Am 21. April 2004 berichtet die Tageszeitung „taz“ im Ressort Aktuelles von Ludwig K., einem 24-jährigen Mann aus Berlin, der nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Stutthof/ Sztutowo bei Gdansk (Danzig) seine Papiere wegwarf und nur noch Englisch sprach. Die in der Gedenkstätte dokumentierten Verbrechen hatten ihn derart schockiert, dass er mit Selbstmord drohte. Die Angestellten des Hotels, in dem Ludwig K. wohnte, riefen die Polizei. Die Polizeibeamten brachten den jungen Mann in eine Nervenklinik. Die Ärzte konnten allerdings keine Erkrankung oder psychische Störung feststellen und ließen ihn wieder frei. Schließlich schoben die polnischen Behörden Ludwig K. nach Deutschland ab, da er keinen Pass mehr besaß. Mit gültigen Papieren hätte er in Polen bleiben dürfen.
Die Geschichte von Ludwig K., die in den polnischen Medien für einige Aufmerksamkeit sorgte, führte die Autorin Anne Schülke auf einen einjährige Recherchereise nach Gdansk, Wien und Berlin, wo sie weitere Fakten sammelte, Interviews führte und versuchte, sich den Beweggründen von Ludwig K. anzunähern. Am 8. März 2006 hatte das Stück, eine Collage aus Interviews, Beschreibungen, biografischen und historischen Fakten, im Forum Freies Theater in Düsseldorf Premiere. In einer Installation aus Video und Sound wurde der Recherchebericht gelesen, der die Geschichte Ludwig K.s erzählt und in die deutsch-polnische Vergangenheit eintaucht.
Seit dem Frühjahr 2007 ist das Stück im Hamburger Verlag textem veröffentlicht. Die zentrale Figur des „Rechercheurs“ führt durch die verschiedene Orte der Spurensuche: Polizeirevier, Psychiatrie, Hotel, Privatwohnungen u.v.m. an denen Beteiligte an der Geschichte zu Wort kommen. Und beteiligt sind viele: der Lehrer Ludwig K.s, ehemalige Häftlinge, Mitarbeiter von Gedenkstätten, Ludwigs Mitschüler/innen. Der Rechercheur ist jedoch mehr als ein Chronist der Geschichte. Auch er versucht zur Geschichte der deutschen Verbrechen ein Verhältnis zu finden.
Ludwig K. hat auf die Konfrontation mit unfassbaren Verbrechen reagiert – (un-)angemessen? „Ludwig“ – Ein Zeitstück bietet sowohl für den Geschichts- als auch für den Deutschunterricht einen interessanten Ausgangspunkt, um sich mit der Frage auseinander zusetzen, was die Konfrontation mit den NS-Verbrechen für junge Erwachsene heute bedeuten kann. Richard von Weizsäckers Rede vom 08.05.1985, die er anlässlich des Jahrestags der Befreiung Deutschland hielt und in der er von einer jungen Generation spricht, die keine Schuld habe, aber Verantwortung trage, ist zu einem Gemeinplatz geworden. Mit Ludwig K. kann man fragen, ob diese Verantwortungsübernahme deswegen so populär geworden ist, weil sie eine Möglichkeit darstellt die Geschichte der Verbrechen positiv gewendet zu thematisieren – als eine Geschichte, aus der man etwas lernen und etwas Gutes machen kann. Das „Unfassbare“ wird so aber möglicherweise zugedeckt.
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- 23/11/2009 - 14:18