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Die DDR feiert Geburtstag und ich werde Kartoffelschäler

Anatol Rosenbaum: Die DDR feiert Geburtstag und ich werde Kartoffelschäler. Als Arzt und "Agent" im "Kommando X" des MfS. (2006) Lichtig-Verlag Berlin, 168 S., 14,90 € (herausgegeben von Nea Weissberg-Bob)

Dr. Anatol Rosenbaum, Kinderarzt in Ost- Berlin, wurde im Dezember 1968, damals 29-jährig, verhaftet und als vermeintlicher zionistischer Agent verurteilt. Aufgrund der Denunziation eines westdeutschen Stasi-Spitzels flog er bei dem Versuch auf, in Prag an bundesrepublikanische Pässe zu gelangen, die ihm, seiner Frau und dem gemeinsamen fünfjährigen Sohn die Flucht in den Westen ermöglichen sollten.

Stattdessen folgten quälende, erniedrigende Verhöre und eine zweijährige Odyssee durch Gefängnisse der Staatssicherheit: auf Berlin-Hohenschönhausen folgt Waldheim, anschließend wieder Hohenschönhausen, dann Berlin-Rummelsburg, Cottbus und schließlich die Festung Torgau, aus der er im Dezember 1970 entlassen wurde.

Der Autor ist Sohn kommunistischer Eltern jüdischer Herkunft, die aus dem Hamburger Bürgertum stammen. Sein Vater, Heinrich Ernst Ludwig Rosenbaum, Sohn eines jüdischen Privatbankiers, war in den 1920er Jahren Theaterregisseur an den Hamburger und Münchener Kammerspielen sowie am Frankfurter "Neuen Theater". Zu dessen Bekannten und Freunden zählten Erika und Klaus Mann, Gustav Gründgens, Erwin Piscator und Bertolt Brecht, dem Heinrich Rosenbaum 1949 als damaliger Funktionär in der Kulturverwaltung einen Privatvertrag für das Berliner Ensemble vermittelte.

Anatol Rosenbaums Mutter Nelly, Tochter eines jüdischen Hamburger Holzfabrikanten, schloss sich in den 1920er Jahren der Hamburger KPD unter Ernst Thälmann an. Später gehörte sie zum Umfeld von Walter Ulbricht. In einer nach dem Mauerfall im ehemaligen Militärverlag der DDR erschienenen Biografie wird sie mit Alexandra Kollontai verglichen.

Bei ihrer Hochzeit mit Heinrich Rosenbaum setzt Nelly Held durch, dass das Privatbankhaus der Familie Rosenbaum der KPD geschenkt wurde. Die Parteiführung in Berlin und Moskau behielt sie deshalb in bleibender Erinnerung. Außerdem brachte Nelly Held ihren Ehemann dazu, 1930 den Namen Rosenbaum abzulegen, weil er zu jüdisch klang. Sie nahmen den Namen Held an.

1933 emigrierten die Eltern nach Moskau, nachdem Nelly Held wegen Mitgliedschaft in einer von dem späteren MdB und KZ Buchenwald-Überlebenden Albert Buchmann geleiteten konspirativen Zelle der KPD verhaftet worden war. In Moskau wurde der Sohn Anatol geboren, wo er bis zur Rückkehr der Eltern nach Ost-Berlin 1949 aufwuchs.

Anders als manche anderen Kinder aus deutsch-kommunistischen Familien jüdischer Herkunft beschäftigte sich Rosenbaum schon früh mit seinen familiären und kulturellen Wurzeln und setzte sich bereits in den 1960er Jahren kritisch mit Anspruch und Wirklichkeit des realsozialistischen Gesellschaftssystems auseinander.

Diese Familiengeschichte ist jedoch nur ein Faden des Erinnerungsberichts von Anatol Rosenbaum, in dessen Mittelpunkt die Schilderungen der Haftbedingungen und Erlebnisse in den Gefängnissen der Staatssicherheit stehen. Er zeigt auch anhand anderer Schicksale von politischen Mitgefangenen den Zynismus und die Härte des Unterdrückungsapparates der DDR Staatssicherheit.

Als Sohn von Kulturfunktionären, der sich kritisch gegen das System der DDR äußerte, galt er als besonders verdächtig. Weil er Jude ist und einen Familienfreund aus Israel um Unterstützung bei seinem Fluchtversuch gebeten hatte, wurde er Opfer des als Antizionismus getarnten Antisemitismus in der DDR und der Mitgliedschaft im israelischen Geheimdienst Mossad bezichtigt.

Deshalb überstellte man ihn u.a. in das "Kommando X" in Hohenschönhausen, das von der Staatssicherheit für Spionage für den BND und die CIA Verdächtigte eingerichtet wurde. Dort legte man ihn - offensichtlich als eine besondere Art der Schikane- unter anderem mit ehemaligen SS-Angehörigen zusammen. Als Häftlingsarzt gelang es ihm jedoch, das Vertrauen von anderen Mitgefangenen zu erwerben.

Rosenbaum beschreibt eindringlich seinen Zorn, seine Ängste und Ohnmacht und wie er sie zu überwinden versuchte: durch Scheinanpassung und Selbstverleugnung, aber auch durch Witz, Auflehnung und Provokationen. Seine detailreichen Schilderungen stellen das Spezifische der Haft in den Stasi-Gefängnissen heraus. Eine besondere Rolle nimmt die Hinwendung zum jüdischen Glauben ein, was ihm half, die Haft zu überstehen.

Nach der Haftentlassung 1970 nahm Rosenbaum seine Tätigkeit als Kinderarzt wieder auf. 1975 wurde er von der Bundesrepublik "freigekauft" und siedelte nach West-Berlin über. Seine Freilassung verdankte er u.a. dem Sozialdemokraten Herbert Wehner, der seine Eltern aus dem Moskauer Exil kannte. In West-Berlin befasste sich Rosenbaum mit "Risiko-Kindern" und arbeitete u.a. in den Arbeiterbezirken Wedding, Kreuzberg und Neukölln. Da er mit Kritik nicht hintern Berg hielt und insbesondere die medizinische Versorgung von behinderten Kindern kritisierte, eckte er auch hier an.

Als bei ihm 2001 Leukämie festgestellt wurde, vermutete er als Ursache eine mögliche heimliche Röntgen-Bestrahlung durch die Stasi in Hohenschönhausen, ähnlich wie im Fall der Oppositionellen Jürgen Fuchs oder Rudolf Bahro. Zwar halten auch Gerichte dies inzwischen für möglich, die Forschung kann diesen Verdacht bis heute jedoch nicht durch entsprechende Belege erhärten, auch weil die Strahlendosis nachträglich nicht mehr festgestellt werden kann.

2005 vollzog Anatol Rosenbaum schließlich den letzten Schritt seiner Identitätsfindung, als er wieder den Namen Rosenbaum annahm, den seine Eltern 1930 abgelegt hatten. Mit dieser formalen Heimkehr zu den jüdischen Wurzeln schließt sich ein Kreis in seiner Lebensgeschichte, in der sich bedeutende Fragen deutscher und deutsch-jüdischer Zeit- und Familiengeschichte widerspiegeln.

Rosenbaums Autobiographie ist sehr persönlich und beansprucht nicht, eine wissenschaftliche Aufarbeitung eines weitgehend verdrängten und vernachlässigten Kapitels der DDR-Geschichte zu sein. Ein notwendiges Buch, und ein mahnendes und eindrucksvolles Zeitzeugnis deutsch-jüdischer Erfahrung, insbesondere angesichts von "Ostalgie" und zunehmender Schlussstrichmentalität.

 



 

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