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Frauenstimmen

Musikerinnen erinnern an Ravensbrück

Gabriele Knapp: Frauenstimmen. Musikerinnen erinnern an Ravensbrück. (2003) Metropol-Verlag Berlin, 304 S., 72 Abb., 19.- €

Für viele Frauen, die zwischen 1939 und 1945 im Konzentrationslager Ravensbrück, ca. 90 Kilometer nördlich von Berlin gelegen, inhaftiert waren, stellten Singen und Musizieren eine unentbehrliche Lebenshilfe dar, wenn es freiwillig und heimlich geschah. Musik war jedoch auch Teil der Tortur, denn Musik wurde von der SS im Lageralltag zynisch eingesetzt, sei es als erzwungenes Zuhören bei Hinrichtungen oder verordnetes Singen auf dem Weg zur Zwangsarbeit.

Die Autorin Gabriele Knapp, Musiktherapeutin und Biographieforscherin, die sich bereits in ihrer Dissertation 1996 über "Das Frauenorchester in Auschwitz" mit der ambivalenten Rolle der Musik in Konzentrations- und Vernichtungslagern auseinandersetzte, führte für dieses neue Forschungsprojekt über Musik und Gesang im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück zahlreiche Interviews mit Überlebenden in verschiedenen europäischen Ländern und Israel.

In dem Band "Frauenstimmen" lässt die Autorin sieben Frauen, die in Ravensbrück wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus inhaftiert waren, in ausführlichen Lebensbildern zu Wort kommen: zwei polnische, zwei tschechische, zwei deutsche Frauen und eine Tschechin aus Wien, die Österreich als ihre Heimat bezeichnet, aber gleichermaßen der tschechischen und slowakischen Kultur verbunden ist.

Die Lebensgeschichten dieser sieben Frauen, vor ihrer Gefangennahme professionelle Musikerinnen oder aktive Laienmusikerinnen, geben Einblick in ihre Beziehung zur Musik in ihrem Leben und in Ravensbrück. Die Autorin hat die Interviews nicht sozialwissenschaftlich analysiert. Die jeweils persönliche Geschichte, so wie sie erlebt und im Rückblick empfunden wurde, hat sie gemeinsam mit den Zeitzeuginnen sorgfältig rekonstruiert und in den historischen Kontext eingefügt. Fotos und Dokumente aus dem privaten Leben der Frauen werden in diesem Buch erstmals veröffentlicht und vergegenwärtigen die Erlebniswelt der Zeitzeuginnen authentisch und anrührend zugleich.

Weitere 140 Kurzbiographien von professionellen und Laienmusikerinnen aus zahlreichen europäischen Ländern, die diese Studie erst vervollständigen, lassen ein beindruckendes Bild des "heimlichen" Musiklebens in Ravensbrück entstehen.

Über Lieder konnten Frauen untereinander über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg Kontakt und ein Zusammengehörigkeitsgefühl herstellen. Sich an heimlichen musikalischen Aktivitäten zu beteiligen, war eine Möglichkeit, sich gegen die von der SS beabsichtigte Zerstörung der Identität und persönlichen Würde zur Wehr zu setzen. Lieder stellten die Verbindung zum normalen Leben vor dem Lager her, zur Erinnerung an die Familien, an Feste oder religiöse Feiertage. Singen und kulturelle Aktivitäten waren jedoch strengstens verboten, heimliche Vorstellungen gefährlich.

Wurden sie entdeckt oder verraten, so verhängte die SS schwerste Strafen und in Einzelfällen konnte es den Tod bedeuteten. Die Beteiligten bewiesen dennoch immer wieder Mut, trotz der damit verbundenen Gefahren heimliche Musikdarbietungen vorzubereiten und durchzuführen. Musikausübung stärkte das verschüttete Selbstbewusstsein und verhalf zu Anerkennung und Respekt bei den Mitgefangenen.

In Ravensbrück entstanden Hunderte von Gedichten und Liedern, geschrieben nach bekannten Melodien, einige wurden auch dort komponiert. Etwa fünfzehn Frauen in Ravensbrück hatten Musik studiert und waren Berufsmusikerinnen, zehn Frauen schrieben Lieder und Musikstücke im Lager, die übrigen Frauen beteiligten sich an den heimlichen musikalischen Aktivitäten im Lager. Nicht der Mangel an Musikerinnen war, wie die Autorin herausfand, der Grund dafür, dass es in Ravensbrück kein für die SS spielendes Häftlingsorchester gab, sondern nach Aussagen der Überlebenden waren die Frauen in diesem Lager nicht bereit, für die SS zu musizieren.

"Frauenstimmen" ist trotz der profunden wissenschaftlichen Recherche der Autorin nicht in erster Linie ein wissenschaftliches Fachbuch, sondern ein Handbuch, das die weitere Forschung über Musik, die kulturelle Betätigung und Selbstbehauptung von Frauen in nationalsozialistischen Lagern anregen sollte.

Die Studie von Gabriele Knapp ist aber auch für Geschichtslehrer und Musikpädagogen in den Schulen sowie musikinteressierte Jugendliche interessant, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Thematik der Konzentrationslager über diesen besonderen Zugang auseinandersetzen können. Die allgemeinverständliche und sprachlich sensible Darstellung sowie ausführliche Anmerkungen, eine Bibliographie und ein Glossar der historischen Begriffe machen dieses Buch besonders empfehlenswert für die pädagogische Arbeit.

Zum Weiterlesen und -hören

  • Musik für Ravensbrück – Musik aus Ravensbrück ist in dem gleichnamigen CD Doppelalbum zusammengestellt, herausgegeben von Kulturfeste im Land Brandenburg e.V.. Das Album enthält die Aufzeichnung eines Konzerts am 20. Juli 2003 in der ehemaligen Textilfabrik in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück zum Gedenken an die Frauen von Ravensbrück mit Kompositionen junger Musikerinnen aus Litauen, der Slowakei, Tschechien, Usbekistan, Griechenland und Polen, interpretiert von Musikerinnen aus Finnland, Serbien, der Slowakei, Tschechien, Russland und Polen.Im zweiten Teil des Konzerts kommen Liedkompositionen, die Ludmilla Peškařová als Inhaftierte in Ravensbrück schrieb, in der Bearbeitung der slowakischen Komponistin Jana Kmitova zu Gehör.
  • Gedichte aus Ravensbrück sind von der in Berlin lebenden argentinischen Künstlerin Pat Binder als mediales Kunstprojekt "Stimmen aus Ravensbrück" ebenso für den Unterricht sehr empfehlenswert. In: Constanze Jaiser: Poetische Zeugnisse. Gedichte aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück 1939-1945, (2000) Stuttgart, Weimar sowie auf folgender Website: http://www.pat-binder.de/ravensbrueck

Kontakt

Kulturfeste im Land Brandenburg e.V.
Am Bassin 3
D-14467 Potsdam
http://www.kulturfeste.de

 

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