharführer in Theresienstadt - Die Verbrechen
- Aus der Prozeßakte des Kurt Wachholz
- Fragen über Fragen der Schüler- Antwortsuche
9. Buch: "Die Befreiung"
(Ende des Leidens?)
- Schwanken zwischen Hoffen und Bangen
- Todesmärsche kommen an
- Gerettet - Bilder von befreiten Menschen
- Wie geht es weiter?
- Frei und doch nicht frei - Seuchen im Lager
- Die Rückkehr
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- 13/05/2010 - 11:17