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Deutsche und Juden nach 1945

Familiengeschichte, Holocaust und Neubeginn

Gottfried Wagner, Abraham J. Peck: Unsere Stunde Null - Deutsche und Juden nach 1945. Familiengeschichte, Holocaust und Neubeginn. Historische Memoiren. (2006) Böhlau Wien, 428 S., 24,90 €

Bei Wagner und Bayreuth mit dem Festspielhaus auf dem Grünen Hügel, der Villa Wahnfried, muss auch das KZ-Außenlager dieser Stadt, Flossenbürg, mitgedacht werden. Insbesondere diejenigen Kulturbeflissenen, die alljährlich auf den Festspielhügel pilgern, sollten sich dessen bewusst sein, dass Wagners Musik nicht von der antisemitischen Weltanschauung des Komponisten und den politischen Folgen im 20 Jahrhundert zu trennen ist, ebenso wie für die Deutschen in Sichtweite von Weimar und seiner Tradition der Klassik Schillers und Goethes auch der Ettersberg mit dem KZ Buchenwald steht.

Unterschiedlicher nach Herkunft und lebensgeschichtlicher Prägung könnten die beiden Autoren kaum sein. Die Familienkonstellation ist einzigartig. Da ist Abraham Peck, der Sohn eines Vaters, der nach einem Leidensweg durch zahlreiche NS-Lager zum Skelett abgemagert und dem Tode nahe von sowjetischen Soldaten in Theresienstadt befreit wurde, und einer Mutter, die nach Ghetto, Auschwitz und dem KZ-Flossenbürg von US-Truppen in Böhmen befreit wurde. Beide überlebte als einzige Mitglieder zweier großer Familien den NS-Völkermord an den Juden.

Und da ist der Urenkel Richard Wagners, Sohn Wolfgang Wagners, des noch immer herrschenden Potentaten der Bayreuther Festspiele, hineingeboren in eine der berühmtesten und politischsten Familien Deutschlands, die tief verstrickt war in Hitlers Ideologie und Verbrechen und sich der Verantwortung dafür bis heute nicht stellt und sie obendrein durch philosemitische Anbiederung vernebelt.

In Landsberg am Lech, einer Nazi-Hochburg wie Bayreuth, berühren sich die Biografien beider Autoren. Abraham Peck wurde in dieser Stadt im Mai 1946 geboren. Seine Eltern hatten 1943 im Ghetto von Lodz geheiratet und wurden kurz darauf getrennt. 1945 fanden sie sich wieder und lebten vor ihrer Auswanderung in die USA noch fünf Jahre in einem Lager für „Displaced Persons“ in Landsberg, der Stadt in der Hitler nach dem missglückten Putsch vom 9. November 1923 inhaftiert war und sein Buch „Mein Kampf“ verfasste.

Gottfried Wagners Großmutter Winifred hatte Hitler damals in Landsberg das Papier für die Niederschrift geliefert. 1937-1945 war Landsberg wegen der Festungshaft Hitlers Pilgerstätte der Hitlerjugend und 1944 wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges um Landsberg und Kaufering mit 14 KZ-Außenkommandos der größte Konzentrationslagerkomplex des Deutschen Reiches errichtet. In der Haftanstalt von Landsberg wurden ab Ende 1945 Urteile der Dachauer Kriegsverbrecherprozesse vollstreckt.

Gottfried Wagners Großmutter war Nationalsozialistin seit 1922, Hitler-Verehrerin der ersten Stunde und blieb dies bis zu ihrem Tod 1980. Bayreuth war Brutstätte des Antisemitismus und Chauvinismus schon lange vor dem Machantritt Hitlers. Als Leiterin der Wagner-Festspiele entwickelte Winifred Wagner Bayreuth in den folgenden Jahre zu einer zentralen NS-Kultstätte. Bis zur Schließung aller deutschen Theater 1944 wurden auf Weisung Hitlers Kriegsfestspiele zu propagandistischen Zwecken veranstaltet. Für die Anreise des Publikums sorgte die NS-Organisation Kraft durch Freude.

Von 1936 bis zu seinem letzten Bayreuth-Besuch 1940 bewohnte Hitler als Persönlicher Freund Winifred Wagners jährlich zur Festspielzeit das Siegfried-Wagner-Haus, einen Anbau an Haus Wahnfried. Hitler, willkommener Gast in Wahnfried, posierte gerne als „Onkel Wolf“ mit Winifreds Söhnen Wieland und Wolfgang vor der Kamera, was bis heute auf dem Festspielhügel verdrängt wird wie z. B. auch das Faktum, dass Wieland Wagner 1944 noch stellvertretender ziviler Leiter des KZ-Außenlagers Bayreuth- Flossenbürg wurde.

Weil Gottfried Wagner diese tiefe familiäre Verstrickung mit dem „Führer“ konsequent anklagte und durch gründliche historische Belege um Aufklärung stritt, wird er von der Wagner-Sippe vor allem seinem Vater geächtet. Abraham Peck und Gottfried Wagner wagten den steinigen Weg des offenen Gespräches, um zu verstehen, wie sie das Erbe ihrer jeweiligen Familiengeschichten geprägt hat und wie sie mit dieser Prägung leben. Um den Beginn eines wirklichen Dialogs zwischen Deutschen und Juden zu erreichen, müssen die, die nach 1945 geboren wurden, eine persönliche Verbindung zu dieser Geschichte finden. Sie müssen wissen, was mit ihren Eltern und in ihren Familien passierte.

Über das Persönliche hinaus geht es den Autoren um die Überwindung von Angst, Misstrauen, Hass und Schuldzuweisungen, die jede Form eines wirklichen Dialogs zwischen Deutschen und Juden der zweiten und dritten Generation nach 1945 unmöglich machen. Mit ihrem Dialog, der 1992 begann, wollen Wagner und Peck ihre Familiengeschichten als Teil einer historischen Erkenntnis begreifbar machen. Statt Schönrederei fordern sie die Bereitschaft, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen und zu handeln. Beide verbindet das Engagement für Menschenrechte und zwischenreligiöse Dialoge als Reaktion auf ihre Lebensgeschichten, die für Abraham Peck, 1946 in Landsberg und Gottfried Wagner 1947 in Bayreuth als Geburtsstädte und einstige Hitler-Hochburgen begannen. Sie haben sich gemeinsam auf eine Reise durch Zeit und Trauma begeben zu den Orten der Erinnerung an familiäre und deutsche Vergangenheit - Landsberg, Bayreuth, Lodz, Auschwitz und all die anderen Orte.

In diesen Dialog haben sie auch ihre Kinder und nächsten Verwandten einbezogen, eine Familiengeschichte, die für Gottfried Wagner keine Verdrängung und Leugnung gestattet. Er wurde durch seine Aufdeckung der Lebenslügen des Bayreuther Wagner Clans von diesem nicht nur verstoßen. Die beleidigte bis heute aus öffentlichen Mittel hochsubventionierte Kulturfima Wagner tat seit seiner Autobiographie „Wer nicht mit dem Wolf heult“ ( (1997) und tut bis heute skrupellos weiterhin alles, um ihn, den „Unbotmäßigen“, der sich nicht aus Karrieregründen anpasste, persönlich zu diffamieren und beruflich total zu boykottieren.

Die Autoren geben den Nachgeborenen von Tätern und Opfern ein Beispiel: Stellt euch schonungslos der eigenen Familiengeschichte. Geht aufeinander zu - redet miteinander!

Das Buch „Unsere Stunde Null. Deutsche und Juden nach 1945: Familiengeschichte, Holocaust und Neubeginn. Historische Memoiren" kann nicht nachdrücklich genug zur Lektüre empfohlen werden.

Gottfried H. Wagner, ist Regisseur und freiberuflicher Musikhistoriker mit Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte des 19.und 20. Jahrhunderts, Antisemitismus und Musik bei Richard Wagner, Kurt Weill, „Entartete Musik", Kultur in Theresienstadt, setzt sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Folgen bis heute auseinander. Er promovierte in Wien mit einer Arbeit über Kurt Weill und Bertold Brecht. Für seine humanitären, historischen und musikwissenschaftlichen Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Seit 1983 lebt er in Italien.

Abraham J. Peck, leistete Pionierarbeit als Historiker der Geschichte von Holocaust-Überlebenden und der jüdischen Internierungslager (Jewish DP camps) nach 1945. Peck war Direktor der wissenschaftlichen Forschung der American Jewish Historical Society in New York City, Direktor des Holocaust Museums Houston und Verwaltungsdirektor des American Jewish Archives in Cincinnati/Ohio. Er ist Direktor des akademischen Beirates für Christlich-Jüdisch-Islamische Post-Holocaust-Studien an der Universität von Southern Maine in Portland/USA, lehrt dort am Fachbereich Geschichte und Judaistik.

 

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