Silvester Lechner und das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e.V. (Hg.): Eindeutschungsfähig?! Roman Sobkowiak. Eine polnisch-deutsche Biografie im NS-Staat und in der jungen Bundesrepublik. (2009) Verlag Klemm & Oelschläger Ulm, 116 S., 75 Abb., 19,80 €

In der historischen Literatur über die NS-Zeit ist die Darstellung der „Eindeutschung“ bzw. „Germanisierung“ im Rahmen des Generalplans Ost für die „rassenpolitische Neuordnung Europas“ bislang nur wenig Beachtung geschenkt worden. Die hiermit vorliegende ausführliche Biografie von Roman Sobkowiak, nach mehrjähriger Arbeit sorgfältig herausgegeben vom Leiter des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg in Ulm, in enger Abstimmung mit dem Autor und seiner Familie sowie der kompetenten wissenschaftlichen Beratung durch zwei Fachhistoriker schließt eine der vielen Lücken im Wissen über das ideologische Gesamtkonzept der nationalsozialistischen rassistischen Bevölkerungspolitik.

Diese lebendig erzählte, mit vielen Fotos des Autors und Landkarten versehene Autobiografie ist ein seltenes, einzigartiges Dokument. Sie wird kontextualisiert durch den Text von Heinrich Himmlers geheimer Denkschrift vom Mai 1940 über die „Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“, sowie eine Auswahlbibliografie, eine Chronologie zur polnischen und deutsch-polnischen Geschichte, Regionalgeschichte und zum Leben des Zeitzeugen Roman Sobkowiak.

1923 unmittelbar an der Grenze zu Deutschland in dem Dorf Szkaradowo in der Woiwodschaft  Poznań geboren, erlebte Roman Sobkowiak mit mehreren Geschwistern in einer gutsituierten polnischen Kaufmannsfamilie eine unbeschwerte Kindheit und Jugend. Neben Polnisch lernten die Kinder auch Deutsch. Die Familie legte Wert auf gute Beziehungen zu den im Ort verbliebenen Volksdeutschen und jüdischen Geschäftspartnern.

Der Überfall Nazideutschlands auf Polen im September 1939 veränderte das Leben der Familie schlagartig. Westpolen wurde als „Wartegau“ annektiert und zum ersten Experimentierfeld für die radikale Neuordnung im Osten. Mehr als 600.000 Menschen wurden entrechtet, enteignet, vertrieben, darunter auch die Sobkowiaks. Polen unter nationalsozialistischer Okkupation sollte freigemacht werden von „rassisch minderwertiger“ Bevölkerung durch Vertreibung und Vernichtung, damit es anschließend neu besiedelt werden konnte mit aus verschiedenen osteuropäischen Länder dorthin umsiedelten „Volksdeutschen“ .

Sogenannte „Eignungsprüfer“, Mediziner und rassenpolitisch geschulte Verwaltungsexperten des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes teilten die Familien nach rassistisch- biologistischen Kriterien, politischem Verhalten gegenüber den Besatzern und Aspekten der ökonomischen Ausbeutbarkeit in Kategorien ein. Mehr als 800.000 Polen wurden Opfer dieser rassistischen Klassifizierung, Zwangsumsiedlung und Vertreibung. Familien, die als „rassisch wertvoll“ und somit „eindeutschungsfähig“ klassifiziert wurden, - das waren zwischen 1940 und 1944 ca. 7 Prozent der begutachteten Polen, bzw. ca. 30- 40.000 Menschen, wurden ins „Altreich“ gebracht.

Roman Sobkowiak beschreibt diese Umsiedlungs- und Germanisierungspolitik aus seiner Perspektive als Opfer. Nach Enteignung und Vertreibung wurden Ende 1941 er, seine Eltern und eine Schwester für „eindeutschungsfähig“ befunden, drei weitere Geschwister erlitten Deportation, Androhung der Hinrichtung sowie Haft in mehreren KZ. Die Familie Sobkowiak wurde zusammen mit 500 anderen einzudeutschenden Umsiedlern in dem SS- Umsiedlungslager Schelklingen am Rand der Schwäbischen Alb untergebracht und sollten dort politisch umerzogen werden. Ihr Leben blieb keineswegs frei von Diskriminierungen insbesondere auch durch die ortsansässige Bevölkerung.

Während Eltern und Geschwister 1946 nach Polen zurückkehrten, blieb Roman Sobkowiak in Schelklingen, weil er sich eine berufliche Existenz aufbauen konnte und seiner zukünftigen Frau Elisabeth, einer Schelklingerin, begegnet war, die jedoch durch die Heirat 1947 mit ihm, dem heimatlosen Ausländer, nach geltendem Recht ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlor. Erst Ende 1960 erhielt das Ehepaar mit seinen drei Kindern die Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland! Nach seinem Eintritt in den Ruhestand 1985 begann Sobkowiak mit den Aufzeichnungen seiner Lebensgeschichte und stellte sich über das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg in Ulm Schulen und Jugendgruppen als Zeitzeuge zur Verfügung.

Roman Sobkowiaks Geschichte ist ein unverzichtbarer Bericht, der eingebunden in den Geschichtsunterricht in Schulen und in die Arbeit in Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus gehört.

 

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