Zwischen Charleston und Stechschritt
Das Leben dunkelhäutiger Menschen im nationalsozialistischen Deutschland und ihr Verhältnis zu den Deutschen ist Gegenstand der Beiträge von vierunddreißig Fachleuten aus Hochschulen und renommierten Museen in Europa, Afrika und Amerika. Die Autoren rekonstruieren die historischen und ideologischen Wurzeln des speziellen Verhältnisses der Nationalsozialisten zu den "Schwarzen" und lassen auch Kontinuitätslinien der jüngeren deutschen Geschichte zu Tage treten.
Eine Fülle von Bild- und Textdokumenten, von denen viele hier erstmals vorgestellt werden, ergänzt die Aufsätze. Die dunkelhäutigen Menschen, die nach dem Ersten Weltkrieg als Künstler, Geschäftsleute, Diplomaten, Soldaten oder als deren Kinder in Deutschland lebten, trafen auf widersprüchliche Reaktionen aus Modernisierungshoffnungen, exotischen Phantasien, Angst und Hass bis hin zur Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten.
Der Band ergründet die vielfältigen historischen und ideologischen Wurzeln des Verhältnisses der Nationalsozialisten zu den "Schwarzen": die Teilnahme farbiger Kolonialtruppen und US-Soldaten am Ersten Weltkrieg und später die Beteiligung farbiger Kontingente der Alliierten an der Besetzung des Rheinlands, die von der Propaganda als "Schwarze Schmach" diffamiert wurde, das anhaltende Streben nach einer Wiedergewinnung von Kolonialbesitz und die Angst vor dem Aufstand der Kolonisierten bis zur "Deutschen Afrika-Schau", einer schwarzen Wanderbühne in der NS-Zeit.
Dagegen stehen der Jubel der Boheme über den Jazz, "afrikanische" Modetänze wie den Charleston, Josephine Baker und der Einfluss der afrikanischen Kunst auf die Kunst der Avantgarde, die bereits in den zwanziger Jahren zu Angriffspunkten nationalvölkischer Agitation gegen die vermeintliche Überfremdung der deutschen Gesellschaft wurden. Das umfangreiche Buch ist der Begleitband zur Ausstellung "Besondere Kennzeichen: Neger. Schwarze im NS-Staat", die 2002 im NS-Dokumentationszentrum, EL-DE-Haus, Köln gezeigt wurde und vielfältiger Kritik ausgesetzt war, insbesondere von seiten der Initiative "Schwarze Menschen in Deutschland".
Moniert wurde das Fehlen Afro-Deutscher im Ausstellungsteam, vor allem aber das Nazi-Vokabular im Titel und das Fehlen einer kritischen historischen Konzeption. Im Buch rechtfertigen die Herausgeber die Terminologie und ihre Konzeption mit dem Hinweis auf die Kontextualisierung, die Missverständnisse ausschließe. Wo in der Ausstellung Missverständnisse aufgetreten seien, habe man sich um Aufklärung bemüht. Hauptanliegen sei das Freilegen von Kontinuitätslinien gewesen, "die oft erschreckend ungebrochen in die Gegenwart führen".
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hätte jedoch vor allem die deutsche Kolonialzeit (1884-1918) ausführlich einbezogen und eine sorgfältige Arbeit im Hinblick auf zeit- und ideengeschichtliche Zusammenhänge geleistet werden müssen, kritisierte dagegen die Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin Nicola Lauré al-Samarai, die am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin über Schwarze Deutsche in der ehemaligen DDR promovierte.
Die im einzelnen sicher diskutierbaren Unzulänglichkeiten der Ausstellung und berechtigten Einwände gegen sie durch Angehörige der Opfergruppe lassen dennoch nicht den Schluss zu, die Ausstellung und insbesondere der Begleitband seien politisch in Zweifel zu ziehen. Der Begleitband jedenfalls könne den "Rang eines Standardwerks beanspruchen", meint Andreas Eckert, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg. Behandelt werden die politischen Aktivitäten schwarzer Kommunisten in Deutschland in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, das Schicksal schwarzer Komparsen des deutschen Films, die Verunglimpfung afrikanischer Kolonialsoldaten im besetzten Rheinland und die sich nur graduell wandelnden Stereotype. Als besondere Leistung des Bandes nennt Eckert die Dokumentation der "wenigen Spuren schwarzer Menschen in Konzentrationslagern".
Das Buch ist mit seinen wissenschaftlich aktuellen Beiträgen, 480 Abbildungen, Quellen und einem detaillierten Register eine umfassende Informationsquelle zu einem Thema, über das bisher kaum wissenschaftliche Literatur vorhanden ist und das ebenso bisher nur wenig Beachtung fand.
Zu Kontinuitäten vom Kolonialrassismus zum Rassismus im Dritten Reich siehe auch die Rezension zur Rosa Amelia Plumelle-Uribes Weisse Barbarei- Vom Kolonialrassismus zur Rassenpolitik der Nazis in diesem Webportal unter [node:4003]
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- 02/12/2009 - 11:14