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Das Komplott

Will Eisner: Das Komplott. Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion. Aus dem Amerikanischen von Jörg Krismann, Deutsche Verlagsanstalt, München 2005, 152 Seiten, 19,90 Euro

Die antisemitische Schrift der so genannten Protokolle der Weisen von Zion besteht aus einer fiktiven Rede, die ein jüdischer Führer während einer Geheimkonferenz vor der Versammlung der „Weisen von Zion“ gehalten haben soll. Auf dieser sei der Beschluss gefasst worden, die Weltherrschaft "unter einem König aus dem Hause Zion" durch Gewalt, Betrug und List durch politische Ideen wie den Liberalismus, die Demokratie oder das Anzetteln von Wirtschaftskrisen, Revolutionen und Kriege zu erringen.

In seinen Zeichnungen erzählt Will Eisner chronologisch von der Geburtsstunde und der Verbreitung der Hetzschrift bis zu Entstehung seiner eigenen Publikation deren Geschichte nach. Sie beginnt 1864, als der französische Schriftsteller Maurice Joly ein Pamphlet gegen Kaiser Napoleon III. mit dem Titel: "Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu" verfasst, mit dem er die Methoden zur Unterdrückung der Gesellschaft aufdecken und anklagen will.

30 Jahre später werden auf der Grundlage von Jolys Buch die gefälschten Dokumente im Auftrag des russischen Adels und Geheimdienstes verfasst. Damit sollen die liberalen Kräfte am Hof Nikolaus II. diskreditiert und die zaristische Modernisierungspolitik aufgehalten werden. Der Plan gelingt und im Zuge der Verbreitung der Protokolle kommt es zu zahllosen Pogromen in Russland. Nun beginnt der weltweite Siegeszug des Pamphlets. Henry Ford zitiert es in seinen antisemitischen Schriften der 20er Jahre, in denen er versucht, Amerika als jüdisch unterwandert darzustellen. Den deutschen Nationalsozialisten dient es als Rechtfertigung für ihren auf Vernichtung der Juden zielenden Antisemitismus.

Die Protokolle werden sowohl in den Ländern Südamerikas wie auch West- und Osteuropas als ernstzunehmende Lektüre rezipiert, nach der politischen Wende erfahren sie erneute Aufwertung in den osteuropäischen Transformationsstaaten. Und nicht zuletzt in der arabischen Welt dienen sie zur Rechtfertigung antiisraelischer und antisemitischer Propaganda. So produzierte das ägyptische Fernsehen nach der Jahrtausendwende eine mehrteilige Serie, die auf den Protokollen basiert und in mehreren arabischen Ländern gezeigt wurde.

Eisner zeichnet aber auch den Kampf gegen die Verbreitung der antisemitischen Lüge nach. Sowohl ein britischer Times-Journalist in den 20er Jahren, ein Schweizer Journalist, der die Klage der schweizerischen israelitischen Gemeinde gegen die „Nationale Front“ in den 30er begleitet als auch Eisner selbst, am Ende des 21. Jh. nach Informationen für seine Graphic Novel forschend, recherchieren und erbringen die Beweise für den Fälschungscharakter der Protokolle. Und mit jedem erneuten Beweis verbindet sich wieder die (bis heute unerfüllte) Hoffnung, dass die rationale Aufklärung die Verbreitung der Hetzschrift und des antisemitischen Gedankengutes stoppen könne.

Will Eisner starb im Januar 2005, kurz nach der Veröffentlichung seiner Graphic Novel, mit der er einen „weiteren Nagel in den Sarg diesen schrecklichen, vampirähnlichen Betrugs schlagen“ (Will Eisner im Vorwort), für jeden verständlich mit der Lüge einer jüdischen Weltverschwörung aufräumen wollte.

„Das Komplott" ist das Vermächtnis eines Menschen, den die Frage, warum Juden von so vielen Menschen nicht akzeptiert, sondern gehasst werden. nie losgelassen hat. Eisner selbst bleibt gegenüber einer auf Information setzenden Aufklärung gegen Antisemitismus skeptisch: Das letzte Bild seines Comics zeigt eine brennende Synagoge. Dennoch hat er seine Erzählung im Sinne einer Aufklärungsdidaktik verfasst.

Statt mit den möglichen Stärken des Comics, Ironie und Verfremdung, zu arbeiten und so der antisemitischen Verschwörungstheorie subversiv zu begegnen setzt Eisner auf das rationale Argument. Allein auf 15 Seiten des Comics stellt er Textauszüge der Protokolle Jolys Schrift "Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu" gegenüber. Der ohnehin schon vom Betrugscharakter der Protokolle überzeugte Leser wird im Vergleich das Plagiat erkennen. Doch werden sich die anderen Leser/innen, die Eisner erreichen und überzeugen wollte dieser Mühe unterziehen?

Für die pädagogische Arbeit mit dieser Graphic Novel stellt sich deshalb die allgemein für eine Bildung gegen Antisemitismus bedeutsame Frage, ob dem antisemitischen Vorurteil rational beizukommen ist. Nach der Erkenntnis über die Entstehung der Protokolle muss eine der Mündigkeit verpflichtete historisch-politische Bildung wohl vor allem zu ergründen suchen, warum Menschen wider ihre rationale Erkenntnis an Verschwörungstheorien festhalten. Darüber hinaus müsste sie Jugendliche befähigen, sich der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Realität ohne ausgrenzende und diskriminierende Vereinfachungen anzunähern. Für diese intensive und schwierige pädagogische Arbeit kann die Lektüre des Comics mit jungen Erwachsenen ein Ausgangspunkt sein. 

 

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