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Auf Procida waren doch alle dunkel

Regine Wagenknecht (Hg): "Auf Procida waren doch alle dunkel". Judenverfolgung in Italien 1938-1945. Literarische Zeugnisse von Giorgio Bassani, Elsa Morante, Natalia Ginzburg, Primo Levi u.a. (2005) Parthas Verlag Berlin, 200 S., 14.80 €

Die Geschichte der Judenverfolgung in Italien wurde Jahrzehnte in der breiten Öffentlichkeit Italiens aber auch aus der Sicht anderer Länder nur lückenhaft wahrgenommen. Das Bild vom "guten Italiener", der dem Rassismus und Antisemitismus fern stand, prägte die gängige Meinung und drängte die Erinnerung an individuelles Leiden, an die Verfolgung und Ermordung der Juden in Italien und die Verbrechen unter der Diktatur Mussolinis zurück.

Dass zum Beispiel schon in Abessinien, das Mussolini 1935 überfiel und annektierte, um ein ostafrikanisches Kolonialreich zu errichten, der Widerstand der Abessinier mit drakonischen rassistischen Vernichtungsmaßnahmen gebrochen wurde, zu denen auch der Einsatz von Giftgas gehörte, ist im Kontext zur NS Vernichtungspolitik kaum bekannt. Erst vor wenigen Jahren begannen einige Zeithistoriker darüber zu forschen und einige Artikel in Zeitschriften zu publizieren.

Es gab in Italien hilfsbereite Menschen, die unter Gefährdung ihres eigenen Lebens Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland und Juden halfen, vor allem in den ärmeren Bevölkerungsschichten aber auch z.B. unter den Beamten, die Befehle und Verordnungen nur nachlässig ausführten. Selbst Teile des italienischen Militärs weigerten sich, Juden zu deportieren. Ihnen haben mehr als 25 000 Juden ihr Überleben zu verdanken. Zum Vergleich: in Deutschland überlebten nur 5 000 Juden aufgrund der Hilfe aus der Bevölkerung. Es gab aber auch Italiener, die gleichgültig wegsahen, Hilfe verweigerten, aktiv denunzierten und bei der Verfolgung tatkräftig mithalfen. Faschistische Zeitungen und auch Intellektuelle schürten den Antisemitismus.

Die faschistische Regierung unter Mussolini erließ 1938 die Rassengesetze und stimmte 1943 der Deportation zu. Hierüber zu schweigen, sich selbst als ein Volk des Widerstands zu sehen, das in der "Resistenza" bei seiner Befreiung vom Faschismus mitgewirkt hatte und sich lediglich auf die "guten" Italiener zu berufen war für das nach 1945 neu entstehende Italien vorteilhafter als ein unrühmliches Kapitel der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. Die der Verfolgung in Italien Entkommenen, die italienischen Überlebenden der Konzentrationslager aber auch die Überlebenden der von Deutschen verübten Massaker an Zivilbevölkerung in Oberitalien und der nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter stießen häufig auf Desinteresse und Abwehr, wenn sie berichten wollten, was ihnen angetan worden war.

Für die Betroffene war es quälend, nicht über ihre Verletzung und Trauer sprechen zu können und gehört zu werden. Das Nachdenken über das Geschehene als Pflicht eines jeden forderte in einem einsamen Appell bereits 1976 der Auschwitz Überlebende Primo Levi von den Nachgeborenen. Wie er hatten viele Sorge, ihre Geschichte würde vergessen oder verleugnet werden werden. Die Sorge war berechtigt. Anfang der 1990er Jahre gewannen Neofaschisten in der MSI (Movimento sociale italiano) und rechtspopulistische Parteien, wie die Lega Nord und Belusconis Forza Italia Zulauf und politischen Einfluß. Eine intensivere Erinnerungsarbeit setzte in Italien erst damals ein.

Die von Regine Wagenknecht kommentierten Anthologie regt dazu an sich intensiver mit den Berichten der Verfolgten, darunter die großen Vertreter der italienischen Literatur, die jüdischen Denker eines demokratischen Italiens, die Kämpfer gegenüber Gleichgültigkeit und Unglauben auseinander zusetzen. Ein wichtiges Buch über ein Thema, das uns alle als Europäer angeht und auch in der deutschen Öffentlichkeit bisher noch nicht diskutiert wurde.

 

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