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Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg

Geschichte und Erinnerung

Den Bedarf an Informationen über die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und seine Folgen für diejenigen, die sich pädagogisch im polnisch-deutschen Jugendaustausch engagieren, zu decken, ist eine anhaltend dringliche Aufgabe. So lautet die nachvollziehbare Ausgangsthese von Beate Kosmala und Jerzy Kochanowski, zwei der vier Herausgeber und Herausgeberinnen des Buches "Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg".

Die Erinnerungen an die deutsche Besatzung, an den Vernichtungskrieg, von dem Polen in besonderem Ausmaß betroffen war, und an die Vernichtung des europäischen Judentums, die vor allem auf polnischem Boden durchgeführt wurde, bestimmen das Verhältnis beider Länder zueinander bis zum heutigen Tag.

Der vorliegende Band ist das Ergebnis von langjährigen Diskussionen der Arbeitsgruppe Geschichte des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW). Er macht es sich zur Aufgabe, inhaltliche Leerstellen in der internationalen Jugendarbeit zu schließen. In 15 Essays von deutschen und polnischen Autoren wird in den beiden Abschnitten Geschichte und Erinnerung in wesentliche Aspekte und Fragestellungen der beiderseitigen Geschichte ab 1933 eingeführt.

Zu den Beiträgen im ersten Teil gehören fünf Aufsätze zur Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft und dem NS-Staat im 2. Weltkrieg von Beate Kosmala und Wolfgang Benz. Ebenso findet sich ein wichtiger Beitrag zum Thema Vertreibung von Ingo Haar und Jerzy Kochanowski, wobei die Autoren nicht die verbreiteten Reduzierungen auf die Zwangsmigration von Deutschen vornehmen.

Besonders herausragend sind im Abschnitt zur Geschichte die beiden Artikel von Mikołaj Morzycki-Markowski über die sowjetische Besatzung und der von Hans-Jürgen Bömelburg und Jerzy Kochanowski zur deutschen Besatzungspolitik in Polen 1939-1945, die ihre Themen jeweils sehr tief und differenziert betrachten. Morzycki-Markowski grenzt sich dabei angenehm von totalitarismustheoretischen Gleichsetzungen der deutschen und der sowjetischen Besatzung ab.

Nicht völlig nachvollziehbar ist die Entscheidung der Redaktion im Geschichtsteil auf einen gesonderten Essay zum Holocaust zu verzichten. Zwar wird das Thema in verschiedenen Aufsätzen behandelt. Allerdings wäre dem Charakter der Shoah eine gesonderte Annäherung, die nicht nur historische, sondern auch soziologische Aspekte in den Blick nimmt, angemessener gewesen.

Die Artikel im zweiten Abschnitt des Buches widmen sich verschiedenen Aspekten und Sichtweisen der deutsch-polnischen Erinnerung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Sehr lesenswert ist der Beitrag von Pawel Kosiński über die Erinnerung an Krieg und Besatzungszeit in Polen. Sicherlich muss man dem Autor nicht unbedingt in der Annahme folgen, es handele sich bei dem Vorwurf des deutschen „Dranges nach Osten“ nur um ein antideutsches Stereotyp, das von den kommunistischen Machthabern funktional aufgegriffen wurde. Dennoch sind seine differenzierten Einlassungen zu der Problematik, dass die polnische Bevölkerung „Zeuge der Vernichtung gewesen war“ und so im „Schatten des Holocaust“ lebte, bemerkenswert. So führten, nach Kosiński, das eigene Leiden, ein bestehender polnischer Antisemitismus und eine nationalistische Sichtweise des staatskommunistischen Regimes zu einer unterschiedslosen „Zusammenfügung der polnischen und jüdischen Kriegserlebnisse“, die „das Ausmaß der jüdischen Leiden“ relativierte.

Ein zweiter Text von Hans-Jürgen Bömelburg beschreibt die „stabilisierende und für materielle Entbehrungen entschädigende Funktion“ der offiziellen polnischen Gedenkkultur in einer „politisch und kulturell gespaltenen und von Konflikten gebeutelten Gesellschaft“. Die Autorinnen Anette Leo und Annegret Ehmann widmen sich in ihren Artikeln fachkundig den verschiedenen Geschichtsbildern und geschichtspolitischen Kämpfen in der alten und neuen Bundesrepublik ebenso wie dem staatlichen Antifaschismus der DDR und deren Umgang mit dem Nationalsozialismus.

Beate Kosmala beschreibt in „Das Bild Polens in der Bundesrepublik Deutschland und die deutsch-polnischen Beziehungen“ den offenen Revanchismus in der Adenauer-Ära, nicht nur des Bundes der Vertriebenen, und den Wandel im beiderseitigen Verhältnis von der neuen „Ostpolitik“ Willi Brandts bis heute. Gewissermaßen das Gegenbild, nämlich die häufig wenig detailreiche und zu staatskommunistischen Zeiten idealisierte polnische Sicht auf den deutschen Nachbarn, zeigen Burkard Olschowsky und Piotr Buras. Olschowsky konzentriert sich dabei auf das „Bild Polens in der DDR 1949-1989, während Buras unter der Fragestellung „Vom ‚bösen‘ zum guten‘ Deutschen?“ noch einmal einen Rückgriff auf den Einfluss des Krieges auf das in Polen bestehende Bild von Deutschen und dessen Wandel vornimmt.

Abgerundet wird der Abschnitt zur Erinnerung mit zwei Beiträgen, die sich mit dem Medium Film auseinandersetzen. Piotr Zwierzchowski setzt sich mit „Krieg und Besatzung im polnischen Film der Nachkriegszeit“ auseinander. Detailreich beschreibt der Autor die unterschiedlichen Filme und setzt sie in ihren zeitgeschichtlichen Zusammenhang. Dazu ergänzend wirkt der Text von Andreas Mix. Er entwirft ein Panorama, angefangen vom so genannten deutschen Trümmerfilm, zu dem auch Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns gehört, über die Kriegsfilme in beiden deutschen Staaten, dem Umgang mit dem Holocaust bis hin zu aktuellen Werken wie "Der Untergang" oder "Speer und Er".

Die beiden letztgenannten Artikel bieten denjenigen, die nach Filmen zur Vorbereitung für einen Jugendaustausch suchen sicherlich eine gute Orientierung. Ein zweiter und wichtiger Teil des Buches hat den Charakter eines Lexikons zu 145 Schlüsselbegriffen. Er greift unterschiedliche Phänomene oder Symbole rund um die Kriegsereignisse auf und erläutert sie. Damit bekommt das Buch einen hohen Gebrauchswert für die historisch-politische Bildung, der durch eine beigegebene CD mit Informationen zu Gedenkstätten zusätzlich erhöht wird.

Ein kleines Manko ist ein fehlender Teil mit didaktischen Anregungen, wie sich die ausführlichen Inhalte in ein Seminarkonzept, den Unterricht oder in einen Jugendaustausch integrieren lassen. Abgesehen von einigen strittigen Positionen und inhaltlichen kleinen Schwächen ist es den Herausgebern und Herausgeberinnen gelungen ein Kompendium zu schaffen, dass hilfreich und wichtig für die Auseinandersetzung im deutsch-polnischen (Jugend-)Dialog ist.

Zu beziehen ist das Buch über das Deutsch-Polnische Jugendwerk http://www.dpjw.org/html/index.php

 

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