Das Lagerliederbuch mit Liedern gesungen, gesammelt und geschrieben im Konzentrationslager Sachsenhausen aus dem Jahr 1942 ist seit vielen Jahren bekannt. Das darin enthaltene „Lied der Moorsoldaten“ wurde in viele Sprachen übersetzt und symbolisiert als das erste und bekannteste KZ-Lied Widerstand, Kameradschaft und Solidarität der männlichen Häftlingsgesellschaft.
Frauen als Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und der Widerstand von Frauen fanden über viele Jahre, insbesondere in der Forschung wenig Beachtung. Auch in der DDR war der stets beschworene antifaschistische Widerstand eine Angelegenheit männlichen Heldentums. Das Frauen - Konzentrationslager Ravensbrück stand lange im Schatten der Lager Buchenwald und Sachsenhausen. Auch nach 1989 änderte sich der Zustand der Nachrangigkeit erst allmählich. Inzwischen liegen eine Reihe sehr solider Forschungen jüngerer Wissenschaftlerinnen vor.
An erster Stelle ist die von der Literaturwissenschaftlerin Constanze Jaiser und dem Musiker Jacob David Pampuch herausgegebene Lyriksammlung „Europa im Kampf 1939–1944. Internationale Poesie aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“ zu nennen. Es handelt sich um den faksimilierten Nachdruck der in den Jahren 1943/44 heimlich im Konzentrationslager Ravensbrück entstandenen Sammlung von 47 Gedichten und Liedern in elf Sprachen mit Begleitband und Hör-CD. Vierzehn ehemals in Ravensbrück und anderen Lagern Inhaftierte rezitieren oder singen die Texte in ihrer Muttersprache, die mit musikalischen Klängen Jacob Davids Pampuchs auf der Flamenco Gitarre umrahmt werden. Damit liegt ein historisches Zeugnis von einzigartiger Konzeption und Aufmachung vor. Der Begleitband bietet neben Nachdichtungen namhafter Autorinnen Hintergründe und Kommentare zum Verständnis jedes Gedichtes, erläutert Bedeutung und Praxis des Dichtens in Konzentrationslagern, informiert über die Entstehung von Handschrift und Hör-CD, enthält biographische Angaben und Portraits der Dichterinnen und Sprecherinnen. Nur mit Hilfe von vielen Spenden wurde dieses an Recherchearbeit und in der Gestaltung aufwändige Projekt ermöglicht.
Die von den beiden Tschechinnen Vlasta Kladivová und Vera Hozáková heimlich als Buch angelegte Sammlung "Europa u boji 1939–1944" („Europa im Kampf“), wurde im Original mit Tusche geschrieben und mit farbigen Illustrationen versehen, gefertigt aus Papier und mit Farben, die unter größten Gefahren der SS Bauleitung im KZ Ravensbrück entwendet wurden. Vlasta Kladivová, die im Herbst 1943 als junge Frau aus Auschwitz nach Ravensbrück kam, begann dort Gedichte und Widerstandslieder zu sammeln, die sie unter dem Titel „Europa u boji“ („Europa im Kampf“) zusammenfasste. Vera Hozáková, tschechische Architekturstudentin, die wegen ihrer kommunistischen Widerstandstätigkeit 1942 von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager gesperrt wurde, schrieb die aus elf Nationen stammenden Gedichte in Schönschrift nieder und fertigte die Illustrationen an. Gemeinsam besorgten sie Übersetzungen der fremdsprachigen Texte ins Tschechische, die in einem Anhang aufgenommen wurden. Mit Nadel und Faden hefteten sie das Papier zusammen, Stoff aus der Wäscherei verwendeten sie für den Einband. Sie wollten die Atmosphäre im Lager dokumentieren und den Kampf um die Ideale der Humanität unter diesen Bedingungen. Über Jahrzehnte blieb dieses selbstgemachte, aus Ravensbrück gerettet Buch mit den Dichtungen von Frauen aus elf Nationen in einer Prager Wohnung unbeachtet. Die dem Original sehr nahekommende, graphisch überaus sorgfältige gestaltete Reproduktion bietet einen einzigartigen Querschnitt lyrischer Selbstäußerungen von Frauen aus einem Konzentrationslager. Die Sammlung enthält als letzten Text auch ein russisches „Ravensbrücklied“, das in Ravensbrück und den Außenlagern häufig gesungen wurde und, so die Herausgeberin Constanze Jaiser, als dem Moorsoldatenlied vergleichbar als Lagerhymne gelten könne. Es sei zwar in dem Originalband „Europa im Kampf“ nicht enthalten, passe aber zur Idee der Sammlung.
Ergänzend zu dieser Lyrikedition sei nochmals erinnert an die bereits auf dieser Website besprochene Publikation des Metropol- Verlags: Gabriele Knapp, Frauenstimmen. Musikerinnen erinnern an Ravensbrück. Die Rezension finden sie unter: [node:4142]
Nach Gabriele Knapp gab es mehrere Ravensbrück-Lieder. Für literarische und musikalische Zugänge nicht nur in Schulen sind beide Veröffentlichungen nachdrücklich zu empfehlen, ebenso wie der von der israelischen Autorin und Holocaust-Überlebenden Batsheva Dagan persönlich eindrucksvoll vorgestellte Lyrikband: Gesegnet sei die Phantasie – verflucht sei sie! Erinnerungen von "Dort" ÜberLebenszeugnisse. Eine Besprechung finden Sie unter: [node:4131]
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- 11/01/2010 - 18:56