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Zeitgeschichte im Unterricht

Michele Barricelli, Julia Hornig (Hg.): Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? – Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute. Frankfurt am Main: Peter Lang 2008

Am 2./3. März 2007 fand am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin eine Tagung statt, die nach der Rolle der Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft fragte. Organisiert wurde die Tagung von Michele Barricelli, Juniorprofessor für Geschichtsdidaktik am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin und von Julia Hornig, Mitarbeiterin bei der Willy-Brandt-Stiftung in Berlin, die beide auch Herausgebende des vorliegenden Tagungsbandes sind.

Die Beiträge setzen sich auf vielfältige Weise mit folgenden Fragen auseinander: Was ist unter „Zeitgeschichte“ zu verstehen? Was macht eine zeitgemäße (Zeit-) Geschichtsdidaktik aus? Welche Inhalte, Methoden und Medien sollen mit Bezug auf die Kompetenzdiskussionen der letzten Jahre ausgewählt werden? Was lässt sich (empirisch) über Vermittlung und Vermittlungsprobleme von Zeitgeschichte sagen?

Die Vielfältigkeit der Perspektiven und Fragen ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Bandes. Wie so häufig bei Tagungsbänden ist der „Rote Faden“, der durch Diskussionen nach den Beiträgen bei den Veranstaltungen entstehen kann, beim Lesen der Beiträge schwer aufzufinden. Einzig die Beiträge von Michael Lücke/ Michael Sturm (Stiefschwester. Zum Verhältnis Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik), Andreas Körber (Kompetenz[en] zeitgeschichtlichen Denkens) und Peter Massing (Zeitgeschichte als Rückrat der Politischen Bildung) arbeiten sich sehr offensichtlich an einer gemeinschaftlichen Frage ab: Was bestimmt die Epoche Zeitgeschichte als „Gegenwartsvorgeschichte“ und wie ist sie zu vermitteln?

Neben Körbers anschaulich dargestellten Überlegungen zu der Frage, welche spezifischen Ausprägungen die Kompetenzen historischen Denkens annehmen, wenn es um zeitgeschichtliche Gegenstände geht, bietet vor allem der Artikel von Lücke/ Sturm interessante Überlegungen. So beschreiben sie anhand postmoderner Erklärungsmuster aus der Geschichtswissenschaft die Möglichkeiten der Geschichtsdidaktik, zu einer Orientierungskompetenz beizutragen, die helfen soll sich in einer pluralen Gesellschaft mit ebenso pluralen Geschichtsbildern zurechtzufinden. Ihrer Überlegung zu einer Fachdidaktik (Zeit-)Geschichte als Didaktik einer „Geschichte ohne Zentrum“ (S.37) widersprechen jedoch die Inhalte der meisten weiteren Tagungsbeiträge. Diese beschäftigen sich mit der autochthonen Bevölkerung Deutschlands und ihrer Geschichte im NS oder der DDR. Allein der Artikel von Arne Lietz thematisiert mit der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern andere historische Bezüge.

Im zweiten Teil des Bandes werden vielfältige Orte des historischen Lernens vorgestellt. So werden virtuelle Orte wie die multimedialen Lernumgebungen im Willy Brandt-Haus Lübeck (Julia Hornig) oder die Website www.chronik-der-mauer.de (Bettina Alavi) eingeführt und deren Zugänglichkeit bzw. Nutzergruppenentsprechung diskutiert.

Annegret Ehmann, Mitautorin einer DVD zum Theaterstück „Die Ermittlung“ stellt ein Projekt vor, dessen Ziel es war, anhand der Rezeptionsgeschichte des Stücks die beiden deutschen Staaten in ihrem Umgang mit der NS- Geschichte vergleichend zu reflektieren. Sie verweist mit Recht auf die Möglichkeit, anhand dieses Materials etwas über die Auseinandersetzung mit dem NS in der DDR und damit auch etwas über den Staat DDR zu erfahren.

Ob dieses differenzierte Angebot aber an das aktuelle Geschichtswissen der Schüler/innen über die DDR anknüpfungsfähig ist, muss nicht zuletzt auf Grund der Befunde von Sabine Moller oder Kerstin Engelhardt im vorliegenden Band bezweifelt werden. Erstere verweist auf die falschen und ungeordneten Wissensbestände westdeutscher Schüler/innen über die DDR, zweitere beschreibt die Unlust ostdeutscher Lehrer/innen, die DDR-Geschichte überhaupt zu thematisieren. Beide Aufsätze finden sich, wie auch die Beiträge von Carlos Kölbl, Rene Monajed, Martin Lücke und Arne Lietz, im dritten Teil des Tagungsbandes: „Zeitgeschichtliches Lernen empirisch und praktisch“. Insbesondere in diesem Teil scheint ein interessanter Dialog zwischen geschichtsdidaktischer Theorie, empirischer Forschung und pädagogischer Praxis auf, dem eine Fortsetzung zu wünschen ist.

Für eine Auflistung der Einzelbeiträge siehe: http://www.peterlang.de/Index.cfm?vID=56535&vHR=1&vUR=2&vUUR=1&vLang=E

 

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