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Geteilte Geschichtsschreibungen

60 Jahre Kriegsende. Reihe: Aus Politik und Zeitgeschichte, 18-19/2005, Beilage der Zeitschrift „Das Parlament“

Im Mittelpunkt der Publikation „Aus Politik und Zeitgeschichte“ zu 60 Jahren Kriegsende steht nicht das Kriegsgeschehen oder die nationalsozialistische Gesellschaft und ihre Verbrechen, sondern der 8. Mai 1945 als Ausgangspunkt der deutschen Teilung und einer mit ihr verbundenen geteilten Geschichtsschreibung - „Jahrestag der Befreiung“ vs. „Jahrestag der Niederlage/Kapitulation“.

Christoph Kleßmann beschreibt die Geschichtsschreibung der BRD und DDR als eine „asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte“ und eröffnet somit die Perspektive auf eine Erzählung der Geschichte, die die Teilgeschichten integriert, ohne die Spannungen und Widersprüche auflösen zu wollen. Rainer Gries skizziert in seinem Artikel „Mythen des Anfangs“ vergleichend Österreichs Mythos des „ersten Opfers der Nationalsozialisten“, das Wirtschaftswunderland BRD und die Erzählung des „anderen Deutschlands“ in der DDR. Alle Mythen erzählten übereinstimmend Geschichten von Einheit, schufen ein „Wir-Gefühl“, aus dem Loyalität gegenüber dem neuen Staat und Legimitation stattlichen Handelns erwachsen sollte und erwuchs. Die Erlebnisse von Verbrechen, Vernichtung und Krieg wurden so in höhere „Sinnhorizonte“ eingebunden. Dietmar Süß beschäftigt sich mit der kollektiven Erinnerung an den Luftkrieg in der Bundesrepublik und in Großbritannien. Kritisch nimmt er die aktuell dominierenden Erzählungen über die deutschen Opfer auf und belegt die historische Unwahrheit der „Tabu-Behauptung“ – der unterstellten Unmöglichkeit, über deutsche Opfer zu sprechen. Für Großbritannien beschreibt Süß die Diskurse über den Bombenkrieg als einerseits Legitimationsdiskurse für den Einfluss einer Weltmacht Englands und die Notwendigkeit des Bestandes und Ausbau des Commonwealth und andererseits als Loyalitätsdiskurse über den „Peoples War“, an dessen Ende Großbritannien klassen- bzw. schichtenübergreifend neu aufgebaut werden würde. Abgeschlossen wird das Heft durch die von Wilfried Loth beschriebenen Planungen der Siegermächte für den Umgang mit dem besiegten Deutschen Reich vor dem 8. Mai 1945 und die Veränderung und Realisierung der Pläne auf der Potsdamer Konferenz sowie den Artikel von Ingvill C. Mochmann und Stein Ugelvik Larsen über Nachkriegserfahrungen von Kriegskindern, den Kindern von deutschen Besatzungssoldaten und Frauen aus den besetzten Ländern.

Die Texte sind ob ihrer Komplexität für Schülerinnen und Schüler zur Eigenerarbeitung kaum geeignet. Sie stellen jedoch eine wichtige Informationsquelle für Lehrerinnen und Multiplikatoren dar. Insbesondere Dietmar Süß kritische Darstellung des deutschen „Bombenopfer-Diskurses“ dürfte hier eine wichtige Anregung für Diskussionen in Schule und außerschulische Bildungskontexte sein.

Link

Volltext „60 Jahre Kriegsende“. Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19/2005 unter: http://www.bpb.de/files/X8TNVO.pdf

 

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